Gipfeltreffen in Europa - Allseits Hoffen und Bangen

Der Traum von einer neuen „Atlantischen Charta“ könnte platzen. Die großen Industrienationen treffen sich zu einem G7-Gipfel im englischen Cornwall. Doch Bidens erste Europa-Tour ist von der Pandemie und dem Streit über das Nordirland-Protokoll zwischen den Briten und der EU überschattet.

„Mount Trashmore“ in Cornwall zeigt die G7-Gipfelteilnehmer aus Altmetall Foto: Ben Birchall/dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Es war 1941, mitten im Zweiten Weltkrieg, als zwei große Staatsmänner zusammentrafen, um eine „Atlantische Charta“ zu entwickeln. Franklin D. Roosevelt, Präsident der Vereinigten Staaten, und der britische Premierminister Winston Churchill stellten eine gemeinsame Vision für eine friedliche Welt nach dem Sieg über Nazi-Deutschland vor. Zentral dabei war die Unterstützung der Amerikaner für die Briten und der Gedanke, dass auch besiegte Mächte Wirtschaftshilfe für den Wiederaufbau bekommen sollten. Das führte später zum Marschallplan. Und zur Gründung der Nato und der Vereinten Nationen.

80 Jahre später soll es wieder ein bisschen so sein wie damals. Das hofft zumindest die britische Regierung. US-Präsident Joe Biden trifft an diesem Donnerstag erstmals den britischen Premierminister im Vorfeld des G7-Gipfels in der englischen Grafschaft Cornwall. Boris Johnson ist zwar nicht Churchill, aber er hat eine Biografie über sein großes Vorbild geschrieben und legt Wert auf historische Vergleiche mit dem englischen Politiker, der die Briten erfolgreich durch die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs in bessere Zeiten manövriert hat. Auch Biden und Johnson wollen bei diesem ersten Treffen auf eine Welt nach der Covid-Pandemie blicken und eine friedliche und kooperative Vision dafür entwickeln.

Johnsons Nähe zu Trump

Ganz einfach wird das nicht. Der neue US-Präsident hat Boris Johnsons Nähe zu Vorgänger Donald Trump nicht vergessen. Unter Biden stehen die Zeichen wieder auf internationale Kooperation und Alliierte, die Demokratie schätzen und internationale Verträge honorieren.

Da beginnen für Biden schon die Probleme mit dem britischen Regierungschef. Die britische Regierung setzt das Nordirland-Protokoll, das Teil des Austrittsabkommens mit der EU ist, nicht korrekt um. Erst am Mittwoch endete ein Treffen zwischen britischen und EU-Diplomaten erneut ohne konkretes Ergebnis – „weder mit Durchbruch noch Zusammenbruch“, wie der britische Verhandler David Frost verkündete.

Biden sieht Brexit als Fehler

Im Streit um Wareneinfuhr aus Großbritannien nach Nordirland, das nach dem Brexit immer noch Teil des EU-Binnenmarktes ist, hofft die EU deshalb auf den mäßigenden Einfluss Joe Bidens, der den Brexit von Anfang an für einen Fehler gehalten hat. Denn der US-Präsident sieht sich als Garant des Karfreitagsabkommens, mit dem 1998 ein fragiler Frieden zwischen unionistischen Protestanten und katholischen Iren erreicht werden konnte. Dass Nordirland, Irland und Großbritannien damals alle in der EU waren, erleichterte eine friedliche Einigung mit offenen Grenzen. Der Brexit nun löst in Nordirland neue Spannungen aus, weil die probritischen Unionisten fürchten, dass die neuen Regeln, denen Boris Johnson in den Verhandlungen mit der EU zugestimmt hat, Nordirland von Großbritannien entfernt. Biden will Johnson beim bilateralen Treffen deshalb zur Ordnung rufen.

Dann erst beginnt der eigentliche multinationale Gipfelreigen. Am Freitag eröffnet Boris Johnson als Gastgeber den 47. Gipfel der sieben großen Industrienationen. Neben USA und Großbritannien sind Deutschland, Frankreich, Italien, Kanada und Japan vertreten. Nicht nur für Biden, auch für den japanischen Premier Yoshihide Suga ist es der erste Gipfel. Und für Angela Merkel vermutlich der letzte. Als Gäste sind außerdem Südkorea, Südafrika, Australien und Indien geladen – der indische Premierminister Narendra Modi kann allerdings im Gegensatz zu den Kollegen noch nicht persönlich anreisen. In Indien grassiert nach wie vor stark Corona. Eine deutliche Erinnerung für die anderen Staatschefs, dass die Gefahr der Pandemie noch nicht gebannt ist.

