Frankreich hadert mit der Windenergie - „Der Konsens für die Windenergie wird schwächer“

Frankreichs Küsten gehören zu den längsten in Europa – und trotzdem ist dort noch kein einziger Offshore-Windpark in Betrieb. Schuld daran ist neben Vorbehalten von Anwohnern auch eine Muschel.

Frankreich tut sich schwer mit Windkraft / dpa
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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„Bisher waren wir nett“, sagt Alain Coudray und dreht an den drei imposanten Totenkopf-Ringen seiner Hände. Der schwarz gekleidete Mann mit Kahlschädel und Tätowierungen bis über den Hals ist kein Rocker, sondern Fischer. Zumindest war er das 28 Jahre lang. Heute ist er pensioniert und leitet das Fischereikomitee des nordbretonischen Departementes Côtes d’Armor.

Vor ein paar Wochen hat Coudray Präsident Emmanuel Macron einen Brief geschrieben. „Das Maß ist voll, die Seeleute fühlen sich verraten“, schrieb er, um drohend anzufügen: „Wir werden alle Mittel anwenden, um das Projekt zu stoppen.“

Das Projekt: ein riesiger Windpark in der ausladenden Meeresbucht. Er lässt die Wogen stärker steigen als jede Flut des gezeitenstarken Ärmelkanals. Coudray präzisiert zwar, er denke nur an „legale“ Mittel. Allerdings rechnet er sich dann wie einst Admiral Nelson vor Trafalgar aus: „Wir haben 300 Schiffe, und wir haben 800 Fischer.“ Das sei genug, um alle Bauarbeiten in der Bucht zu stoppen.

62 Windräder, 214 Meter hoch 

Dann erzählt der massige Fischer, hinter dessen Bürosessel die schwarz-weiße Flagge der Bretagne prangt, die Bucht von Saint-Brieuc sei ein anerkanntes Naturschutzgebiet voller Fische, Vögel und Seefrüchte. Sehr windig sei es hier nicht. „Und dennoch sollen hier 62 Windräder entstehen, allesamt 214 Meter hoch, vom Ufer aus sichtbar. Nicht mit uns!“

Doch hat die Landesregierung in Paris nicht versprochen, die Fischer an dem Projekt zu beteiligen, als sie es dem spanischen Stromkonzern Iberdrola zuschlug? „Eine glatte Lüge“, ereifert sich Coudray. „In Wahrheit haben wir nichts zu sagen, die Würfel sind längst gefallen.“

Fakt ist: Die französische Regierung hatte 2011 ein ehrgeiziges Programm für maritime Windparks lanciert, um den Rückstand zu Großbritannien und Deutschland aufzuholen. Neun riesige Offshore-Parks sollten bis 2023 zusammen 2,4 Gigawatt Strom produzieren. Bisher ist indessen kein einziger am Netz. Überall gibt es lokale Einwände, Petitionen und Einsprüche wegen der Zerstörung des Ökosystems oder anderer, auch visueller Umweltschäden.

Eine Gefahr für Jakobsmuscheln 

Im Hafen von Saint-Quay-Portrieux, wo es nach Salzluft riecht und die Taue an den Masten klimpern, legt gerade die „Fury Breizh“ an. Kapitän Jonathan Thomas hat nicht viel Zeit, er entlädt an dem wie abgeschnitten wirkenden Heck Jakobsmuscheln. Ihr Fang wurde hier in der Bucht genau geregelt, um die Bestände zu erhalten: „Wir dürfen die Muscheln nur zweimal in der Woche fischen – und jeweils nur 45 Minuten lang“, meint Käpt’n Jo. „Und die Öffnungen in den Eisengittern sind erst noch kürzlich vergrößert worden. Damit gehen uns noch mehr junge Muscheln durch die Maschen.“

Die Coquilles Saint-Jacques bleiben nicht lange im Hafen. Schon am späten Nachmittag verkauft Jonathans Frau Aurélie die taufrische Delikatesse im Ortszentrum, wegen Covid allerdings nur über die Straße. Jo muss sich deshalb beeilen. „Nur noch eins“, sagt er: „Mein Boot ist genau ein Jahr alt, es kostete ein Heidengeld. Wenn der Windpark kommt, können wir hier einpacken. Dann verschwinden die Muscheln, die Krabben, die Kalmare, die Rotbarben, der Glattbutt. Als Folge müssten wir hundert Kilometer Richtung Südbretagne fischen gehen. Und das lassen wir nicht zu.“

Fischer mobilisieren Widerstand

Iberdrola kontert, der Windpark vor Saint-Brieuc werde 835.000 Haushalte mit Strom versorgen; das entspreche einem Viertel der Bretagne. Die dreißig Kilometer Stromkabel würden größtenteils im Meeresboden vergraben, sodass die Laich- und Nährplätze verschont blieben. Aus Rücksicht auf die Fischer werde der Lärm der Bauarbeiten zudem stark eingeschränkt.

