Impf-Kampagne in Israel - In zwei Minuten zum Impftermin

In Israel haben 40 Prozent aller Bürger die erste Impfung gegen Corona bekommen. Trotzdem bleibt die Infektionsrate auch hier hartnäckig hoch. Betroffen sind vor allem ultraorthodoxe Juden. Dass die Polizei ihre Verstöße gegen die Regeln nicht ahndet, hat politisches Kalkül.

Joseph Zalman Kleinman (92) bekommt von einer ehrenamtlichen Helferin im Impfzentrum in einer Sportarena seine zweite Dosis mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer injiziert / dpa
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Mareike Enghusen berichtet als freie Journalistin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vornehmlich aus Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten. Sie hat Politik- und Nahostwissenschaften studiert und ihre journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule absolviert.

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Ein, zwei Minuten nur dauert es in Israel, um einen Termin für die Covid-19-Impfung zu buchen: Man muss dafür bloß die App seiner Krankenkasse öffnen und sich für einen der angebotenen Termine und Standorte entscheiden. Die Impfung selbst nimmt kaum mehr Zeit in Anspruch: Wer einen Termin hat, muss in der Regel kaum warten, wird an den nächsten freien Krankenpfleger verwiesen und bekommt nach ein, zwei formalen Fragen die Spritze in die Schulter verpasst. Den Termin für die Folgeimpfung bucht die App automatisch. Und wer am Ende des Tages vor einem Impfzentrum auftaucht, hat gute Chancen, auch ohne Termin eine Dosis zu bekommen: Die Krankenkassen verimpfen übrig gebliebenen Impfstoff lieber an spontane Freiwillige, als ihn entsorgen zu müssen.

Mit dieser Mischung aus Technologie und robustem Pragmatismus hat Israel innerhalb von anderthalb Monaten eine Impfrate erreicht, die andere Länder in Verlegenheit bringt: 40 Prozent aller Bürger haben mindestens eine Spritze gegen das Corona-Virus erhalten – und 23 Prozent haben bereits die zweite Impfung hinter sich, die im Falle des Pfizer-Impfstoffs, den Israel einsetzt, zur nahezu vollständigen Immunisierung nötig ist. In Deutschland liegt diese Rate bei einem Prozent. Nicht überraschend also, dass viele das israelische Beispiel mit Spannung beobachten: Gelingt es dem kleinen Land, das Virus einzudämmen und als erstes weltweit zu einem Alltag ohne Masken, Kontaktverbote und Ausgangssperren zurückzukehren?

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Der Pfizer-Impfstoff wirkt

Die Antwort darauf lässt noch auf sich warten, doch eine Zwischenbilanz lässt sich ziehen. Und die fällt überraschend gemischt, auf den ersten Blick sogar widersprüchlich aus.

Zunächst die gute Nachricht: Der Pfizer-Impfstoff wirkt. Die Maccabi-Krankenkasse, die zweitgrößte des Landes, hat ermutigende Daten veröffentlicht: Demnach infizierten sich von 416.900 Geimpften eine Woche nach der zweiten Dosis nur noch 0,06 Prozent – und litten dabei höchstens unter leichten Symptomen. Zudem wirkt sich die Impfkampagne offenbar bereits auf die Infektionsrate aus. Eran Segal, der am Weizmann-Institut zu Genetik und Künstlicher Intelligenz forscht, zeigt anhand von Statistiken, dass die Neuinfektionsrate bei den Über-60-Jährigen schneller sinkt als bei der übrigen Bevölkerung. Fast 90 Prozent in diesem Alterssegment haben bereits die zweite Impfung erhalten. Andere Variablen fallen dem Forscher zufolge als Erklärung für die sinkende Infektionsrate aus. „Die Magie hat begonnen“, schreibt er.

Die Infektionsquote bleibt hoch 

Noch steht allerdings nicht fest, ob die Impfung vor Ansteckung schützt. „Wir wissen, dass Vakzine die Häufigkeit schwerer Erkrankungen reduzieren, das ist alles“, sagte Gabi Barbash, früherer Generaldirektor des israelischen Gesundheitsministeriums, der als Epidemiologe am Weizmann-Institut forscht, der Nachrichtenagentur AFP.

