Frankreichwahl - Neuanfang auf Trümmern

Emmanuel Macron dürfte nach dem Sieg im ersten Wahlgang auch zum Präsidenten Frankreichs gewählt werden. Von ihm wird erwartet, die Nation zu einstiger Größe zurückzuführen. Schwieriger könnte die Aufgabe kaum sein

Emmanuel Macron ist der Gewinner des ersten Wahlgangs bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Allen politischen Erfahrungswerten zufolge heißt der nächste französische Staatspräsident Emmanuel Macron. Er geht als Erstplatzierter aus der ersten Wahlrunde hervor, seine Gegenkandidatin wird in zwei Wochen Marine Le Pen sein. Und es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die Mehrheit der Franzosen ihr politisches Schicksal tatsächlich einer Frau anvertrauen wollen, die für einen radikalen Bruch mit den Leitlinien der Fünften Republik steht. Aber dass alte Gewissheiten nicht mehr gelten, auch das hat der Ausgang der heutigen Wahlen in unserem Nachbarland in aller Dramatik verdeutlicht. Denn es mag zwar der moderateste aller zur Wahl stehenden Kandidaten gewonnen haben. Die französische Parteienlandschaft, wie wir sie kannten, ist am heutigen Tag gleichwohl bis auf ihre Fundamente zerstört worden.

Gespaltenes Land im Verhältnis zur EU

Und es bleibt festzuhalten, dass die drei zumindest im Grundsatz eher EU-freundlichen Kandidaten (Macron, Fillon, Hamon) zusammen gerade einmal knapp die Hälfte der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen konnten. Man mag die erste Runde zwar als „Wahlgang der Herzen“ bezeichnen und die zweite Runde als den Wahlgang der Vernunft. Mit Blick auf das europäische Gemeinschaftswerk ist Frankreich in jedem Fall ein gespaltenes Land.

Aus Sicht der Bundesregierung dürfte mit Emmanuel Macron derjenige gewonnen haben, mit dem es am meisten politische Anknüpfungspunkte gibt. Er will die Eurozone weiterentwickeln, tritt sogar für größere Kompetenzen auf EU-Ebene ein, steht für Globalisierung und internationale Handelsabkommen und plädiert für einen Ausbau gemeinschaftlicher Strukturen in der europäischen Verteidigungspolitik. In alledem ist er das exakte Gegenmodell zu Marine Le Pen, die für einen klar nationalistischen Kurs steht und einen Austritt aus den Kommandostrukturen der Nato befürwortet. Sollte die Anführerin des Front National tatsächlich gewählt werden, wäre damit das Ende der EU eingeläutet.

Der elitäre Anti-Eliten-Kandidat Macron

Den meisten Franzosen wird trotz ihrer Europaskepsis das damit verbundene Risiko zu hoch sein. Dennoch kann kein Zweifel daran bestehen, dass mit Blick auf die EU inzwischen eine enorme Skepsis in Frankreich besteht. Als europapolitisches „Weiter so“ können die 23,7 Prozent Zustimmung für Macron jedenfalls nicht gewertet werden. Sollte Emmanuel Macron, wofür das allermeiste spricht, das nächste Staatsoberhaupt Frankreichs werden, dann lasten enorme Erwartungen auf dem gerade mal 39-Jährigen.

Schon der Name seiner Bewegung „En marche!“ verheißt einen Aufbruch in neue Zeiten, eine Überwindung des elitären Systems französischer Politik. Zwar hat Macron als Absolvent der ENA (also jener Kaderschmiede, die geradezu symbolhaft für Frankreichs Polit-Elite steht), als ehemaliger Minister unter Hollande und als zwischenzeitlicher Investmentbanker sämtliche Attribute in sich vereint, die aus Sicht vieler Franzosen die Abgehobenheit der politischen Klasse symbolisieren. Dennoch hat er es offenbar verstanden, sich als glaubwürdigen Reformer in Szene zu setzen. Ein Heilsbringer wird er schon deshalb nicht sein können, weil die Reformbereitschaft in der französischen Bevölkerung sehr schnell an ihr Ende gelangt, wenn es denn erst konkret wird. Und wenn es darum geht, Privilegien und liebgewonnene Gewohnheiten zu verteidigen, sind Frankreichs Berufsstände und Lobbygruppen in einer Weise kampferprobt, neben der deutsche Gewerkschaften wie Hobbygärtnervereine wirken.

Desaster für Traditionsparteien

Für die Republikaner und die Sozialistische Partei war der heutige Wahltag nicht weniger als ein absolutes Desaster. Nachdem zuerst der Amtsinhaber François Hollande kampflos aufgegeben und seine Partei mit Benoit Hamon einen Außenseiter als Kandidaten nominiert hatte, ging dieser sogar noch schlechter aus dem Rennen als es die für ihn pessimistischsten Prognosen vorhergesagt hatten: 6,2 Prozent dürften das Ende für den Parti socialiste bedeuten.

Die Republikaner wiederum haben mit ihrem Ergebnis von unter 20 Prozent die Quittung dafür bekommen, dass sie wider besseres Wissen und aus Angst vor der eigenen Courage an ihrem von Skandalen heimgesuchten Kandidaten François Fillon festgehalten haben. Auch die Zukunft dieser Partei dürfte jetzt mehr als ungewiss sein. Fillons politische Karriere ist ohnehin beendet.

Macron muss Allianzen knüpfen

In zwei Wochen also wird wohl der elitäre Anti-Eliten-Kandidat Emmanuel Macron einen deutlichen Sieg gegen Marine Le Pen davontragen. Dann steht er vor einer der größten denkbaren politischen Herausforderungen: Er muss seinem Land jenes Selbstvertrauen zurückgeben, das in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten immer weiter verloren gegangen ist.

Dabei geht es längst nicht nur um die wirtschaftlichen Probleme, um Terror, Integration und um den militanten Islam. Die Franzosen erwarten von ihrem künftigen Präsidenten, dass er der Nation zur einstigen (gefühlten) Größe zurückverhilft. Weil das auch für einen Staatschef mit den weitreichenden Kompetenzen des französischen Präsidentenamts ein Ding der Unmöglichkeit ist, wird es Macrons erste und wichtigste Aufgabe sein, Allianzen zu knüpfen. Und da lässt die erste Bewährungsprobe nicht lange auf sich warten. Denn schon im Juni finden in Frankreich Parlamentswahlen statt. Und Macrons Politbewegung „En marche!“ ist trotz ihres heutigen Erfolgs bei weitem keine gefestigte Größe. Das wird kein leichter Weg. Wünschen wir unseren französischen Nachbarn das Beste.

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