Alain Coudray lacht nur: „Iberdrola behauptet, die Bohrungen seien unter Wasser nicht lauter als ein Jetski. Ein solches Ding lärmt aber im Vorbeifahren nur ein paar Sekunden – die Bauarbeiten dauern dagegen drei Jahre. Danach wären die Fische und Muscheln längst verschwunden.“ Die nordbretonischen Fischer mobilisieren nicht allein gegen die Offshore-Parks. Widerstand gibt es auch in Tréport (Normandie), Dünkirchen (Nordfrankreich) oder auf den Inseln Belle-Île-en-Mer (Südbretagne) und Oléron (Atlantik). Windparks auf dem Festland werden in Frankreich auch immer umstrittener; neue Projekte setzen sich kaum mehr durch. 

Das zeigt auch, wie sehr sich die üblichen umweltpolitischen Fronten vermischen. Naturschützer und Fischer, die häufig unterschiedliche Vorstellungen vom Schutz der maritimen Fauna und Flora haben, machen heute gemeinsame Sache gegen die erneuerbare Windenergie; die Grünen sind gespalten.

75 Prozent der Energie kommt aus Atomkraft 

Obwohl Macron alles daransetzt, sich vor der Präsidentschaftswahl 2022 als ökologischer Pionier der Erneuerbaren zu präsentieren, beißt er lokal auf Granit. Erst an drei Orten, in Courseulles, Fécamp und Saint-Nazaire, haben Bauarbeiten für Meeres-Windparks begonnen, ein Termin für die Inbetriebnahme ist allerdings nicht in Sicht.

Macron musste 2020 selber einräumen, der „Konsens für die Windenergie in unserem Land“ werde „schwächer“. Der Windkraftverband „France Énergie Éolienne” (FEE) äußerte darauf seine „Enttäuschung“ über die Staatsführung. Sie habe versprochen, dass die erneuerbaren Energien bis zum Ende des laufenden Jahrzehntes 40 Prozent der nationalen Stromproduktion ausmachen würden. Davon sei Frankreich weit entfernt.

Es stimmt, heute entfallen in Frankreich fast drei Viertel der nationalen Stromproduktion auf die Atomkraft. Langfristig soll der Energiemix noch zu 60 Prozent aus Atomkraft bestehen. Aber der politische Wille dazu fehlt.

Windparks sind weder ökonomisch noch ökologisch 

Denn der längst amortisierte AKW-Park Frankreichs liefert günstigen Strom für 50 Euro pro Megawattstunde. Beim Offshore-Windpark von Saint-Brieuc musste die Regierung einen Abnehmerpreis von 155 Euro/MWh garantieren, um Betreiber wie Iberdrola anzuziehen. Anders gesagt: Solange Frankreich auf Atomkraft setzt, werden seine Windparks nie wettbewerbsfähig sein.

Katherine Pujol von der lokalen Anti-Windpark-Organisation „Gardez le cap“ hat ausgerechnet, dass der französische Staat Iberdrola in den nächsten zwanzig Jahren für den Park von Saint-Brieuc 4,7 Milliarden Euro an Subventionen zahlen muss, um unter anderem den hohen Abnahmepreis zu garantieren. „Das ist ein Skandal“, schimpft die Umweltschützerin. „Die Windenergie ist in Wahrheit weder ökologisch noch ökonomisch.“ Ein Argument, das man in Frankreich landesweit hört.

Fischer setzen auf Wellenenergie 

Pujol plädiert zusammen mit den Fischern von Saint-Brieuc für eine Alternative: Ein Dünungs-Kraftwerk soll mit Hilfe des archimedischen Prinzips auch aus dem geringen Wellenschlag der Bucht Energie produzieren. Coudray unterstützt das sogenannte Hace-Verfahren des Startup-Unternehmers Jean-Luc Stanek ebenfalls: „Es schützt die maritime Biosphäre, ist CO2-neutral und mit 20 Euro pro Megawattstunde siebenmal billiger als Windkraft. Ich kenne mich zwar eher mit Fischernetzen aus, aber dass dieses Verfahren Hand und Fuß hat, sehe ich auch. Ich hoffe, Macron lässt sich darauf ein.“

Die Regierung will aber an dem Windpark festhalten, wie Umweltministerin Barbara Pompili dieser Tage klargemacht hat. Die Vorarbeiten in der Bucht haben am 3. Mai begonnen. Daran hat bisher auch das bedrohliche Auslaufen Dutzender Fischerboote Richtung Baustelle nichts geändert. In Saint-Brieuc wurde ein Sicherheitsmann bei Protesten ins Wasser gestoßen. In ein Kabellager für die Windanlage warfen Unbekannte einen Molotow-Cocktail.

Die Lage ist gespannt, und Coudray seufzt tief. Er mag solche Konflikte nicht. „Aber wir werden ja sehen, wer stärker ist“, sagt der lokale Fischerboss und massiert die silbernen Totenköpfe an seinen Fingern.

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