Impfquote in den USA - Noch nicht genug

Präsident Biden hatte sich zum Nationalfeiertag ein großes Ziel gesetzt: 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung sollten erstgeimpft sein. Daran ist er ganz knapp gescheitert. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn zwei Gruppen nicht so zögerlich agierten.

Da geht's zu den Impfungen. Foto: dpa | Lena Klimkeit
Anzeige

Autoreninfo

Daniel C. Schmidt ist freier Reporter. Er studierte in Manchester und London (BA Politics & Economics, MSc Asian Politics) und lebt zur Zeit in Washington, D.C.. Schmidt schreibt über Pop, Kultur und Politik.

So erreichen Sie Daniel C. Schmidt:

Anzeige

In der Woche vor dem Meilenstein hatte das Weiße Haus klein beigegeben – und trotzdem eine gute Nachricht parat: Wie es aussieht, hieß es aus der Presseabteilung, würde man das Ziel knapp verfehlen, 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung bis zum Feiertag zumindest einmal geimpft zu haben. Das sei nur bei den über 26-Jährigen gelungen. Immerhin sei man auf 300 Millionen Impfungen innerhalb der ersten 150 Amtstage der neuen Regierung gekommen.

Vor zwei Monaten hatte Joe Biden das Ziel selbst gesetzt. Die genauen Zahlen variieren, ab wann der Punkt erreicht ist, aber mit 70 Prozent der Bevölkerung geimpft, wäre Herdenimmunität als Vorstellung näher und näher gerückt. Am 4. Juli wollte der Präsident mit dieser Marke den Nationalfeiertag begehen. In Fernsehen, Radio und Podcasts wurden in den vergangenen Wochen Werbespots geschaltet, während Vizepräsidentin Kamala Harris auf Reklametour durchs Land reiste und Anthony Fauci, der oberste Gesundheitsexperte im Weißen Haus, auf TikTok mit einer Reihe Influencerinnen auftrat, um für einen letzten Impfpush zu sorgen. 

Es war nicht genug. Aktuell liegt die Quote bei 67 Prozent Erstgeimpften und 58 Prozent Vollgeimpften (18 Jahre und älter). Drei Prozentpunkte mehr hätten eine gewisse Sicherheit vermittelt in einer Zeit, in der die Pandemie noch lange nicht vorüber ist, aber in eine neue Phase übergeht. Eine Phase, in der der Sommer lockt, in der Masken allmählich aus dem öffentlichen Bild verschwinden, Öffnungen und Freiheiten mehr werden – und in der die Delta-Variante sich nach und nach verbreitet, auch in den USA. 

Nachlassende Impfbereitschaft

Es ist das erste selbstgesetzte Impfziel, das Biden in seiner Präsidentschaft verpasst hat. Im Weißen Haus sind die Verantwortlichen dennoch davon überzeugt, dass man sich in die richtige Richtung bewegt, trotz kleinerer Rückschläge: „Wir haben ein beispielloses, voranschreitendes, nationales Impfprogramm aufgebaut”, sagte Jeffrey Zients, der unter Biden die Pandemie-Strategie koordiniert. „Das ist eine bemerkenswerte Errungenschaft.”

Nach dem ruderlosen Pandemie-Kurs seines Vorgängers ist das sicherlich bemerkenswert. Ein bisschen muss jedoch noch passieren, bevor man sich wirklich auf dieser Aussage ausruhen kann. Einige Bundesstaaten haben das Biden-Ziel nicht etwa um ein paar Tage verpasst. Bei ihnen wird es noch Monate dauern, bis sie bei 70 Prozent angekommen sind. Wenn sich nichts tut und sie ihr augenblickliches Tempo beibehalten, werden Mississippi und Alabama mehr als ein Jahr brauchen, um Bidens Marke zu erreichen, Wyoming zehn Monate und Louisiana knapp sieben, wie die New York Times errechnet hat.  

