Jaroslaw Kaczynski - Ein einfacher Mann

Seit vier Jahren wird Polen faktisch vom PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski regiert, der die demokratischen Institutionen konsequent aushöhlt – jetzt hat seine Partei die Wahl gewonnen

Erschienen in Ausgabe
Für Jaroslaw Kaczynski ist Demokratie lediglich eine Fassade / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

So erreichen Sie Bartosz T. Wielinski:

Anzeige

Der 70 Jahre alte Jaroslaw Kaczynski fungiert offiziell zwar nur als einfacher Abgeordneter im polnischen Sejm. Trotzdem ist Angela Merkel schon einmal nach Warschau geflogen, um mit ihm über die Zukunft Europas zu sprechen. Das hat seine Gründe, denn der Sejm orientiert sich sogar am Lebensrhythmus dieses einfachen Abgeordneten: Weil Kaczynski gern lange schläft, beginnen die Tagungen des Parlaments erst am späten Vormittag. Noch dazu hat der einfache Abgeordnete Kaczynski mehr Leibwächter als der Ministerpräsident. Obwohl die Bodyguards keine Polizeibeamte sind, dürfen sie übrigens trotzdem in Parlaments- und Regierungsgebäuden ihre Pistolen tragen.

Für die polnischen Nationalkonservativen ist dieser einfache Abgeordnete ein Heiliger. Kaczynski hat aus vielen unterschiedlichen rechten Strömungen und Splitterparteien mit eiserner Faust die kohärente und kraftvolle Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) erschaffen, die seit vier Jahren regiert und nach den Parlamentswahlen vom 13. Oktober sehr gute Aussichten hat, dies während der nächsten vier Jahre auch weiterhin zu tun. Obwohl Kaczynski keinen Platz auf der Regierungsbank hat, passiert in Polen so gut wie nichts ohne das Wissen des PiS-Vorsitzenden. Man könnte sogar den Eindruck gewinnen, dass Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und sogar Staatspräsident Andrzej Duda den Befehlen Kaczynskis gehorsam folgen.

Platz 59 im „World Press Freedom Index“

Das Ergebnis seiner bisherigen Herrschaft ist allerdings gelinde gesagt ernüchternd. Weil die PiS-Regierung in Polen Justiz und Medien an die kurze Leine nimmt, haben inzwischen etliche internationale Institutionen die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie des Landes infrage gestellt. Man muss davon ausgehen, dass Polen in seiner jetzigen Verfasstheit niemals der EU hätte beitreten können, weil deren fundamentale Prinzipien – etwa Pressefreiheit oder die Unabhängigkeit der Justiz – von Kaczynski eklatant missachtet werden. Im „World Press Freedom Index“ ist Polen nicht ohne Grund vom 18. auf den 59. Platz zurückgefallen – und steht dort hinter Argentinien und Mauritius.

In der polnischen Politik ist Kaczynski seit der Zeit der Wende aktiv. Damals war er mit seinem Zwillingsbruder Lech einer der engsten Mitarbeiter des legendären Solidarnosc-Anführers Lech Wałesa. Nachdem Wałesa 1990 zum Staatspräsidenten gewählt worden war, muss ihm bewusst geworden sein, dass Kaczynski ihn als Marionette behandeln würde – und entließ ihn kurzerhand aus dem Amt des Leiters der Präsidialkanzlei. Kaczynski schloss sich daraufhin den radikalen Nationalkonservativen an; weil damals die proeuropäischen Liberalen in Polen den Ton angaben, glaubte keiner an ein politisches Comeback des Außenseiters Kaczynski.

