Jair Bolsonaro, neuer Präsident von Brasilien - Der Spalter

Die Brasilianer haben mit Jair Bolsonaro einen Rechtsextremen zum Präsidenten gewählt. An konkreten Vorschlägen hat er wenig zu bieten, sein Erfolg speist sich vor allem aus dem Hass gegen die Arbeiterpartei. Brasilien droht ins politische Chaos abzugleiten

Mit Bolsonaro rückt Brasilien in die Riege der Länder ein, die von autoritär denkenden Männern geführt werden / picture alliance
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Philipp Lichterbeck lebt seit 2012 als freier Journalist und Autor in Rio de Janeiro. Er berichtet aus Brasilien und dem Rest Lateinamerikas für Medien in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

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Jair Bolsonaro wird neuer Präsident Brasiliens. Das bedeutet, dass das größte Land Lateinamerikas, derzeit neuntgrößte Volkswirtschaft der Welt, ab dem 1. Januar 2019 von einem Rechtsextremen geführt wird. Bolsonaro hat die Wahlen am vergangenen Sonntag deutlich mit 55 zu 45 Prozent gegen Fernando Haddad von der linken Arbeiterpartei (PT) gewonnen. Damit rückt Brasilien in die Riege der Länder ein, die von autoritär denkenden Männern geführt werden, die Konsens und Diskussion als störend empfinden und sich selbst für unfehlbar halten.

Kein Programm, außer Hassreden

Mit Bolsonaro kommt damit ein Mann an die Macht, der 27 Jahre lang im Parlament saß, ohne irgendetwas Nennenswertes geleistet zu haben, außer mit Hassreden gegen Minderheiten und politische Gegner für Aufruhr zu sorgen. In Deutschland hätte er unzählige Prozesse wegen Volksverhetzung am Hals. Das ist aber gar nicht das Erstaunlichste. Viel überraschender ist, dass Bolsonaro die Wahl gewinnen konnte ohne ein richtiges Regierungsprogramm zu haben. Er hat nie konkretisiert, was er vorhat, sollte er in den Präsidentenpalast in Brasilia einziehen. Diese Konzeptlosigkeit war einer der Gründe, warum er sich weigerte, zu den Fernsehdebatten gegen seinen Konkurrenten Haddad zu erscheinen. Stattdessen führte Bolsonaro seinen Wahlkampf zuletzt nur noch über die sozialen Netzwerke, insbesondere über Whatsapp-Gruppen, in denen seine Kampagne unzählige Lügen und Halbwahrheiten verbreitete. Bolsonaro übernahm diese Strategie, nachdem sich einer seiner Söhne mit dem ehemaligen Trump-Berater Steven Bannon getroffen hatte.

Wenn Bolsonaro sich doch einmal frei äußerte, verwickelte er sich in Widersprüche. So kündigte er etwa zunächst an, dass er alle brasilianischen Staatsbetriebe privatisieren werde. Dann aber nahm er den Ölkonzern Petrobras und andere Unternehmen wieder aus. Dem Playboy sagte er, dass er es vorziehe, sein Sohn stürbe, als dass er schwul sei. Später sagte er, dass er nichts gegen Schwule habe, ja, dass er sich nie abfällig über sie geäußert habe. Einmal versprach er den Abbau von Arbeitnehmerrechten. Man könne sich in Zukunft aussuchen, ob man Arbeit und weniger Rechte oder alle Rechte und keine Arbeit haben wolle. Dann aber liefen Werbespots im Radio, die behaupteten, es sei ein Lüge der Linken, dass Bolsonaro Arbeitnehmerrechte abbauen wolle. Schließlich beschränkte sich Bolsonaros Kampagne auf die Verbreitung national-christlicher Parolen, wie „Brasilien über alles, Gott über allen“ oder „Meine Partei ist Brasilien“ oder „Brasiliens Fahne wird niemals rot sein“.

