G20-Gipfel - Globalisierung unter Druck

Das G20-Gipfeltreffen wird schon im Vorfeld von Protesten überschattet. Bei der Berichterstattung darüber scheint der Blick für das Wesentliche verloren zu gehen. Worum geht es beim diesjährigen Treffen eigentlich? Ein Überblick

Gegen das G20-Treffen mobilisiert sich Widerstand. Doch was ist die Alternative? / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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„Welcome to Hell“ oder „G20 entern – Kapitalismus versenken“ – mit diesen Kampfbegriffen erwarten zahlreiche Demonstranten die Vertreter der größten Industrienation und Schwellenländer in Hamburg zum G20-Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag. Auch die Sicherheitskräfte rüsten auf. Es wird aller Voraussicht nach der größte und teuerste Einsatz der Hamburger Geschichte, mit 20 000 Polizisten aus nah und fern. Nicht nur wegen der hohen Kosten wird das Treffen seit jeher scharf kritisiert.

Doch was wäre denn die Alternative, um über die zentralen ordnungspolitischen Fragen der Staatenwelt zu sprechen? Abseits einer vagen „postnationalen Diskursgemeinschaft“ bleiben die regionalen Organisationen und die Vereinten Nationen. Erstere reichen nicht weit genug, die andere ist für einen effektiven Club zu groß. Deshalb kann man die Bedeutung der G20 für die internationale Politik derzeit kaum überschätzen.

Turbulente Weltordnung

Denn nicht nur aus deutscher Sicht fällt der Hamburger G20-Gipfel in eine besonders turbulente Zeit, eine Phase der internationalen Unsicherheit und Neu-Orientierung. Das liegt einerseits daran, dass die USA, China und Russland ihre politischen Ambitionen neu auszutarieren scheinen. Hängt andererseits aber auch damit zusammen, dass die EU zwischen Bangen und Hoffen, aber ohne zielsicheren Plan, ihren zukünftigen Platz in dieser Ordnung sucht. Schließlich kämpfen regionale Mittelmächte – die Türkei, Saudi-Arabien und der Iran – um ordnungspolitische Dominanz. Die „turbulente Weltordnung“ nach dem Politikwissenschaftler Wilfried von Bredow bezeichnet einen Zustand, in dem man sich auf wenig bis nichts verlassen kann.

Dabei stellt sich den Staaten eine ganze Reihe von Problemen, die von den Regierungen noch vor kurzer Zeit als Herausforderung an die Zusammenarbeit unter der Bedingung gegenseitiger Abhängigkeit gewertet wurden. Die Organisation einer gemeinsamen Handelsordnung, die Abstimmung über gleichgerichtete Klimapolitik und die Diskussion über die Bedingungen nachholender Modernisierung führten die Regierungen in den vergangenen Jahren immer wieder in harte und nur teilweise kaschierte Auseinandersetzungen. Doch die Grundlage dieser politischen Konflikte war die gemeinsame Überzeugung, dass die Globalisierung der Welt die rahmensetzende Dynamik sei. Auch wenn jeder etwas anderes unter Globalisierung verstanden hatte.

Neue Probleme für die Globalisierung

Globalisierung und Multilateralismus stehen jetzt aber in Frage, weil zwei der ambitionierten Großmächte sich aus Abgrenzungen Vorteile versprechen und die dritte Macht schon immer ein ganz eigenes Verständnis multilateraler Kooperation hatte. Die USA, Russland und China sortieren gerade ihre Interessen an der internationalen Ordnung neu. Das ist der Grundkonflikt dieses G20-Gipfels, der freilich so nicht diskutiert wird. Der Gipfel ist aber kein politiktheoretisches Seminar. Wo die einzelnen Staaten in Fragen des Multilateralismus stehen, ist aus den Verhandlungen um die einzelnen Themen herauszufiltern.

Das wird beim wichtigsten Thema, der internationalen Wirtschafts- und Handelsordnung, daran sichtbar werden, wie stark sich die G20 gegen Protektionismus aussprechen. Nach der Finanzkrise 2008 wurde dieser Club ja gerade deshalb international tonangebend, weil es gelang, nationale Abschottungen zu verhindern. Bleibt dies so? Und werden weiterhin die damals gefassten Schlüsse aus der Bankenkrise gezogen? Oder ist die Aufweichung des regulierenden Dodd-Frank-Act in den USA der Startschuss für die nächste Casino-Rallye an den Finanzmärkten? In allen drei Staaten, da darf man sicher sein, gibt es Interesse daran.

