Unruhen nach dem Tod von George Floyd - Durch die Hintertür entrechtet

Der gewaltsame Tod von George Floyd durch einen Polizisten hat ein Licht darauf geworfen, dass Schwarze in den USA immer noch wie Bürger 2. Klasse behandelt werden. Zwar sind sie gesetzlich gleichgestellt. Doch die Tricks, das Recht auszuhebeln, sind subtiler geworden.

Bürger zweiter Klasse: Die Proteste gegen die Diskriminierung von Schwarzen gehen weiter / dpa
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Eva C. Schweitzer arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen in New York und Berlin. Ihr neuestes Buch ist „Links blinken, Rechts abbiegen“.

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Das Feuer von Minneapolis ist ausgeglüht, der Polizist, der George Floyd umgebracht hat, wurde inhaftiert, aber Amerika ist immer noch in Aufruhr, und das wird sich auch so bald nicht legen. Der Aufstand in der größten Stadt von Minnesota war eine Reaktion auf den Tod des Afro-Amerikaners, dem ein Polizist minutenlang sein Knie auf den Hals gepresst hatte. Floyd soll mit einem gefälschten 20-Dollar-Schein bezahlt haben.

Mehrere Umstehende hatten die letale Festnahme gefilmt und ins Netz gestellt; bei den Krawallen, die dann in der Nacht zu Freitag ausbrachen, wurde eine Polizeistation vollständig abgebrannt, Geschäfte wurden aufgebrochen und geplündert. Bürgermeister Jacob Frey verhängte eine Ausgangssperre über das Wochenende, derweil verhaftete die Polizei zwischendurch einen schwarzen CNN-Reporter. Und US-Präsident Donald Trump goss noch Öl ins Feuer, als er dem Bürgermeister, einem linken Demokraten, auf Twitter droht, entweder, er sorge für Ruhe und Ordnung, oder er werde die Nationalgarde nach Minneapolis schicken. Auch in Dutzenden anderen Städten gab es Demonstrationen; von Los Angeles über Denver und St. Louis bis Atlanta und New York. Selbst in kleineren Städten wie Fort Wayne, Indiana, protestierten Menschen auf der Straße; die Polizei schoss mit Tränengas.

Die Wurzeln der schwarzen Bürgerrechtsbewegung 

Der Tod von Floyd war nur ein letzter Auslöser, der die ethnischen Spannungen in den USA zum Knallen brachte. Ein paar Wochen zuvor hatten weiße Waffenbesitzer in Georgia einen schwarzen Jogger namens Ahmaud Arbery erschossen; in Louisville, Kentucky erschoss die Polizei die Krankenhausangestellte Breonna Taylor bei einer Hausdurchsuchung. Die Krawalle, die im Fernsehen praktisch live übertragen werden, erinnern an die sechziger Jahre, als mit der Bürgerrechtsbewegung Innenstädte brannten.

Die Bürgerrechtsbewegung richtete sich damals gegen die Segregationsgesetze, die nach der Aufhebung der Sklaverei verabschiedet wurden, die so genannten Jim Crow-Laws, die getrennte Krankenhäuser, Schulen, Restaurants, Bussen oder Swimming Pools vorschrieben. Das hatte etwa zur Folge, dass schwarze Soldaten im zweiten Weltkrieg kein Blut an Weiße spenden durften oder dass Afro-Amerikaner starben, weil sie in weißen Kliniken nicht behandelt wurde. Manche Staaten erließen auch Regeln, um schwarze Bürger am Wählen zu hindern, etwa durch Lese- oder Geschicklichkeitstests.

In den 60er-Jahren brannten ganze Straßenzüge

Die Aufhebung der Rassentrennung begann 1948 mit der Desegregation der Army und setzte sich mit der Aufhebung der Rassentrennung in Schulen fort, verfügt in den fünfziger Jahren durch Präsident Dwight Eisenhower. Damals ließ der Gouverneur von Arkansas, Orwal Faubus, die Nationalgarde aufziehen, um schwarzen Schülern den Zutritt zu einer weißen Schule in Little Rock zu verwehren;

Eisenhower schickte daraufhin die 101st Airborne Division der Airforce nach Arkansas. Faubus, übrigens, war ein Demokrat, wie auch George Wallace, der Gouverneur von Alabama, der mit dem Slogan antrat, "segregation now, segregation tomorrow, segregation forever".In den sechziger Jahren brannten ganze Straßenzüge in Birmingham,  Harlem, Watts oder Rochester, mehr als hundert Aufstände von Afro-Amerikanern brachen aus.

Der Fall Rodney King

Der schwerste Aufstand geschah 1967 in Detroit, als die Polizei eine Razzia in einer Kneipe voller feiernder Vietnam-Veteranen veranstaltete. Das endete Tage später mit dem Einsatz von Nationalgarde und Militär, 43 Toten, mehr als tausend Verletzten und mehr als 2000 abgebrannten Gebäuden. Das wurde erst 1992 in South Central LA, dem schwarzen Teil von Los Angeles übertroffen, als Tausende auf den Straßen revoltierten.

