Italiens Regierung - Küsschen, Küsschen

Mit dem Haushaltsplan für 2019 geht Italien erneut auf Konfrontationskurs zur EU: Zur Finanzierung kostspieliger Wahlversprechen plant die Regierung eine hohe Neuverschuldung. Hinter dem Entwurf steckt vor allem der euroskeptische Innenminister Matteo Salvini. Ein Porträt

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Umjumbelt wie ein Popstar: Italiens Innenminister Matteo Salvini / picture alliance
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Petra Reski lebt in Venedig, schreibt über Italien und immer wieder über die Mafia. Zuletzt erschien ihr Roman „Bei aller Liebe“ (Hoffmann&Campe). Foto Paul Schirnhofer

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An dem Tag, an dem Matteo Salvini nicht in den Nachrichten auftaucht, dürfte in Italien wohl der Notstand ausgerufen werden. In der Flüchtlingskrise gibt er den Feldherrn, beim venezianischen Filmfestival den Superstar, bei der Prozession die Madonna. Und angesichts seiner nie versiegenden Mitteilungsflut auf Twitter, Facebook und Instagram fragen sich manche Landsleute, ob Salvini als Innenminister, stellvertretender Ministerpräsident und Parteivorsitzender der Lega nicht ausgelastet genug ist. Im Wassertaxi eskortiert von Polizeibooten, beim Gala-Essen am Canal Grande umschwärmt vom Hofstaat, der einst zu Berlusconi gehörte, am Strand seine Freundin küssend, die Moderatorin Elisa Isoardi. Da wurde sie gerade mit dem Diva&Donna-Preis geehrt, der den Koryphäen des italienischen Vorabendprogramms vorbehalten ist.

Wenn man ihn nur ließe, würde Matteo Salvini wahrscheinlich auch die Führung des Weltraums übernehmen – unter dem Motto „Italien zuerst!“, natürlich. Er hat nicht nur von Trump gelernt – sondern auch von Marine Le Pen, von Geert Wilders, von Viktor Orbán. Und nicht zuletzt von Wladimir Putin, den er wegen italienischer Begehrlichkeiten nach russischem Gas in der Krimkrise unterstützte und dafür 2014 mit einem Treffen bei Tee und Keksen belohnt wurde. Salvini machte sich als Gegner der Russlandsanktionen der EU stark, was ihm die Stimmen italienischer Unternehmer einbrachte. Putin war auf der Suche nach neuen Ansprechpartnern in Europa und wurde bei Salvini fündig, der 1997 mit Hammer und Sichel als „padanischer Kommunist“ in das „Padanische Parlament“ eingezogen war, das Umberto Bossi auf dem Höhepunkt der Lega Nord geschaffen hatte.

Retter seiner Partei

Damals war Salvini noch ein linker Junge, der sich in die Separatismusbestrebungen der Lega verliebt hatte. Als Parteivorsitzender schaffte er später nicht nur Padanien ab, sondern auch den Separatismus: Salvini ließ das „Nord“ streichen, zog sich ein Sweatshirt mit dem Aufdruck „Napoli“ über, beteuerte, dass sein Ausspruch „Neapolitaner stinken“ nur als Stadionspruch gemeint gewesen sei und diente sich all jenen Italienern als Schutzpatron an, die sich seit der Vergreisung Berlusconis und dem Niedergang der kommunistischen Partei heimatlos fühlen: ein guter Junge, der alten Damen die Einkaufstasche trägt, mit vor dem Herzen gefalteten Händen grüßt und Gegnern einen Kopfstoß verpasst, wenn sie nicht damit rechnen.

Der 45-jährige Matteo Salvini lebt seit fast 30 Jahren von der Politik (wenn man von dem einen Jahr im Fastfood-Restaurant Burghy absieht, wo er sich bis zum Abbruch des Studiums Geld verdient hatte). 1990 Eintritt in die Lega, mit 20 ist er Stadtrat in Mailand, acht Jahre später Provinzsekretär der Lega Mailand, wo er sich weigert, dem damaligen Staatspräsidenten Ciampi die Hand zu schütteln. Für sein „Nein, Sie repräsentieren mich nicht!“ wird Salvini von seinen Anhängern noch heute gefeiert. Die nächsten Jahrzehnte verbringt er als Europaparlamentarier und Retter seiner Partei.