Ungleichheit in der Bevölkerung

Weit gefehlt: Im Jahr 2005 wurde Jaroslaws Zwillingsbruder Lech zum Staats­präsidenten gewählt, und die PiS, welche einen entschiedenen Kampf gegen Korruption und Armut verspochen hatte, gewann die Parlamentswahlen. Doch die damalige Koalition mit der extremen Linken und Rechten, in der Kaczynski von 2006 an Polen als Ministerpräsident regierte, war zu wackelig und überlebte nur bis zum Sommer 2007. Die europaskeptische PiS wurde bei vorzeitigen Wahlen abgelöst und Kaczynski durch Donald Tusk von der proeuropäischen Partei Bürgerliche Plattform ersetzt. Als Lech Kaczynski im April 2010 beim tragischen Absturz des Regierungsflugzeugs ums Leben kam, machte sein Zwillingsbruder keinen anderen als Tusk für dessen Tod verantwortlich. Seither ist Jarosław Kaczynski von blankem Hass auf den scheidenden EU-Ratspräsidenten getrieben und wünscht sich, dass Tusk im Gefängnis landet. Davon hat er sogar der deutschen Bundeskanzlerin erzählt.

Die Entwicklung Polens seit 1989 ist erstaunlich: Ein heruntergewirtschaftetes kommunistisches Land wurde in eine inzwischen blühende Marktwirtschaft verwandelt. Doch dieser Prozess verlief nicht ohne menschliches Leid und sichtbar wachsende Ungleichheit innerhalb der Bevölkerung. Während die Großstädte wuchsen und immer reicher wurden, waren die Bürger in der Provinz mit zunehmender Perspektivlosigkeit konfrontiert. Doch das stieß in Warschau auf wenig Interesse: Während die Regierung in modernste Schnellzüge investierte, die die polnischen Metropolen miteinander verbinden, wurden Busverbindungen zwischen Kleinstädten gestrichen. Kaczynski wusste diese Situation zu nutzen und versprach, das angeblich „in Ruinen“ liegende Polen neu aufzubauen: Die PiS werde den Menschen in der Provinz ihre bürgerliche Würde zurückgeben. Außerdem stellte er die Einführung eines Kindergelds in Höhe von monatlich 125 Euro in Aussicht. Viele seiner Landsleute, die seit dem Jahr 1989 von der Regierung nur Sparmaßnahmen kennengelernt hatten, waren begeistert. Endlich dachte jemand auch mal an sie!

Kein Einwanderungsland

Kaczynskis populistisches Talent zeigte sich später auch während der Migrationskrise, als er in Polen Ängste vor insbesondere syrischen Flüchtlingen schürte. Dabei ging es ihm keineswegs nur darum, vor möglichen Terroristen unter den Flüchtlingen zu warnen; er stellte sie vielmehr noch als potenzielle Überträger von Seuchen und Krankheiten dar. Polen, das sollte man wissen, ist kein Einwanderungsland, die Kontakte der einfachen Bürger mit anderen Kulturen sind begrenzt. Aber weil praktisch jeder im Fernsehen die Berichte über Gräueltaten des „Islamischen Staates“ gesehen hatte, ging Kaczynskis Kalkül auf. Seine PiS verbreitete Ängste und versprach der polnischen Bevölkerung gleichzeitig, sie vor solchen Gefahren zu schützen.

Seit vier Jahren verfügt Kaczynski über eine Mehrheit im Parlament; nach der Wahl vom Oktober 2015, bei der die PiS mit 37,6 Prozent der Stimmen stärkste Kraft geworden war, bestand der erste Schritt des Parteichefs darin, das Verfassungsgericht auf Linie zu bringen. Kurze Zeit später folgte die Gleichschaltung und Säuberung der öffentlich-rechtlichen Medien. Das Verfassungsgericht ist seither ein willfähriger Erfüllungsgehilfe der Regierung und billigt Gesetze, die von der PiS im Blitzverfahren durchs Parlament gepeitscht werden – nicht selten innerhalb weniger Tage und ohne zuvor eine sachliche Debatte geführt zu haben. Die Gerichtspräsidentin Julia Przyłebska hat Kaczynski mehrfach privat in ihrer Warschauer Dienstwohnung empfangen, er bezeichnet sie wohlwollend als seine „neue Entdeckung in der Gesellschaft“.

