70 Jahre Israel - Die offene Wunde

Israel begeht den 70. Jahrestag seiner Staatsgründung wie ein Volksfest. Aber gleich zum Auftakt zeigen sich die dunklen Seiten der Erfolgsgeschichte. Die Grenzen sind noch immer nicht geklärt, die Bedrohungen bleiben – vor allem aus dem Iran. Ein Bericht aus Tel Aviv

Die israelische Botschaft war eindeutig: Wenn es darauf ankommt, schlagen wir zurück / picture alliance
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Autoreninfo

Werner Sonne, langjähriger ARD-Korrespondent in Washington, ist der Autor mehrerer Bücher zu diesem Thema, u.a.  „Leben mit der Bombe“, sowie des jüngst erschienenen Romans „Die Rache des Falken“. 

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Der abendliche Himmel über Tel Aviv war angefüllt mit immer neuem bunten Feuerwerk, das stundenlang anhielt. In Jerusalem wurde die größte und teuerste Show in der Geschichte des Landes inszeniert. Auf dem Herzl-Berg wurde die traditionelle Zeremonie des Anzündens einer Flamme durch Vertreter unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zur Demonstration von Einigkeit und Stärke genutzt. Zum 70. Jahrestag seiner Staatsgründung feierte die israelische Bevölkerung den freien Tag wie ein großes Volksfest. Aber zum Auftakt zeigte sich auch die andere Seite: Am Übergang von der palästinensischen Westbank nach Israel wurde ein Lieferwagen gestoppt, der mit Sprengstoff für ein Attentat beladen war, um an diesem Feiertag ein Blutbad anzurichten.

Premierminister Benjamin Netanjahu, der sich gegen alle Bräuche als Redner in die Feier gedrängt hatte, lieferte eine kraftstrotzende Rede ab und betonte, Israel sei stärker als je zuvor. In nochmal 70 Jahren werde Israel noch siebenmal stärker sein – eine deutliche Warnung an die Feinde des Staates der Juden, dass sich Israel allen Angriffen militärisch widersetzen werde. Das wurde am Strand von Tel Aviv durch eine massive Show der israelischen Luftwaffe unterstrichen. Immer dieselbe Botschaft: Seht her, wir lassen uns nicht unterkriegen, und wenn es darauf ankommt, sind wir bereit, zurückzuschlagen.

Staatsgrenze bleibt ungeklärt

Sieben Jahrzehnte seit seiner Gründung ist das militärisch offensichtlich, nicht zuletzt durch Israels Atomwaffen. Wirtschaftlich ist der Staat mit nur 8 Millionen Einwohnern spätestens seit der gerade erst begonnenen Ausbeutung der Gasfelder vor seiner Küste ein wichtiger Faktor im Mittleren Osten, dazu ein führender Champion auf dem Weltmarkt in der Wissenschaft und vor allem im Cyberbereich.

Dennoch ist Israel auch an diesem Feiertag weit davon entfernt, ein Staat wie jeder andere zu sein. Noch immer ist die Frage seiner endgültigen Grenzen und damit seiner Staatsform eine offene Wunde. Noch immer wirkt nach, dass sich seit 1948 zwei Völker um dasselbe Gebiet streiten, ohne dass eine Lösung in Sicht ist. Es ist klar, dass der arabische Traum, die Juden zurück ins Meer zu treiben, nicht aufgegangen ist. Trotzdem sind beide Seiten nicht bereit, einen Schlussstrich zu ziehen.

Im Gegenteil: An diesem Feiertag ist die von der Weltgemeinschaft geforderte Zwei-Staaten-Lösung so weit entfernt wie lange nicht. Das war schon mal ganz anders. US-Präsident Bill Clinton brachte einen historischen Handschlag zwischen dem damaligen Premierminister Israels Jitzak Rabin und PLO-Chef Jassir Arafat zustande. Jeweils ein Staat für die beide Völker, das schien nun endlich möglich.

Die vergebene Chance

Doch Rabin wurde von einem jüdischen Extremisten ermordet. Arafat brachte es nicht fertig, seinen Landsleuten die notwendigen Konzessionen abzuringen, vor allem den Palästinensern in der Diaspora. Im Kern wäre dies der Verzicht auf ein Rückkehrrecht in die alte Heimat im neuen jüdischen Staat gewesen. Stattdessen zettelte er zweimal eine Intifada an, einen gewalttätigen Aufstand. Beide schlug Israel brutal nieder. Es gab Tausende Tote auf beiden Seiten. Bis heute ist auch sein Nachfolger Mahmud Abbas nicht in der Lage, die notwendigen Zugeständnisse zu machen. Nicht einmal im eigenen Lager kann er Einigkeit erreichen, die Beziehungen zur Hamas in Gaza bleiben trotz aller Beteuerungen ein Desaster. 

Gleichzeitig nutzten die Siedler ihre Chance. In den besetzten Gebieten entstanden über 100 israelische Siedlungen. Das komplizierte politische System in Israel hat dazu geführt, dass die Siedler, sowohl der ultra-orthodoxe wie er nationalistische Flügel, die israelische Bevölkerung im Parlament zur Geisel genommen haben, die viele Jahre mit klarer Mehrheit bereit war, eine Zwei-Staaten-Lösung hinzunehmen. Heute ist die israelische Linke im Tiefschlaf, die Gesellschaft deutlich nach rechts gerückt.

Der unerklärte Krieg gegen den Iran

Außenpolitisch hat Israel es geschafft, in der sunnitischen arabischen Welt neue Freunde zu gewinnen – von Ägypten, Jordanien bis hin zu Saudi-Arabien und den Golfstaaten. Sie verbindet ein gemeinsamer Feind, das Mullah-Regime in Teheran, das Israel als seine Hauptbedrohung ansieht. In der Realität befindet sich Israel mit dem Iran längst in einem unerklärten Krieg. Das Schlachtfeld ist dabei vor allem Syrien. Regelmäßig greift die israelische Luftwaffe dort entweder direkt iranische Ziele oder aber Waffenlieferungen an die libanesische Hisbollah an. Die stellt mit bis zu hunderttausend, vom Iran und Syrien gelieferten Raketen inzwischen eine massive Bedrohung dar. Dabei ist klar: Jerusalem will sich aus dem eigentlichen Bürgerkrieg mit Syrien heraushalten, auch mit Russland gelten strikte wechselseitige Regeln, sich militärisch nicht in die Quere zu kommen.

Dennoch bleibt das Risiko für eine Eskalation mit dem Iran gefährlich und die Hisbollah der Hebel, den Teheran einsetzen könnte, um den Druck zu erhöhen. Israel versucht deshalb seinerseits weiter Druck auf die Trump-Regierung in den USA auszuüben, damit sie den Atomdeal mit dem Iran kippt. US-Präsident Donald Trump muss im Mai Farbe bekennen, ob er diesen umstrittenen Schritt wirklich gehen will.

Benjamin Netanjahu lässt hier nicht locker. Allerdings glauben viele in Israel, dass er dazu nicht mehr lange Gelegenheit haben wird. Wegen schwerer Korruptionsvorwürfe ermittelt die israelische Justiz seit langem. Spätestens im Herbst, so meinen viele seiner Gegner, wird er zum Rückzug gezwungen werden. Am 70. Jahrestag seiner Gründung ist zwar eindeutig, dass der Staat der Juden nicht mehr von der Landkarte verschwinden wird. Wie so oft in seiner wechselvollen Geschichte bleiben jedoch viele Fragezeichen. 
 

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