Konflikt zwischen Iran und USA - Den USA droht eine Niederlage

Nach der gezielten Tötung des iranischen Generals Qasem Soleimani durch die USA stimmt das irakische Parlament für deren kompletten Truppenabzug. So scheint der Iran im Irak zu gewinnen, ohne konventionell Krieg zu führen

Trauerzug für den getöteten iranischen General Soleimani im Irak / picture alliance
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Autoreninfo

Wilfried Buchta ist promovierter Islamwissenschaftler. Von 2005 bis 2011 arbeitete er in Bagdad als politischer Analyst (Senior Political Affairs Officer) für die UNO-Mission im Irak. Als Zeitzeuge hat der ausgewiesene Kenner der Region und ihrer Geschichte die politischen Ereignisse, die zum Erstarken des »Islamischen Staates« geführt haben, täglich hautnah miterlebt. Sein neuestes Buch heißt „Die Strenggläubigen. Fundamentalismus und die Zukunft der islamischen Welt“ (Hanser Berlin).

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Mit der vom US-Verteidigungsministerium als „Verteidigungsakt“ deklarierten Drohnenattacke gegen Qasem Soleimani, dem Kommandeur der iranischen al-Quds-Brigade, haben die USA Teherans wichtigsten Statthalter im Irak getötet.

Gleichzeitig wurden bei dem Luftschlag auf einen Wagenkonvoi nahe dem internationalen Bagdader Flughafen mindestens vier weitere Mitarbeiter Soleimanis getötet. Unter ihnen befand sich auch Abu Mahdi al-Muhandis, der Anführer der Kata'ib Hezbollah. Das ist jene (pro-iranische) irakische Schiitenmiliz, die nur wenige Tage zuvor den Angriff mehrerer Tausend wütender Demonstranten auf die US-Botschaft in Bagdad angeführt hatte – und den US-Sicherheitskräfte zurückschlagen konnten.

USA und Iran kämpfen um den Irak

Soleimanis Eliminierung ist nun der jüngste Akt einer sich seit Juli 2019 immer weiter aufschaukelnden politischen Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran. Es sind jene beiden Mächte, die seit dem Sturz der irakischen Baath-Diktatur von 2003 die Geschicke dieses Landes weitgehend bestimmen wollen. Anfänglich hatten die USA dabei die Nase vorn; sie versuchten dem Land durch Einführung freier Wahlen und demokratischer Institutionen eine demokratische Grundstruktur zu geben.

Doch dann begann der amerikanische Einfluss mit dem Abzug von US-Truppen seit 2011 immer stärker abzuschmelzen. Nutznießer war der Iran. Er konnte seinen Einfluss auf Kosten der USA massiv erweitern.

Der Islamische Staat als Atempause

2014 gab es dann nochmal ein Erstarken der Amerikaner im Irak. Denn der sogenannte Islamische Staat hatte damals im Sommer die irakische Armee besiegt und war mit seinen Truppen bis an Bagdads Tore vorgerückt. Das Überleben der irakischen Regierung stand auf dem Spiel. Gerettet wurde sie allein durch zwei Faktoren: Erstens durch die Bildung eines mehr als 100.000 Mann starken Verbands aus über 50 Volksmobilisierungsmilizen (den sogenannten PMF, popular mobilization forces), deren Mitglieder einer zum Kampf gegen den IS aufrufenden Fatwa von Großayatollah Hossein-Ali Sistani, Iraks höchstem schiitischen Geistlichen, gefolgt waren und sich als Freiwillige hatten rekrutieren lassen. Zweitens durch die vom Iran und den USA auf Bitten Bagdads geleistete militärische Unterstützung. Notgedrungen rauften sich beide Rivalen im Kampf gegen den IS zusammen und verständigten sich auf eine informelle Koordinierung ihrer jeweiligen Militäroperationen.