Angst vor den Wahlen

In den öffentlich-rechtlichen Medien wiederum, aus deren Reihen mehr als 200 „unpatriotische“ Journalisten entlassen wurden, konzentriert man sich derweil auf die Verbreitung politischer Propaganda, deren Machart an die alten Zeiten im Kommunismus erinnert: Ständig werden die Regierung gelobt und deren Feinde im In- oder Ausland aufs Schärfste kritisiert. Politiker der Opposition, kritische Journalisten, Künstler oder Aktivisten sind Ziel von Spott und Verleumdung. Kaczynski selbst wird im staatlichen Rundfunk konsequent als netter älterer Herr gezeigt, der sich um Alltägliches fast gar nicht kümmert, der keine Bankverbindung und auch keinen Führerschein hat, sondern ständig darüber nachdenkt, wie die Zukunft der Polen noch besser gestaltet werden könnte. Auch das erinnert erschreckend an die Art und Weise, wie dem Volk im Kommunismus die Ersten Parteisekretäre präsentiert wurden.

Ob Kaczynski tatsächlich über allen profanen Dingen schwebt, daran sind allerdings Zweifel erlaubt. So plante er beispielsweise mit Finanzierung durch eine staatliche Bank den Bau eines 190 Meter hohen Wolkenkratzers in der Mitte von Warschau – obwohl politischen Parteien in Polen solcherlei wirtschaftliche Aktivitäten untersagt sind. Das Immobilienprojekt hätte der PiS Einnahmen in Millionenhöhe beschert, die Opposition wäre auch finanziell noch weiter ins Hintertreffen geraten. Aus Angst vor den bevorstehenden Wahlen wurde das Projekt schließlich abgeblasen.

Demokratie als Fassade

Für Jarosław Kaczynski ist Demokratie lediglich eine Fassade. Seit seiner Studienzeit in den sechziger Jahren vertritt er die Meinung, dass es im Staat nur eine einzige Machtzentrale geben sollte, die ihre Kompetenzen mit niemandem teilt und die sich von niemandem Beschränkungen auferlegen lässt. Für diese Funktion ist ganz offensichtlich die PiS vorgesehen, die Parlament, Medien, Gerichte und andere Behörden unter strenger Kontrolle hat. Schon heute werden Staatsanwälte und Polizisten von Kaczynskis Partei dazu missbraucht, um Gegner zu verfolgen und mundtot zu machen. Und mit Internetkampagnen werden unbotmäßige Richter, die auf ihre Unabhängigkeit von der Politik pochen, in sozialen Netzwerken verspottet. Auch die privaten Medien stehen unter massivem Druck der Regierung.

Aus Kaczynskis Sicht sind der Westen im Allgemeinen und die EU im Besonderen moralisch verrottet; um die traditionelle polnische Familie von dem angeblich zerstörerischen Einfluss der westlichen LGBT-Communities zu schützen, hat er deshalb eine Allianz seiner Partei mit der katholischen Kirche geschmiedet. Inzwischen werben Bischöfe in ihren Predigten ganz offen für die PiS und wettern scharf gegen alle Andersdenkenden. Der Krakauer Erzbischof Marek Jedraszewski verglich Schwule und Lesben mit Bolschewiki; Eltern wurden von der Kirche aufgefordert, gegen die sexuelle Aufklärung ihrer Kinder in Schulen bei der Bildungsbehörde zu protestieren. Die Regierung unterstützt solche Bemühungen der Kirche mit üppigen Dotationen. Für Kaczynski ist die Kirche ein wesentliches Element des Polentums; außer der Kirche gebe es nur Nihilismus, sagte er bei einer Wahlkampfveranstaltung.

Jarosław Kaczynski baut seit inzwischen vier Jahren die Demokratie in Polen konsequent zurück, und es ist davon auszugehen, dass sich dieser Prozess nach einem absehbaren Sieg der PiS bei den Parlamentswahlen im Oktober beschleunigt. Nicht zuletzt der EU dürften deshalb die größten Herausforderungen im Umgang mit diesem gespaltenen Land erst noch bevorstehen.

Dieser Text ist in der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können. 

 

Jetzt Ausgabe kaufen

 

 

Anzeige