Und trotz der Effizienz der israelischen Impfaktion bleibt die Infektionsrate hartnäckig hoch: Über 6.000 Neuinfektionen pro Tag meldete das Gesundheitsministerium zuletzt, mehr als zu Beginn des dritten Lockdowns, der Ende Dezember begann und erst an diesem Sonntag auslief. Über Tausend an Covid-19 erkrankte Israelis befinden sich in kritischem Zustand. Die Krankenhäuser warnen vor Überlastung.

Wie lassen sich diese scheinbar widersprüchlichen Beobachtungen erklären? Die Regierung schiebt einen Großteil der Schuld auf die britischen und südafrikanischen Varianten des Virus, die erheblich ansteckender sind: In einer Stichprobe fanden Forscher die britische Mutation bei 70 Prozent der Fälle.

Massenhafte Verstöße gegen den Lockdown

Allerdings spielen auch die massenhaften Verstöße gegen den gerade erst beendeten Lockdown eine Rolle. Bis Sonntagmorgen durften die Menschen sich nicht mehr als einen Kilometer vom eigenen Wohnsitz entfernen, niemanden zu Hause besuchen und sich im Freien mit maximal neun anderen Personen versammeln. Zuletzt schienen jedoch immer weniger Bürger die Regeln ernst zu nehmen. 

Viele ließen sich offenbar zu Nachlässigkeit verleiten im Angesicht der Impfkampagne, die ein baldiges Ende der Pandemie zu versprechen scheint. Zudem setzt die Polizei die Richtlinien vielerorts allenfalls halbherzig durch: Es kursieren etliche Anekdoten von Israelis, die mit ihrem Wagen in einen Checkpoint der Polizei gerieten, ohne glaubhaft erklären zu können, warum sie die Ein-Kilometer-Regel brachen – und die trotzdem von den Beamten ohne Strafzettel ziehen gelassen wurden.

Orthodoxe verstoßen besonders oft gegen die Regeln 

Besonders eklatante Verstöße leisten sich manche Gruppierungen innerhalb der ultraorthodoxen Gemeinschaft. Fast 40 Prozent der aktuellen Corona-Fälle kommen aus der strengreligiösen Minderheit, die nur zwölf Prozent der Bevölkerung ausmacht. Obwohl die Regierung die Schließung aller Bildungseinrichtung angeordnet hat, blieben während des letzten Lockdowns etliche ultraorthodoxe Schulen geöffnet, offenbar ohne Sanktionen befürchten zu müssen.

Vor einer Woche trat die Machtlosigkeit des Staates bei der Durchsetzung seiner eigenen Regeln schonungslos zutage: 15.000 ultraorthodoxe Männer, viele von ihnen ohne Maske, drängten sich in den Straßen Jerusalems zu einem Trauerzug für einen verstorbenen Rabbiner. Polizisten vor Ort hielten Berichten zufolge lediglich hier und da den Verkehr an – um die Trauernden ungestört passieren zu lassen.

Warum die Polizei nicht hart eingreift 

Hinter dem laschen Vorgehen der Beamten vermuten viele Kritiker politisches Kalkül: Am 23. März finden in Israel Neuwahlen statt, und unabhängig von ihrem Ausgang dürfte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu für eine mögliche Koalitionsbildung auf das Wohlwollen zweier ultraorthodoxer Parteien angewiesen sein.

In jedem Fall dürfte es noch eine Weile dauern, bis sich in Israel die ersehnte Herdenimmunität einstellt – wenn überhaupt. Weil sich durch die neuen Mutationen mehr Menschen anstecken als zuvor, müssten 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung immunisiert werden, um das Virus einzudämmen, sagt die Epidemiologin Gili Regev-Yochayvom vom israelischen Sheba-Krankenhaus. „Wir werden keine Herdenimmunität erreichen können, bis Kinder geimpft werden“, sagte sie gegenüber einem lokalen Fernsehsender. Derzeit setzt Israel den Pfizer-Impfstoff nur für Jugendliche ab 16 Jahren ein. „Das bedeutet, dass wir noch einige Zeit mit dem Coronavirus leben werden müssen.“

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