Vorausgegangen war, dass ein Gericht vier Polizisten freigesprochen hatte, die den Afro-Amerikaner Rodney King zusammengeschlagen hatten. Es gab 63 Tote; vor allem der benachbarte Stadtteil Koreatown wurde in Mitleidenschaft gezogen, auch deshalb, weil es schon lange Spannungen zwischen Koreanern und Afro-Amerikanern gab. Manche Städte reagierten darauf, indem sie quer über schwarze Stadtteile Autobahnen planten oder die Müllabfuhr und die Notarztwagen abzogen. Deshalb zogen es viele Hausbesitzer vor, ihre Häuser anzustecken und die Versicherungssumme zu kassieren. Die Southwest Bronx mit ihren ausgebrannten Ruinen erlangte damals weltweite Berühmtheit.

Die Tricks sind subtiler geworden 

Rechtlich sind Afro-Amerikaner heute gleichgestellt, aber die Tricks sind subtiler geworden. Noch in den neunziger Jahren gab es das so genannte „Redlining“, als Banken festlegten, in welchen Bezirken Schwarze keine Kredite für den Hausbau bekamen. Das wurde unter Bill Clinton abgeschafft. Nun aber drückten die Banken Afro-Amerikanern höhere Kreditzinsen auf, was in der Finanzkrise von 2008 dazu führte, dass Schwarze stärker betroffen waren.

Schwarze dürfen zwar heute wählen, stehen aber länger in der Schlange vor den Wahllokalen. Derzeit tobt in Florida ein Streit zwischen dem Gouverneur und den Gerichten: In dem Staat dürfen entlassene Strafgefangene — die überwiegend schwarz sind — nun wählen, die Staatsregierung will das aber unterlaufen, indem sie verlangt, dass die Betroffenen vorher alle Strafgebühren bezahlen müssen.

Der Bürgermeister als Anwalt der Schwarzen 

Auch bei Polizeigewalt sind Amerikaner unterschiedlich betroffen. 1004 Menschen wurden 2019 von der Polizei erschossen, nur 370 davon waren weiß. Dabei liegt der Anteil von Afro-Amerikanern bei nur 12,7 Prozent, knapp 50 Millionen Menschen. Jacob Frey, der demokratische Bürgermeister von Minneapolis und früherer Bürgerrechtsanwalt, ist mit dem Wahlversprechen angetreten, die Beziehungen zwischen der Polizei und den schwarzen Bürgern zu verbessern.

Da hat er noch viel zu tun. Aber Spannungen zwischen Afro-Amerikanern und der Polizei gibt es überall. Das zeigte sich erst letzte Woche im New Yorker Central Park, als eine weiße Frau einem afro-amerikanischen Mann drohte, die Polizei zu rufen, nachdem der Mann sie aufgefordert hatte, ihren Hund in einer Zone des Parks anzuleinen, die für Hunde verboten ist. Auch von dieser Begegnung kursiert ein Video im Internet, das fast 30 Millionen Mal geklickt wurde. Der Mann – ein Harvard Absolvent, der im Park spazieren ging, um Vögel zu beobachten – hat es mit dem Handy gefilmt, um den Rassismus zu beweisen, der ihm da entgegengeschlagen ist. „Hier ist ein afroamerikanischer Mann, ich bin im Central Park. Er filmt mich und bedroht mich und meinen Hund“, schrie die Frau ins Telefon. Sie bekommt jetzt eine Strafe, weil sie den Notruf ohne Grund gewählt hat. Und sie hat ihren Job verloren. Dass sie sich bei ihm entschuldigt hat, hat ihr nichts genützt. 

Die Coronakrise hat Schwarze doppelt hart getroffen 

In Minneapolis, gegründet von Einwanderern aus Deutschland, Schweden und Norwegen, sind 20 Prozent der Bewohner Afro-Amerikaner, von denen wohnt der Großteil im Stadtteil Near North. Dass sich Nachbarschaften zwischen Schwarzen und Weißen aufteilen, ist nicht unüblich in Amerika, führt aber auch zu einer unterschiedlichen Lebenswirklichkeit von Schwarzen und Weißen.

Das zeigte sich zuletzt in der Coronakrise, die Afro-Amerikaner doppelt so hart getroffen hat wie Weiße, einerseits, weil die überproportional in „Service Jobs“arbeiten, als Busfahrer, Kellner oder Krankenschwester, andererseits, weil schwarze Stadtteile schlechter mit Krankenhäusern versorgt sind und weil sich in den – hauptsächlich von Schwarzen und Latinos frequentierten – öffentlichen Schulen mehr Schüler pro Klassenraum tummeln als in den vornehmlich weißen Privatschulen.

Gleiches Recht, aber nicht für alle 

Überdies verabschieden viele Staaten oder Städte Regularien, die de jure für alle gelten, bei denen die Polizei de fakto aber nur Schwarze verfolgt. Es gibt Gemeinden, in denen es am Strand verboten ist, Eis zu essen oder ohne Hemd im Lokal zu sitzen; die Polizei wird aber nur gerufen, wenn Afro-Amerikaner das tun. Eben das wurde auch George Floyd zum Verhängnis; hätte ein Weißer mit einem gefälschten Geldschein bezahlt, wäre er vermutlich noch nicht einmal verhaftet worden.

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