Justin Trudeau - Verblasste Lichtgestalt

Er war der Sonnyboy unter den Staatschefs, doch ein Jahr vor den Wahlen zweifeln immer mehr Kanadier an der Führungsstärke ihres Premierministers Justin Trudeau. In seinem Land spüren die Anhänger von US-Präsident Donald Trump Aufwind. Ein Porträt

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„Immer wieder wird der Vorwurf laut, Trudeau sei ein Dauerlächler und ein politisches Leichtgewicht.“ / picture alliance
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Christine Keilholz hat bei der Neuen Zürcher Zeitung volontiert und ist Korrespondentin in Sachsen.

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Als Donald Trump gegen Migranten aus Mittelamerika hetzte, stellte Justin Trudeau gerade einen Klimaplan vor. In einem kleinen College in Toronto saß der Sonnyboy unter den Weltpolitikern vor Studenten; er sprach von Zukunft, ehrgeizigen Zielen und sauberer Luft. So will der 23. Premierminister Kanadas gesehen werden. Als Hoffnungsfigur des liberalen, offenen Westens. Ihm dient, dass derweil der 45. Präsident der USA den verzagten Westen mit Wut, Lügen und Tweets aufpeitscht. Die Frage ist nur: Wer behält recht?

Kanada stellt sich zurzeit viele Fragen. Über seine Rolle in der Weltpolitik, wenn die USA weiter ins Abseits driften. Was passiert, wenn die Missstimmung des großen Nachbarn nach Norden schwappt. Und ob es in diesen Zeiten reicht, einen an der Spitze zu haben, der schlicht ein netter Typ ist. So nämlich sehen viele Kanadier Trudeau.

Der purpurgeborene Prinz

Bisher war das kein Problem. Wer mit 43 Jahren ins höchste Amt kam, kann mit 46 die Welt noch nicht gerettet haben. Aber von Justin Pierre James Trudeau wurde schon immer mehr erwartet. Das hat mit seiner Herkunft zu tun. Tru­deaus Vater Pierre war unter Kanadas Premiers des 20. Jahrhunderts eine Ausnahmefigur. Er trug den Geist der 68er in die Spitzenpolitik und konnte das Fernsehen gut nutzen. Die Kamera liebte Pierre Trudeau, die Kanadier lieben ihn bis heute. Trudeau Seniors Geheimnis sei, sagte der Medienprophet Marshall McLuhan, „er hat einen französischen Namen, englische Manieren und sieht aus wie ein Indianer“. All das hat der älteste Sohn geerbt.

Justin Trudeau war schon als Kind der purpurgeborene Prinz – in einem Land, das der britischen Krone gehört, hat Noblesse Bedeutung. Der Junior empfahl sich, als er bei der Trauerfeier für seinen Vater eine ebenso tränenreiche wie furiose Rede hielt. 2015 bescherte er der Liberalen Partei einen fulminanten Wahlsieg.

Ein politisches Leichtgewicht?

Doch drei Jahre später ist das Feuerwerk abgebrannt. Debatten über Tru­deaus Qualifikation kriechen durch die Zeitungen. Verunsicherung macht sich breit, ob einer, der früher Theaterlehrer für reiche Kids in Vancouver war, dem Furor aus dem Weißen Haus die Stirn bieten kann. Immer wieder wird der Vorwurf laut, Trudeau sei ein Dauerlächler und ein politisches Leichtgewicht. Wie sonst konnte er im Sommer in einen Twitter-Shitstorm Trumps geraten. Trudeau hatte sich erlaubt, das G-7-Treffen anders zu deuten als Trump – und wurde von oben aus der Airforce One mit Blitzen des Zornes bestraft.

Im September musste Trudeau in den Verhandlungen um das Handelsabkommen Nafta den kanadischen Milchmarkt für US-Farmer öffnen. Trump war sich nicht zu schade, den alten Partner Kanada zu erpressen. Trudeau blieb nichts als Lächeln. So unmöglich sich Trump auch macht, er ist Chef eines Imperiums – Trudeau dagegen nur der des kleinen Nachbarn. Kanada hat nur ein Achtel so viele Einwohner wie die USA – besitzt aber mindestens genauso viel Stolz.

Kanadas Bedürfnis nach mehr Machismo

Kanada kennt große Staatsmänner. Vater Trudeau versöhnte in den siebziger Jahren das englische mit dem französischen Kanada und schrieb die Rechte der Ureinwohner in der Verfassung fest. Jean Chrétien, dem Premier mit halbseitig gelähmtem Gesicht, rechnen die Kanadier hoch an, dass er nicht mit George W. Bush in den Irakkrieg zog. Als „sanftmütig und schwach“ will kein Kanadier seinen Regierungschef bezeichnet wissen – nicht mal von Trump.

Derlei weckt auch im reservierten Kanada das Bedürfnis nach mehr Machismo in der Politik. Und schon steht einer bereit, das zu bedienen. Mit Doug Ford, dem neuen Provinzfürsten von Ontario, hat Kanada einen eigenen Trump. Ford ist ein breitbeiniger Typ, ein Konservativer mit lautem Organ, der seit seiner Amtsübernahme im Sommer die Werke der Liberalen in Ontario mit dem Bulldozer einreißt. Er will den Mindestlohn abschaffen und sperrt sich gegen Trudeaus Luftverschmutzungsgebühren. Ford zeigt, dass Trudeau in den Provinzen des föderal organisierten Kanadas als zahnloser Tiger dasteht. Deshalb sollte der Klimaauftritt vor den Studenten des Humber College auch ein Befreiungsschlag sein. Mitten in Fords Wahlkreis kündigte der Liberale an, die Gebühren würden auch ohne Ford kommen.

Der Machtkampf mit den Trumpisten

Ungemach droht auch in Quebec. Die französischsprachige Provinz hat im Oktober die ultrakonservative Nationalpartei an die Macht gewählt. Quebec sieht seine Identität durch Zuwanderung in Gefahr. Dass Trudeau mit Quebec besser arbeiten kann als mit Ontario, ist kaum zu erwarten. Mehr noch: Der Konflikt, den sein Vater befriedet hat, droht wieder auszubrechen.

Nächstes Jahr will Trudeau wiedergewählt werden. Ford lässt schon durchblicken, dass er mehr will als nur die Provinz. Der Machtkampf mit den Trumpisten im eigenen Land hat begonnen.

Dieser Text stammt aus der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.














 

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