Seit 2017 wächst die Rivalität

Dieser bemerkenswerte iranisch-amerikanische modus vivendi im Irak kam jedoch zum Erliegen, als der IS im Herbst 2017 besiegt und bis auf einige verstreute Widerstandsnester zerschlagen war. Im Zuge der neuen Außenpolitik unter dem US-Präsidenten Donald Trump brach dann die alte Rivalität zwischen Washington und Teheran wieder auf. Die USA verließen im Mai 2017 das Atomabkommen mit dem Iran, und Washington versuchte fortan, Teheran mit immer härteren Finanz- und Wirtschaftssanktionen in die Knie zu zwingen. Die jeweiligen Regierungen in der irakischen Hauptstadt setzten deshalb seit 2017 alles daran, um die fragile außen- und sicherheitspolitische Balance zwischen den USA und dem Iran zu wahren. Aber diese Bemühungen schienen letztlich zum Scheitern verurteilt zu sein.

Qasem Soleimani als Strippenzieher

Ein Problem stellt dabei derjenige Teil der irakischen Volksmobilisierungsmilizen dar, die als pro-iranisch gelten. Denn sie entziehen sich der Autorität der gewählten irakischen Zentralregierung. Sie sind es, die von den USA beschuldigt werden, ohne Unterlass nadelstichartige Militäraktionen gegen die US-Botschaft und US-Truppenbasen im Irak etwa in Form von Mörser- oder Raketenangriffen zu unternehmen. Dass die USA hinter allen diesen Aktionen vor allem Qasem Soleimani als bösen spiritus rector ausmachten, verwundert nicht. Schließlich galt er als einer der mächtigsten Generäle der iranischen Revolutionswächterarmee, innerhalb derer er seit 1998 die al-Quds-Briagde befehligte. Sie ist der eigene Arm für Untergrundaktivitäten im Ausland.

Soleimani ist tot, die al-Quds-Briagde lebt

Die al-Quds-Brigade hat sich seit ihrer Gründung während des Iran-Irak-Krieges zu einem der amerikanischen CIA vergleichbaren, mächtigen Apparat gemausert. Dessen Hauptziel ist der ideologisch-militärische Export der islamischen Revolution des Iran. Dass der Kommandeur Qasem Soleimani nun getötet wurde, dürfte allerdings wenig an der Strategie des Iran ändern. Zwar galt Quds-Kommandant Soleimani im Iran tatsächlich als aufsteigender Stern am politischen Himmel. Viele sahen ihn als Nummer Zwei hinter Ali Khamenei. Aufgrund seiner Kampfeinsätze, die er seit 2003 im Irak und seit 2011 auch in Syrien an bestimmten Frontabschnitten geführt hatte, wurde er in Irans Staatsmedien als Held des schiitischen revolutionären Aktivismus gefeiert. Doch Ali Khamenei, Irans „Oberster Führer“, hat bereits Esmail Ghaani zum Nachfolger Qasem Soleimanis ernannt.

Wie schwer trifft die amerikanische Drohnen-Attacke den Iran? Die Ansatzpunkte für die Einflussnahme Irans außerhalb des eigenen Territoriums sind meist die schiitischen Gemeinschaften im Ausland. Diese werden oftmals in ihren jeweiligen Ländern, etwa in Saudi-Arabien oder Bahrain, diskriminiert und haben deshalb einen Hang, sich vom großen iranischen Bruder – in Gestalt von Quds-Kräften – helfen zu lassen. So sind etwa im Libanon, im Irak und in Syrien die jeweiligen iranischen Botschafter auch stets Quds-Offiziere. Innenpolitisch sind im Iran die Revolutionswächter die härtesten Gegner all jener moderaten Kräfte in der Regimeelite, die sich für eine kontrollierte, vorsichtige Öffnung und für eine wirtschaftliche und politische Reform des Systems einsetzen.

Der Iran wird zurückschlagen, aber ohne Krieg

Qasem Soleimani war den USA verhasst, weil sie ihn dafür verantwortlich machten, dass von ihm inspirierte oder instruierte pro-iranische irakische Milizen während der amerikanischen Besatzung des Irak (2003-2011) mehr als 600 US-Soldaten getötet haben. Doch zweifellos dürften die USA mit der Tötung Soleimanis die Eskalationsspirale um eine Schraubendrehung weitergedreht haben. Wann, wo und auf welche Weise der Iran für die Tötung Soleimanis Rache nehmen wird, ist ungewiss. Dass eine Vergeltung erfolgen wird, ist aber unstrittig, zumal bereits Irans Revolutionsführer Ali Khamenei öffentlich erklärte, Rache üben zu wollen.