Profiteur vom Groll auf die Arbeiterpartei

Bolsonaro wurde also weniger für sein politisches Programm gewählt, sondern als Ausdruck der tiefen Ablehnung vieler Brasilianer gegen die PT. Die Arbeiterpartei regierte zwischen 2003 und 2016 und führte das Land nach Meinung vieler dabei in den Abgrund. Die gestiegene Kriminalität mit jährlich fast 64.000 Morden, die Korruption in der Politik, die schwere Wirtschaftskrise mit 13 Millionen Arbeitslosen sowie die schlimmen Zustände im Gesundheits- und Bildungssystem – für all das wird die PT allein verantwortlich gemacht.

Tatsächlich aber regierte die PT Brasilien in den Nullerjahren relativ erfolgreich, führte etwa Sozialprogramme ein, die die Mittelschicht enorm anwachsen ließen. Dann aber glitt Brasilien in eine tiefe Wirtschaftskrise ab, die die strukturellen Mängel des Landes offenbarten. Gleichzeitig wurde die PT (wie alle großen Parteien des Landes) in gigantische Korruptionsskandale verwickelt. Vielen Brasilianern gilt sie deswegen heute als „kriminelle Organisation“, deren Ziel es ist, Brasilien auszuplündern und in eine kommunistische Diktatur nach venezolanischem Vorbild zu verwandeln. Das ist zwar Unsinn, aber viele Brasilianer sind davon felsenfest überzeugt. Bolsonaro ist der große Profiteur dieser Anti-PT-Stimmung. Und er hat die extreme Polarisierung zwischen Links und Rechts in Brasilien weiter voran getrieben. Sie wird von der Rechten immer gewalttätiger geführt: In der Wahlnacht kam es bereits zu Angriffen von Bolsonaro-Fans auf politische Gegner. Während der Siegesfeiern brüllten viele: „Tod der PT!“

Mit Gott und Generälen an seiner Seite

Bolsonaro steht für den Wunsch vieler Brasilianer nach einem großen konservativen Aufräumer. Es wird erwartetet, dass er mit Kriminellen kurzen Prozess macht, so sollen etwa Polizisten straffrei töten dürfen. Er soll auch die Korruption in der Politik schlagartig beenden – und die Ordnung wieder herstellen in einer Gesellschaft, die vielen aus den Angeln geraten zu sein scheint. Sprich: Schluss mit der „Gender-Ideologie“ sowie linken Lehrern und Professoren, die ihre giftige Ideologie verbreiten. Schluss mit sozialen Organisationen wie der Landlosenbewegung und ausländischen NGOs wie Amnesty International, die Aufruhr ins Land tragen. Schluss mit der Lügen-Presse, die angeblich nicht die Wahrheit über Bolsonaro berichtet. Schluss mit einer pervertierten Kunst, „die keine Werte schafft“, wie Bolsonaro es formuliert. Schluss auch mit dem Unglauben – demonstrativ hat Bolsonaro am Wahlabend vor laufenden Kameras mit einem konservativen evangelikalen Pastor gebetet, der Gott für Bolsonaros Sieg dankte.

Bolsonaro hat keinerlei Regierungserfahrung, aber eine Menge radikaler Rhetorik. In seiner Regierung sollen Generäle eine große Rolle spielen. Außerdem will er sich von Gott leiten lassen. Eins seiner zentralen Versprechen lautet, dass er die Wirtschaft ankurbeln und Brasilien wieder groß machen werde. Sollte es ihm tatsächlich gelingen, einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeizuführen (etwa durch den raschen Abbau von Investitionshindernissen), könnte Brasilien sich kurzzeitig beruhigen. Viel eher steht aber zu befürchten, dass der selbstherrliche, aggressive und unberechenbare Bolsonaro die Polarisierung der brasilianischen Gesellschaft weiter vorantreibt und das Land ins politische Chaos führt.  

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