Israel-Abkommen mit Golfstaaten - „Morgendämmerung eines neuen Nahen Ostens“

Wie auch immer man zu den Israel-Abkommen mit Bahrain und VAE stehen mag, eines steht fest: Etwas Grundsätzliches hat sich verschoben im Nahen Osten. Die Reaktionen aus Europa sind bemerkenswert verhalten. Dabei ist gerade eine neue Zeit für einen anderen Weg angebrochen.

Der Schriftzug Peace (Frieden) leuchtet auf dem Rathaus von Tel Aviv / dpa
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Mareike Enghusen berichtet als freie Journalistin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vornehmlich aus Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten. Sie hat Politik- und Nahostwissenschaften studiert und ihre journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule absolviert.

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„Salam… Shalom… Peace!“ So lautete die Titelzeile der saudi-arabischen Zeitung Arab News am Mittwoch, einen Tag nach der Unterzeichnung der Abraham-Abkommen zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain. Das bahrainische Blatt Al-Watan beschwor die „Morgendämmerung eines neuen Nahen Ostens“ herauf, und der Dubai-Standard aus den Emiraten feierte einen „historischen Friedensschluss“. Auffallend verhalten dagegen die Reaktionen aus Europa: „Das Abkommen zwischen Israel, Bahrain und den Emiraten rettet Donald Trumps diplomatische Bilanz“, befand Le Monde und traf damit den Ton vieler europäischer Kommentatoren.

Es hat etwas Absurdes: Arabische Medien bejubeln den Friedensschluss mit Israel, während europäische Beobachter allenfalls lauwarme Worte finden. Wie auch immer man zu den Abkommen stehen mag, eines steht fest: Etwas Grundsätzliches hat sich verschoben im Nahen Osten.

Friedensschluss mit Saudis in greifbarer Nähe

Vor fast genau 53 Jahren, am 1. September 1967, verkündete die Arabische Liga ihre berühmten „drei Neins“: nein zu Frieden mit Israel, nein zu Anerkennung Israels, nein zu Verhandlungen mit Israel. Sechs Jahre später attackierte eine Allianz aus arabischen Ländern, darunter Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien, den Jüdischen Staat an Yom Kippur und fügte ihm schwere Verluste sowie ein kollektives Trauma zu. Nach Israels Friedensschlüssen mit Ägypten 1979 und Jordanien 1994 verbündeten sich die übrigen arabischen Staaten zwar nicht mehr zu gemeinsamen Angriffen, doch an der Formel der „drei Neins“ hielten sie fest – bis zum 13. August 2020.

An jenem Tag brachen die VAE das Eis und verkündeten die Normalisierung der Beziehungen zu Israel. Bahrain folgte nur Wochen später, während Oman das Abkommen begrüßte und Saudi-Arabien seinen Luftraum für israelische Flugzeuge öffnete. Auch wenn der saudische König als genuiner Sympathisant der palästinensischen Sache gilt, wähnen viele israelische Analysten einen Friedensschluss mit den Saudis in greifbarer Nähe – aus israelischer Sicht der ultimative Preis.

Strategische Prioritäten haben sich verändert

Doch schon die Symbolkraft der Abraham-Abkommen ist mächtig, brechen sie doch mit der Jahrzehnte alten Prämisse, der Weg zu einem arabisch-israelischen Frieden führe über einen Palästinenserstaat. Zwar taten sich manche Golfstaaten über Jahre vorwiegend verbal als Kämpfer der palästinensischen Sache hervor, während sie regen Austausch mit israelischen Unternehmern und Geheimdienstlern pflegten.

Dennoch: Die Bereitschaft der VAE und Bahrains, die alte Fassade vor den Augen der Welt einzureißen, beweist, wie sehr ihre strategischen Prioritäten sich verändert haben. Wirtschaftlicher und technologischer Austausch, Rückendeckung im Ringen mit dem Iran sowie eine gehobene Reputation in Washington zählen den beiden Monarchien mehr als ihre lädierte Glaubwürdigkeit gegenüber den Palästinensern.