14 Staaten haben dagegen die 70-Prozent-Marke erreicht. Hawaii, Massachusetts und Vermont sind sogar bereits bei mehr als 80 Prozent. Die täglich verabreichten Impfungen sind aber längst nicht mehr auf dem Höchststand von Mitte April, als mehr als fast dreieinhalb Millionen Dosen am Tag verabreicht wurden. Der Schnitt ist seitdem kontinuierlich gefallen, auf nunmehr etwa eine Million. 

Republikaner und Junge zurückhaltend

Und so besteht die Sorge unter amerikanischen Gesundheitsexperten, dass es mit sinkenden Impfquoten im Herbst und Winter wieder zu Ausbrüchen kommen kann, bedingt durch lokale Hotspots in Regionen, die beim Impfen stark hinterherhinken. „Es besteht die Gefahr, dass wir bei anhaltender Widerspenstigkeit gegen die Impfung lokalisierte Infektionswellen sehen können”, sagte Anthony Fauci vor ein paar Tagen bei einer Pressekonferenz. Der Chefimmunologe im Weißen Haus warnte ebenfalls vor der Delta-Variante, die ansteckender als vorherige Varianten zu sein scheint. Laut Fauci macht sie 20 Prozent der Neuinfektionen in den USA aus. Bald könnte sie die dominante Form des Virus‘ in Amerika sein. 

Was auffällt bei den Bundesstaaten, die weiter unter Bidens geforderter Impfquote liegen, ist die Tatsache, dass sie fast ausschließlich Republikanische Staaten sind. Unter ihnen sind nur drei, die Donald Trump 2020 nicht für sich entscheiden konnte: Arizona, Georgia, und Nevada. Aber es sind nicht nur Republikaner, die skeptisch gegenüber Impfungen sind. Unter den Jungen scheint ebenso eine gewisse Zurückhaltung zu bestehen. „Wo das Land noch Arbeit vor sich hat, ist vor allem bei den 18- bis 26-Jährigen”, sagte Jeffrey Zients. Viele von ihnen fühlten sich, „als ob Covid-19 nichts sei, das sie selbst betreffe, und so scheinen sie weniger darauf bedacht, sich um die Impfung zu bemühen”, so Zients. 

Befreiungsfeier vom Virus

Dass Biden das Ziel auf den 4. Juli gelegt hatte, sollte natürlich in dieser von Symbolen und Bildern geprägten Zeit ein besonderes Signal sein: Amerika feiert, wie jedes Jahr, seine Emanzipation von der einstigen Kolonialmacht. Diese Geburtsstunde, dachte man im Weißen Haus, sollte auch eine Befreiungsfeier vom Virus werden. Stattdessen wurde das Ziel verfehlt, vielleicht auch, weil mit dem Nationalfeiertag die große Sommerreisewelle losgeht. Da wird schon mal der Impftermin vergessen oder nach hinten geschoben. Die Schulferien haben begonnen, die Temperaturen steigen. Das Leben findet draußen statt, unterwegs, on the road. Was einige Risiken mit sich bringt. 

„Das allgemeine Verständnis in Amerika ist, dass der Sommer da und die Pandemie vorbei ist, und die Party beginnen kann. Aber in untergeimpften Gebieten, in denen ironischerweise viel von dieser Rhetorik Gebrauch gemacht wird, ist das am weitesten von der Wahrheit entfernt“, sagte Aditi Nerurkar, Gesundheitsexpertin von der Harvard Medical School, kürzlich in einem Interview mit der Washington Post. „Ich mache mir Sorgen, dass das Wochenende am 4. Juli in wenig geimpften Gebieten ohne die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen zu einem Superspreader-Event werden könnte“, so Nerurkar. 

In den vergangenen Wochen sind Neuinfektionen, Krankenhausaufenthalte und Sterbefälle stark zurückgegangen. Die USA stemmen sich gegen das Virus. Aber eins ist klar: Die Pandemie ist noch nicht besiegt, sie köchelt weiter vor sich hin – und wartet darauf, in einzelnen Regionen überzukochen.

Anzeige