Initiative für globale Impfkampagne

Deshalb steht auch die Initiative für eine globale Impfkampagne ganz oben auf der Tagesordnung des G7-Treffens. Gemeinsam wollen die großen Industrienationen in St. Ives außerdem an globalen Klimazielen arbeiten. Wenn sich am Freitag an der Küste Cornwalls Möwen und Überwachungs-Drohnen den Luftraum streitig machen, sollen die Weichen für eine grünere und solidarischere Zukunft der Welt gesetzt werden. Das ist zumindest der Plan.

Einen Druchbruch konnten die Finanzminister der G7 schon im Vorfeld verkünden. Sie einigten sich am vergangenen Wochenende auf ein Grundgerüst für eine globale Steuerreform. Facebook, Amazon wie auch Google sollen gezwungen werden, ihren Profiten entsprechend Steuern zu zahlen. Bisher wurden Unternehmersteuer nur am Firmensitz fällig und nicht dort, wo diese multinationalen Konzerne operieren.

Widerstand kündigt sich an

Die geplante Reform war ein großes Zugeständnis der USA, da die meisten dieser Firmen aus dem Silicon Valley stammen. Bidens Kompromissbereitschaft hat im Gegenzug den Widerstand der G7-Partner aufgeweicht. Der zweite Teil des Steuerabkommens besagt, dass weltweit auf eine Körperschaftssteuer von mindestens 15 Prozent gezielt wird.

Widerstand ist programmiert: Zypern überlegt bereits ein Veto innerhalb der EU-Gremien, andere mögen folgen. Auch Niedrigsteuerländer wie Irland oder Luxemburg verlieren. Und Großbritannien kann den Traum, als Steueroase vor den Toren der EU zu fungieren, gleich wieder aufgeben. Der G7-Steuerdeal muss im Juli noch von den G20 abgesegnet werden.

EU soll sich nichts vormachen

Dieser erste Verhandlungserfolg der G7 ist für die internationale Gemeinschaft wie der erste Biss Fleisch nach langer Fastenzeit. Die düsteren Jahre der Trump-Präsidentschaft sind vorbei und mit ihr ein nationalistischer US-Isolationismus, der mit einem irrwitzigen Aktivismus in der internationalen Politik gepaart war. Donald Trump kuschelte mit Kim Jong-un, stieß die Europäer vor den Kopf und wollte zum G7-Gipfel gerade noch Putin einladen.

Genau diesen wird Joe Biden jetzt nicht im Kreis der demokratischen Industrienationen, sondern erst am Ende seiner Europa-Tour in Genf treffen. Davor besucht er in Brüssel die EU- und die Nato-Partner. Trotz dieses europäischen Gipfelsturms aber sollten sich die EU-Staatschefs nichts vormachen, meint Jeremy Shapiro vom European Council on Foreign Relations in einer Analyse für Politico: „Anders als im Kalten Krieg steht Europa nicht mehr im Zentrum. Die Europäer spielen nur eine Nebenrolle im Kampf der Amerikaner gegen chinesischen Autoritarismus.“

Großbritannien muss sich noch zurechtfinden

Das stimmt wohl. Ganz oben auf Bidens To-Do-Liste stehen die Beziehungen zu China. Das zeigt aber auch, dass Amerika nicht mehr um Europa fürchtet wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Die EU mag intern, vor allem mit Ungarn und Polen, große Schwierigkeiten haben. Doch das sieht Biden im Vergleich zum antidemokratischen Potenzial Chinas weniger dramatisch als die EU selbst. Gemeinsam mit den USA weltpolitische Anliegen zu vertreten, ist nicht die schlechteste Position für die EU. Und für das Vereinigte Königreich, das sich nach dem Brexit erst auf der internationalen Bühne als mittelmächtiger Drittstaat zurechtfinden muss.

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