Ende einer Feindschaft, die als selbstverständlich galt

Die Frage, ob die Abkommen Trump beim Wahlkampf helfen, mag für USA-Interessierte relevant sein. Warum sie als Maßstab dienen sollte, den doppelten Friedensschluss zu bewerten, erschließt sich allerdings nicht. In einer komplexen Welt wie der unseren sollte es vorstellbar sein, dass ein Ereignis sowohl Trump als auch einer höheren Sache dienen kann. Für Israel und die beteiligten Golfstaaten ist das Abkommen von Wert, andernfalls hätten sie kaum unterschrieben:

Sie freuen sich auf Handel, technologischen und akademischen Austausch, Tourismus, Sicherheitskooperation, im Falle der Golfstaaten vielleicht auch auf Sicherheitsgarantien und Waffenlieferungen aus Washington. Höherer Wohlstand ist für die beteiligten Länder und ihre Bewohner eine gute Sache, ebenso wie persönliche Begegnungen zwischen jüdischen Israelis und muslimischen Arabern in einer Region, in der die Feindschaft zwischen beiden Gruppen jahrzehntelang als selbstverständlich galt.

Aus europäischer Sicht wenig zu bedauern

Manche fürchten, der öffentliche Schulterschluss Israels mit zwei sunnitisch-arabischen Golfstaaten, die dem Iran misstrauisch gegenüberstehen, könnte die „strategische Balance“ der Region stören oder den Iran gar zu riskanten Manövern provozieren. Doch sollte die strategische Position der Islamischen Republik Iran tatsächlich unter den Abraham-Abkommen leiden, gibt es aus europäischer Sicht wenig zu bedauern, schließlich richten Irans Revolutionswächter und mit ihnen verbündete Milizen in der Region viel Leid an. Und dass sich der Iran eher von der Stärke seines Gegners anstacheln lässt als von dessen Schwäche, widerspricht Logik wie Erfahrung.

Und die Palästinenser? Die palästinensische Führung in Ramallah sowie die Terrororganisation Hamas in Gaza haben die Abkommen verdammt: als Verrat der palästinensischen Sache, als Ausverkauf der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem. Auch andere mahnen, die Chancen auf eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts würden von ihrer ohnehin schlechten Lage in ungekannte Tiefen sinken, wenn Israel über die Köpfe der Palästinenser hinweg Freundschaft mit den Golfstaaten schließt.

Mehrheit gegen Palästinenserstaat

Doch auch der Jahrzehnte lange Kollektiv-Boykott der arabischen Staaten hat den Palästinensern keinen Staat verschafft, ebenso wenig wie palästinensische Aufstände, Terroranschläge, UN-Resolutionen und diplomatische Ermahnungen. Dass viele Palästinenser sich vergessen fühlen, sogar verraten von ihren einstigen Verbündeten, mag menschlich verständlich sein. Eine Strategie ist es nicht. Die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah verweigert sich Gesprächen mit den USA und beharrt auf der alten Formel: ein Staat in den Grenzen von 1967 mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Ungeachtet der Frage nach historischer Gerechtigkeit – die Geschichte ist selten gerecht – führen diese Forderungen ins Leere.

Weitreichende Angebote der israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak (2000) und Ehud Olmerts (2008) lehnte die Palästinenserführung ab. Seitdem hat sich die politische Stimmung in Israel gewandelt, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Zweiten Intifada mit ihren Terroranschlägen. So schmerzhaft es sein mag: Kein zukünftiger israelischer Premier wird den Palästinensern ein Angebot machen, wie es Barak und Olmert taten, vom aktuellen ganz zu schweigen. Die meisten rechten Politiker, die im heutigen Israel die Mehrheit hinter sich wissen, lehnen einen Palästinenserstaat rundheraus ab. Die Abraham-Abkommen ändern daran nichts.

Zeit für einen anderen Weg

Doch ganz allein sind die Palästinenser nicht. In den Bevölkerungen der Region genießen sie leidenschaftliche Unterstützung. Jene arabischen Herrscher, die nun mit Israel Frieden schließen, werden das Thema nicht ignorieren können, ganz besonders nicht in Zeiten von Social Media. Eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts sollte in ihrem Interesse sein, ebenso wie im Interesse der Israelis.

Und so schwer sie zu finden sein mag – es gibt keinen Grund, warum gute und direkte Beziehungen zwischen Israel und arabischen Staaten dabei hinderlicher sein sollten als ein kalter Krieg. Der hatte Jahrzehnte lang Gelegenheit, seine vermeintliche Wirkung zu beweisen. Es ist Zeit für einen anderen Weg.

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