Illegale Migration über das Mittelmeer - Für Italien wird die Migration erneut zum Regierungsproblem

In Italien sind seit Januar doppelt so viele Migranten angekommen wie ein Jahr zuvor. Rom fordert deshalb mehr Umverteilung innerhalb der EU. Sollte Ministerpräsident Mario Draghi den Zustrom an Flüchtlingen nicht bald drosseln, droht die rechtsnationale Lega, die „Allparteienregierung“ zu verlassen.

Eine Gruppe mutmaßlicher Migranten aus Tunesien an Bord eines Holzbootes nahe der Insel Lampedusa / dpa
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Auf Schlauch- und Holzbooten kommen seit Wochen teilweise Hunderte Migranten an einem Tag über das Mittelmeer nach Europa. Viele von ihnen legen von den Küsten Tunesiens oder Libyens ab und versuchen Italien zu erreichen, zum Beispiel die Insel Lampedusa. Das dortige Aufnahmelager für Flüchtlinge ist auf 250 Personen ausgelegt, mit aktuell über 1.000 Migranten ist es heillos überfüllt.

Das italienische Innenministerium hat in diesem Jahr bis Mittwoch mehr als 30.200 Migranten registriert, die in Booten Italien erreicht haben. Ein Jahr zuvor waren es rund 14.800. Im Vergleich zu 2019 haben sich die Zahlen sogar fast verachtfacht. Damals war Matteo Salvini, Mitglied der rechtsnationalen Lega, Innenminister Italiens. Er hatte vor zwei Jahren veranlasst, Häfen zu sperren – sowohl für Schiffe, die Migranten an Bord hatten als auch für private Hilfsorganisationen. Damit kamen über das Mittelmeer praktisch gar keine Migranten mehr nach Italien.

Seit Anfang August ist die neue Flüchtlingswelle wieder ein Thema. Zuvor war man auch in Italien mit der Pandemie und der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Krise beschäftigt. Doch aktuell versucht Salvini Kapital aus der Flüchtlingssituation vor Italiens Küsten zu schlagen. In einem Schreiben hat er laut FAZ dem Ministerpräsidenten Mario Draghi ein Ultimatum gestellt. Bis Ende August sollte demzufolge das Problem der illegalen Migration über das Mittelmeer gelöst werden, ansonsten werde seine Partei die sogenannte Allparteienregierung aus Mitgliedern nahezu des gesamten politischen Spektrums verlassen. Nach der Fünf-Sterne-Partei ist Salvinis Partei die zweitstärkste in Italien.

Dass Salvini ernst macht, gilt eher als unwahrscheinlich. Seine Partei hat in den vergangenen zwei Jahren stark an Zustimmung verloren. Aber Salvinis Drohgebährden scheinen trotzdem Wirkung zu zeigen. Seine Amtsnachfolgerin, Innenministerin Luciana Lamorgese (parteilos), hat sich dafür stark gemacht, mit einem Sondertreffen der EU-Innenminister eine Umverteilung von Migranten auf die EU-Mitgliedstaaten durchzusetzen. Hierzu telefonierte sie am Mittwoch mit EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. In dem Gespräch schilderte sie laut Mitteilung ihres Ministeriums die Lage in Italien und sprach sich für das Sondertreffen aus.

Italiens Chancen auf Umverteilung stehen schlecht

Derzeit sind im zentralen Mittelmeer mehrere private Organisationen mit ihren Schiffen unterwegs, um Bootsmigranten aus Seenot zu retten. Die Besatzungen der „Ocean Viking“ von SOS Mediterranee und der „Sea-Watch 3“ von Sea-Watch meldeten zuletzt, dass die Lage an Bord mit Hunderten Geretteten ernster werde. Viele seien seekrank und erschöpft. Die Schiffe suchten dringend einen sicheren Hafen, um dort die Menschen an Land zu bringen. Oft bringen sie die Migranten nach Italien. Nach UN-Angaben starben in diesem Jahr bislang fast 1.000 Migranten im zentralen Mittelmeer.

Dass die Forderungen Italiens nach einem festen Umverteilungssystem Gehör finden, gilt dennoch als unwahrscheinlich. Wegen grundsätzlicher Meinungsunterschiede kommen die Verhandlungen über Reformen des Migrations- und Asylsystems der EU seit langem in zentralen Punkten nicht voran. Zudem wird in Brüssel darauf verwiesen, dass zum Beispiel in Deutschland und Frankreich in der Regel monatlich deutlich mehr Asylanträge gestellt werden als in Italien.

Nach Angaben aus der EU-Kommission vom Mittwoch könnte Italien allerdings zusätzliche Unterstützung der EU-Grenzschutzagentur Frontex erhalten und von anderen Mitgliedstaaten durch die freiwillige Aufnahme von illegal ankommenden Menschen unterstützt werden. Demnach ist auch ein Sondertreffen der EU-Innenminister noch im Sommer nicht ausgeschlossen. Bei diesem könnte dann auch über die zahlreichen illegalen Grenzübertritte an der EU-Außengrenze zu Belarus gesprochen werden, hieß es. dpa/Cicero
 

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