Klimapolitik

Auch beim Klimaschutz war man sich im Pariser Abkommen nahe gekommen. Nicht nahe genug, um alle Fragen der Emissionsreduzierung, Dekarbonisierung und Überwachung zu klären. Aber immerhin soweit, dass man dies gemeinsam in Angriff nehmen wollte. Ist der angekündigte Rückzug der USA nunmehr der Startschuss in die andere Richtung? China hatte strikte Kontrollen stets abgelehnt. Trotz der Lippenbekenntnisse für mehr Klimaschutz werden weiterhin Kohlekraftwerke gebaut. Dass Russland und Saudi-Arabien das Ende von Öl und Gas für alle begrüßen würden, konnte sich sowieso kaum ein Beobachter vorstellen.

Partnerschaft mit Afrika

Die Partnerschaft mit Afrika, die für Europa von Bedeutung ist, findet in anderen Teilen der Welt keine enthusiastische Reaktion. Es ist Europas Gegenküste, die destabilisiert wurde und von der zukünftig angeblich Millionen von Menschen aufbrechen. Kein Wunder, dass die USA, Südkorea und Indien da nicht besondere Dringlichkeit verspüren. Mehr private Investitionen für Afrika wird es wohl geben können. China ist hier schon seit Jahren aktiv, ohne dass diese Entwicklung in den europäischen Staaten besonders begrüßt worden wäre. Jedenfalls schwingt nicht nur die Frage nach wirtschaftlichen Chancen, sondern auch nach politischer Teilhabe und Menschenrechten mit. Doch das wird inzwischen von den G20-Mitgliedern noch unterschiedlicher bewertet als zuvor.

Auch der Kampf gegen Terrorismus, der seit inzwischen 16 Jahren zur Legitimation von verstärkter Überwachung und Staatsgewalt zitiert wird, kann eine Rolle auf dem Treffen spielen. Doch ist kaum zu erwarten, dass sich die nationalen Umsetzungen abstimmen lassen. Es bleibt dabei, dass jeder seine eigenen Terroristen identifiziert.

Die drei Präsidenten

Trump, Putin und Erdogan: Nicht nur die deutsche Öffentlichkeit wird besonderes Augenmerk darauf legen, wie die drei Präsidenten miteinander und den anderen Teilnehmern umgehen. Sie kommen alle mit ihrer eigenen Agenda und den daraus resultierenden Konflikten. Trump und Erdogan stehen im Konflikt um Katar auf unterschiedlichen Seiten. Trump und Putin müssen zwischen neuen Sanktionen gegenüber Russland, einer aufrüstenden Nato und Sonderermittlungen gegen das Trump-Team ihre Beziehungen richten.

Schließlich spitzen sich auch die amerikanisch-chinesischen Beziehungen zu, nachdem es zuerst Entwarnung von der Wahlkampfrhetorik gab: Sanktionen gegen chinesische Firmen, Provokationen im südchinesischen Meer und die angekündigten Waffenverkäufe an Taiwan lasten auf den Beziehungen. Des Weiteren ist China unfähig, Nordkorea in der Atomfrage einzudämmen.

EU hält den Multilateralismus hoch

Das direkte Zusammentreffen der Regierungsspitzen ist auch ein Maßstab dafür, wie sich die einzelnen Großmächte die internationale Ordnung vorstellen. Und was sie dafür tun, sich mit ihrer Vorstellung durchzusetzen. Russland, die USA, China, die Türkei und Saudi-Arabien haben sich in den letzten Monaten nicht gerade als Vorkämpfer einer multilateralen Welt gezeigt. Im Gegenteil.

Die Europäische Union ist hier sowohl Vorkämpfer als auch Ausreißer. Im Aufatmen darüber, dass die populistische Gefahr fürs erste vorüberging und in wohliger Selbstvergewisserung, dass der Integration die Zukunft gehört, stabilisieren die europäischen Spitzen ihre Weltsicht in einer sich rasant verändernden Welt. Trump und Putin zu vorübergehenden Phänomenen zu erklären, mag nach innen helfen. Die Steuerungsfähigkeit eines internationalen Clubs wird dadurch aber nicht verbessert. Es ist zu befürchten, dass es auf die anstehenden Fragen vor allem nationale Antworten geben wird und der Konsens eher mager ausfällt.

Ein neues Dilemma

Die europäischen Staaten werden dadurch erneut in ein Dilemma katapultiert: Wie lange kann man sich in einer Welt, in der die nationalen Interessen wieder enger definiert werden, multilateral aufstellen, ohne die eigenen Interessen zu beschädigen? Italien hat kurz vor dem Gipfel gedroht, die Reißleine zu ziehen: keine Flüchtlinge mehr in italienische Häfen, ohne direkte und massive Hilfe der anderen. So wird dem Multilateralismus auf die Sprünge geholfen. In den meisten Fragen, die auf dem G20-Gipfel verhandelt werden, gibt es dieses Drohpotenzial jedoch nicht.

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