Mit Sicherheit wird Irans Führung andere Mittel wählen als einen konventionellen Krieg. Gegen die USA wäre dieser aufgrund der Kräfteverhältnisse nicht zu gewinnen. Doch der Iran beherrscht die Kunst der asymmetrischen Kriegsführung meisterhaft. Als deren Hauptinstrumente werden ihm dabei eine oder mehrere der zahlreichen von ihm finanziell abhängigen und ideologisch und militärisch aufgerüsteten politischen oder militärischen Organisationen im Irak, Libanon, Afghanistan, Syrien Palästina oder Jemen dienen. Diese zu nutzen, hat auch den Vorteil, leicht eine Nebelwand der Abstreitbarkeit aufbauen zu können. Das dürfte dem Iran nach Anschlägen auf US-amerikanische Ziele in der Region oder anderswo wiederum dabei helfen, Anklagen oder gar Strafmaßnahmen durch die Uno zu umgehen.

Die USA werden wohl aus dem Irak gedrängt

Allem Anschein nach haben die Vereinigten Staaten unter Trumps Oberbefehl mit der Tötung Soleimanis sehr kurzsichtig gehandelt haben. Mehr noch: Sie werden höchstwahrscheinlich ihren geostrategischen Interessen im Irak einen Bärendienst erwiesen haben. Dafür muss man die politisch hoch angespannte Lage im Irak selbst betrachten, die sich seit Oktober 2019 durch anhaltende wütende Proteste Hunderttausender Demonstranten auszeichnet, welche einen Austausch der herrschenden politischen Klasse ebenso fordern wie ein Ende der Korruption, ein Ende der iranischen Interventionen im Irak und insbesondere eine demokratische Generalerneuerung des gesamten politischen Systems.

Die sich nun durch Soleimanis Tötung abzeichnende Irak-interne Auseinandersetzung zwischen den in Iraks Parlament und Regierung tonangebenden Anhängern der USA auf der einen und den pro-iranischen Kräften in der irakischen Politik auf der anderen Seite wird in den nationalen Medien und in der irakischen Öffentlichkeit jetzt also noch stärker als zuvor unter nationalistisch-patriotischen Vorzeichen ausgefochten werden.

Der Iran als lachender Gewinner

Dass diese verbale Streiteskalation alles andere überschatten und zulasten der demokratisch gesinnten Demonstranten gehen wird, kann als sicher gelten. Die Protestler dürften in den Augen großer Teile der Öffentlichkeit an Relevanz verlieren und mitsamt ihren Forderungen in den Hintergrund gedrängt werden. Die Liquidierung Soleimanis könnte jenen Gegnern der USA in Regierung und Parlament in die Hände spielen, die bereits seit über einem Jahr versuchen, ein Gesetz zum zwangsweisen Truppenabzug der US-Streitkräfte im Irak durchzubringen. Denn sie verfügen nun über neue Argumente und erfahren damit politischen Rückenwind.

Jedenfalls sind die Chancen für ein Gesetz zum Abzug amerikanischer Truppen nun massiv gestiegen. (Anmerkung der Redaktion: Das Parlament hat inzwischen den Abzug beschlossen) Sollte dieses Gesetz tatsächlich durchkommen, müssten die USA ihre noch im Lande stationierten 5.200 Militärberater ganz oder größtenteils abziehen. Der lachende Gewinner wäre der Iran, der es verstanden hätte, eine vermeintliche Niederlage in einen politischen Triumph zu verwandeln. Schlimmer noch: Damit hätte der Iran den Irak wieder fest und dauerhaft an sich gekettet. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der sich die irakische Bevölkerung durch die jüngste Protestbewegung dem politischen Einfluss des Nachbarlandes zu entziehen begann. Käme es soweit, wäre es eine bittere Ironie des Schicksals. Und ein weiteres Zeichen dafür, dass etliche wenig durchdachte Aktionen des amtierenden amerikanischen Präsidenten seinem Land mehr schaden als nutzen.

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