Bejubelt wie ein Heiliger

Als 2012 bekannt wird, dass nicht das „räuberische Rom“ die Italiener beklaute, sondern die Lega selbst (deren Schatzmeister investierte die Gelder der Partei in Diamanten, Gold sowie in die Familie Bossi samt ihrer Günstlinge), lässt Salvini den Parteigründer Umberto Bossi fallen und stellt sich an die Seite des neuen Parteisekretärs Roberto Maroni. Der italienische Staat allerdings verklagte die Lega auf die Rückerstattung der staatlichen Parteigelder. Und als ein Gericht in Genua in diesem Spätsommer entschied, dass 49 Millionen Euro aus der Parteikasse der Lega zu beschlagnahmen seien, empörte sich Salvini: „Wie in der Türkei werden auch in Italien politische Prozesse gegen Parteien geführt.“

Kurz nach dem Richterspruch wird er auf der Santa-Rosa-Prozession von Viterbo bejubelt wie ein Heiliger, auf der Trauerfeier für die Opfer des Brückenunglücks von Genua zusammen mit den Fünf-Sterne-Ministern mit Beifall überschüttet. Es spielt keine Rolle mehr, dass Salvini im Jahr 2008 als Senator der Lega ein Dekret zur Rettung der Industriellenfamilie Benetton unterzeichnet hatte; vergessen auch, dass es die Lega war, die Berlusconi 17 Jahre lang an der Macht hielt. Ebenso, dass Salvini die neofaschistische Bewegung Casapound zum Stimmenfang nutzte. Matteo Salvini bleibt der Mann der Stunde.

Lega zur Zeit stärkste Partei im Land

Menschen, die sich übergangen fühlen, sind empfänglich für einfache Wahrheiten – dafür hat Salvini ein Gespür wie kein Zweiter. Ihm gelingt es, linke Begriffe als rechts zu interpretieren und umgekehrt. In Fabriken spricht er mit Gewerkschaftsführern über den Schutz von Arbeitnehmern und Rentnern, im Europäischen Parlament verlangt er das Schließen der Grenzen und ein hartes Vorgehen gegen Illegalität. Und bevor bei den Italienern die Erinnerung wieder einsetzt, nähert sich ein neues Flüchtlingsboot. Salvini braucht die Migranten wie ein Verdurstender das Wasser in der Wüste: Seine Blockade der Diciotti, dem Schiff der Küstenwache, auf dem 177 Migranten tagelang festsaßen, weil Salvini als Innenminister deren Landgang verhinderte, hat ihm neben dem Heldenstatus auch ein Ermittlungsverfahren eingebracht: Eine Ehre seien diese Ermittlungen für ihn, verkündete Salvini. Dass die Blockade nur ein Pyrrhussieg war, bekam dagegen kaum jemand mehr mit: Nachdem sich Irland und Albanien bereit erklärt hatten, Migranten aufzunehmen, durften sie an Land gehen – und werden in Italien bleiben, weil kein Flüchtling gegen seinen Willen gezwungen werden kann, nach Albanien oder Irland weiterzuziehen.

Küsschen, Küsschen, seine Lieblings-Emojis, schickte Salvini per Instagram denn auch an die Demonstranten, die in Venedig ein „Salvini not welcome“-Banner an der Rialtobrücke aufgehängt hatten. Was kümmert es die Eiche, wenn sich die Sau an ihr kratzt? Schließlich hat Salvini gerade den besten Lauf seiner Karriere: Die Lega ist in Umfragen zur stärksten Partei im Land aufgestiegen; mehr als 30 Prozent der Italiener würden sie wählen, womit sie ihren Koalitionspartner, die Fünf-Sterne-Bewegung, überrundet hat. Und das schon nach drei Monaten an der Regierung.

