Waffenruhe in Nahost - Die Verlierer haben gewonnen

In Gaza und Israel schweigen die Waffen. Israel hat gewonnen, weil es Dominanz bewiesen hat; und die Hamas hat gewonnen, weil sie nicht verloren hat. Für einen Frieden ist das zu wenig. Und auch sonst gibt es wenig Raum für echte Hoffnung.

Palästinenser gehen an Gebäuden vorbei, die durch israelische Luftangriffe zerstört wurden / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Dem Bundesaußenminister ist nicht nachzutragen, dass er auf die Beendigung des Krieges zwischen Gaza und Israel keinen Einfluss nehmen konnte. Das hatte niemand erhofft. Auch das Auswärtige Amt hatte die Erwartungen zuvor so fein zerstäubert, dass kein Maßstab daraus gedrechselt werden konnte. „Deutschland bemüht sich mit seinen internationalen Partnern um eine Beruhigung der Lage und um die Eröffnung von Perspektiven für die Zeit danach. Dazu reist Außenminister Maas heute nach Tel Aviv, Jerusalem und Ramallah“, verkündete das Amt. 

Hätte das Auftreten von Maas nicht harsche Kritik der Hamas hervorgerufen, wäre die ganze Reise unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung geblieben. Das ist für den Minister, dessen Amt für seine Partei im Bundestagswahlkampf eigentlich ein politisches Pfund auf die Waagschale wuchten müsste, äußerst misslich. Für den Nahostkonflikt ist dies allerdings ohne Belang. Denn hier bleibt nach der Waffenruhe alles gleich und ist doch nach dem Waffengang vieles ganz anders.

Dominante Kraft der Palästinenser

Gleich bleibt die Lage zwischen Israel und Gaza. Der Krieg endete, als beide Seiten ihre politischen und militärischen Ziele erreicht hatten. Die Hamas hatte durch den Abschuss von 4.300 Raketen ihr politisches Ziel erreicht, vor aller Augen zur dominanten politischen Kraft der Palästinenser zu werden. Militärisch hat sie den Krieg gewonnen, weil sie ihn gegen den haushoch überlegenen Gegner Israel nicht verloren hat. Das mag eine schräge Logik sein, aber sie bestimmt die Wahrnehmung auf dieser Seite. Israel hat das politische Ziel erreicht, die eigene Dominanz im Konflikt bewiesen zu haben, auch wenn der Schutz der eigenen Bevölkerung durch die massiven Angriffe litt. Militärisch wurden präzise Schläge gegen mutmaßliche militärische Ziele und Anführer der Hamas geführt. Beide Seiten sind in der jahrelangen militärischen Auseinandersetzung nun erneut in eine Pause eingetreten. Ob sie zukünftig durch eine erneute Eskalation beendet wird oder zuvor Bedingungen für eine Lösung des Konflikts gefunden werden können, hängt wesentlich von den Faktoren ab, die sich geändert haben. Vier stechen heraus.

In den USA dreht die Stimmung gegen Israel. Zwar hat die Regierung Biden das Recht Israels, sich selbst zu verteidigen, betont, aber zunehmend mit dem Hinweis versehen, dabei Zurückhaltung zu üben. Am Ende war der Druck auf eine Waffenruhe deutlich zu spüren. Denn laut vernehmbare Gruppen der Demokratischen Partei forderten die Regierung dazu auf, die Unterstützung für Israel mit Konditionen zu versehen. Auf den Punkt gebracht: Ohne Verständigung mit den Palästinensern gibt es keine militärische und finanzielle Hilfe mehr. Wurde in den USA bisher hölzern über „Zwei-Staaten-Lösung“ und „Land gegen Frieden“ diskutiert, bilden sich die Abwägungen nun ganz anders aus: Israel als Kolonialmacht, die Palästinenser aufgrund ihrer Herkunft unterdrückt. Struktureller Rassismus und Polizeigewalt. Palestinian Lives Matter! Damit erschließt sich einer ganzen Generation dieser Konflikt neu, wird an die innenpolitische Auseinandersetzung in den USA anschlussfähig und verändert die politische Bewertung. Für Israel liegt hierin derzeit die größte Gefährdung seiner Sicherheit. 

Volk ohne Führung

Jedes Gespräch über die Lösung des Konflikts setzt voraus, dass die Betroffenen miteinander sprechen. Das ist eine Binse und führt ins Dilemma. Präsident Abbas empfing zwar hochrangige Besucher. Aber die hätten auch Franz Beckenbauer aufsuchen können. Beide haben gleichviel Einfluss auf die Hamas. Kurz gesagt: Die Palästinenser stehen ohne Führung da und haben international keine Stimme, weshalb unklar ist, mit wem die Verhandler überhaupt reden. Die Fatah ist korrupt,  abgewirtschaftet und ihr Einfluss schwindet nun noch mehr. Die Hamas stilisiert sich zur Verteidigerin Jerusalems und der Al-Aksa-Moschee. Aber da sie von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird, finden keine direkten Verhandlungen statt. Weswegen Ägypten die Rolle des Vermittlers einnehmen musste. Müssen diejenigen, die den Konflikt seriös bearbeiten wollen, mit der Hamas reden? Unter welchen Bedingungen?

Deutlich wurde, dass die Nahostpolitik von Präsident Trump endgültig die arabische Solidarität mit den palästinensischen Anliegen gebrochen hat. Die Hamas kann für die Zukunft nicht erwarten, stärkere Unterstützung zu erhalten. Sie bleibt auf Iran angewiesen und muss deshalb bangen, welche Entwicklungen aus den Verhandlungen um die Neueinsetzung des Nuklearabkommens folgen. Wie entwickelt sich der Iran jenseits des Sanktionsregimes? Hier liegt für die Hamas künftig das größte Sicherheitsrisiko. Denn ohne Iran kann sie ihre Waffenarsenale nicht neu füllen. 

Ungewisse Zukunft

Schließlich kann sich die Lage in Israel ändern. Die Warnung vor einem Bürgerkrieg, die Präsident Rivlin äußerte, erschreckte das Land. Jüdische und arabische Israelis bedrohten sich gegenseitig und griffen einander an. Welche Schlüsse von den politischen Kräften des Landes aus dieser Lage gezogen werden, wird ebenfalls über den weiteren Verlauf des Nahostkonflikts entscheiden. 


 
 

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