Investitionen in Straßenbauprojekte

„Endlich einer, der sich Europa entgegenstellt“, heißt es oft über Matteo Salvini. Und viele europäische Politiker leisten ihm dabei gern Schützenhilfe: Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš etwa lehnte dankend ab, als Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte ihn aufforderte, nur einen einzigen Migranten aufzunehmen; an dem von der EU einberufenen Gipfel nehmen nur zwölf von 27 Mitgliedstaaten teil. Alle berufen sich auf die Dublin-Verordnung, der zufolge ein Flüchtling in jenem Staat um Asyl bitten muss, in dem er den EU-Raum erstmals betreten hat. Verheerend für ein küstenreiches Land wie Italien. Auch wenn die Zahl der ankommenden Migranten in Italien seit vergangenem Jahr zurückgegangen ist (allein im ersten Halbjahr um 82 Prozent), taugt Salvinis Armdrücken immer noch, um sich als starker Mann zu präsentieren. Dies umso mehr, wenn von der europäischen Solidarität mit Italien nicht viel übrig bleibt: Im Juli erklärten sich Frankreich, Deutschland, Spanien, Portugal und Malta bereit, jeweils 50 Flüchtlinge abzunehmen – am Ende hielt nur Frankreich sein Versprechen ein.

Mit großer Verve treibt Salvini auch den Bau einer Autobahn voran, die ein Fetisch der Lega ist: die „Pedemontana“, die Vicenza und Treviso verbinden soll, Italiens größtes öffentliches Bauprojekt. Hundert Kilometer Autobahn, deren private Betreiber von der Lega-Regierung des Veneto äußerst großzügig bedacht wurden: Investitionen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro, ohne jedes unternehmerische Risiko. Für den Löwenanteil am Bau der 12,1 Milliarden Euro teuren Autobahn kommen die Steuerzahler des Veneto auf. Davon ist allerdings keine Rede, als Matteo Salvini unter den goldenen Kassettendecken der Scuola Grande di San Rocco in Venedig für den Bau der Autobahn ein „Protokoll der Legalität“ unterzeichnet. Es soll garantieren, dass keine mafiosen Unternehmen am Bauprojekt beteiligt sind – allerdings bedarf es kaum noch der Mafia, wenn eine Gewinnspanne von 62 Prozent auch mit ganz legalen Mitteln möglich ist.

So präsentiert sich Salvini als Hüter der großen Infrastrukturprojekte Italiens – und damit als Ansprechpartner jener Lobbys, die ihrer einstigen Gönner verlustig gegangen sind: Partito Democratico und Forza Italia befinden sich im freien Fall. Und die Fünf Sterne haben mit ihrer Ablehnung von Großprojekten die zurückliegenden Wahlen gewonnen. Bleibt nur Salvini, der Mann der Stunde.

Zahlen und Fakten spielen keine Rolle

Als solcher lobt er auch die Trans-Adria-
Pipeline (TAP), eine Gasleitung, die auf Wunsch der Energielobbys und einem Konsortium aus privaten Investoren von Aserbaidschan durch Albanien, Griechenland und die Adria nach Italien verlegt werden soll. Was bei Salvinis Koalitionspartner, der Fünf-Sterne-Bewegung, Schnappatmung auslöst: Der Widerstand gegen die TAP, die durch einen tausendjährigen Olivenhain in Apulien führen soll, war eines der Themen ihres Wahlkampfs. Wenn Familien und Unternehmen dank der TAP 10 Prozent weniger für ihr Gas zahlen müssten, sei der Bau der Pipeline für den wirtschaftlichen Aufschwung Süditaliens unerlässlich, diktierte Salvini den Journalisten in den Block – und brachte damit in einem Satz all jene Zauberworte unter, die ihm Zulauf verschaffen: Familie, Unternehmen, weniger zahlen, wirtschaftlicher Aufschwung.

Zahlen und Fakten spielen keine Rolle, wenn sich nur ab und zu publikumswirksam ein Flüchtlingsschiff blockieren lässt. Und falls das seinem Koalitionspartner nicht passen sollte, weil die Fünf Sterne eine anspruchsvollere Wählerschaft haben als die Lega, bleibt immer noch die große rechte Allianz: Bei Neuwahlen könnte Salvini mit dem Rest von Berlusconis Forza Italia und der kleinen postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) die Mehrheit erlangen. Damit wäre der Weg frei, um in Europa eine Allianz der Migrationsgegner zu schmieden.


Dies ist ein Text aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.















 

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