Francois Fillon - Biedermann als Brandstifter

François Fillon gilt nach dem Sieg bei den Vorwahlen der Republikaner als Favorit für die Präsidentschaftswahlen in Frankreich. Paradoxerweise reißt er damit die Linke aus ihrer Lethargie. Selbst Marine Le Pen gibt sich sozialer denn je

François Fillon will eine radikale Abwehr des generösen Sozialmodells in Frankreich / picture alliance
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Der Startschuss erfolgt laut und deutlich. Die Vorwahl der Republikaner lanciert auf spektakuläre Weise die Präsidentschaftswahl im kommenden Frühjahr. Alle Medien und Demoskopen rechneten mit dem gemäßigten Alain Juppé oder dem rührigen Nicolas Sarkozy –  gesiegt hat mit 66 Prozent der Stimmen der Biedermann François Fillon. Dabei wollen seine liberalkonservativen Überzeugungen so gar nicht zum jakobinisch-etatistischen Frankreich passen. Selbst am wenigsten überrumpelt durch seinen Überraschungssieg, kündigte der 62-jährige Gaullist am Sonntagabend gleich einen „kompletten Wechsel der Software“ an. Damit meint er eine radikale Abkehr von jenem generösen Sozialmodell, welches Herz und Seele der französischen Republik ausmacht.

Gegen den Widerstand der Straße

Auf die Journalistenfrage, ob er dieses Sozialmodell zerstören wolle, donnerte Fillon in der TV-Debatte am vergangenen Donnerstag: „Von welchem Sozialmodell sprechen Sie? Von dem Modell, das sechs Millionen Arbeitslose generiert, das zwei Millionen Jugendliche zwischen 16 und 25 Jahren außerhalb der Schule oder Ausbildung belässt; von dem Modell, das die Mittelklasse herabstuft, das die Armut und die Wohnungsnot nicht zu bekämpfen vermag?“

Doch nicht genug damit – Fillon will sein Programm wirklich umsetzen, wenn nötig gegen alle Widerstände der Straße. „Ich werde nicht zittern“, richtet er sich an die Adresse seiner politischen Gegner und warnt die Gewerkschaften: „Ich suche die Konfrontation nicht, aber manchmal ist ein Kraftakt nötig.“

Fusion von Sarkozy und Juppé

Mit solchen Worten hat Fillon die Vorwahlen gewonnen. Wie sich zeigt, gelang Fillon eine Art Fusion von Sarkozy und Juppé – mit dem Ersten hat er das rechte Programm gemein, mit dem Zweiten das unaufgeregte, präsidiale Gebaren. Eine erste, noch am Wahlabend erstellte Umfrage erscheint wie Verlängerung seines Triumphs: Danach werden Fillon im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen von Ende April 26 Prozent der Stimmen gutgeschrieben, zwei Punkte mehr als Front National-Kandidatin Marine Le Pen; mehr oder weniger knapp dahinter, würden alle Linkskandidaten ausscheiden. Im entscheidenden Wahlgang gewänne Fillon die Wahl gegen Le Pen mit 67 zu 33 Prozent, also ebenso klar, wie er am Sonntag Alain Juppé überflügelt hatte.

Fillon hat ein starkes Argument: Niemand kann bestreiten, dass Frankreich neue Wege einschlagen muss, wenn es die rekordhohe Massenarbeitslosigkeit nicht nur mit Lippenbekenntnissen bekämpfen will. Um den Wirtschaftsmotor anzuwerfen, will der Ex-Premier die Vermögenssteuer abschaffen und die Firmenabgaben senken; als großer Defizitgegner würde er dafür die Mehrwertsteuer erhöhen.

„Er gibt den Reichen und nimmt den Armen“

Und darin liegt, wahlpolitisch gesprochen, seine große Schwäche: „Er gibt den Reichen und nimmt den Armen“, resümierte Laurent Joffrin von der Zeitung Libération am Montag. Der sozialistische Präsidentschaftskandidat Arnaud Montebourg schimpft, Fillon plane „die Zerstörung der Sozialversicherung und einen Sozialplan für die Beamten“; ins gleiche Horn blasen dessen Rivalen Emmanuel Macron,  der eine eigene Unterstützerbewegung im Internet namens En marche gegründet hat, und Jean-Luc Mélenchon, der für die Kommunistische Partei antreten wird. Erstmals seit langem spricht die Linke wieder mit einer Stimme – gegen Fillon. Das Wochenmagazin L’Obs fasst dies in die griffige Titelschlagzeile, Fillon sei „erzreaktionär, ultraliberal, pro-Putin“. 

Auch wenn Frankreichs gebeutelte Linke durch Fillons Vorwahlsieg wie wiederbelebt wirkt, hat sie noch ein personelles Problem: Präsident François Hollande spielt mit einer Wiederkandidatur und den Nerven seiner Parteifreunde. Am Montag traf er Premier Manuel Valls, der sich am Sonntag ohne Rücksicht auf seinen Vorgesetzten Hollande „bereit“ erklärt hatte. Ihre Aussprache muss die Lage bald klären. Danach werden die Sozialisten zum Angriff auf Fillon blasen. Ihre Hoffnung: Wenn sie in die Stichwahl kommen, können sie den Liberalkonservativen schlagen.

Deshalb ist mit einer sehr harten Präsidentschaftskampagne zu rechnen. Der Spitzenkandidat der Republikaner hat den Ton vorgegeben, seine linken Herausforderer werden kontern. Und sie wissen, wieviel auf dem Spiel steht: Wenn sie keine glaubwürdige Antwort zustande bringen, hat Le Pen eine parat. Fillon habe „das schlimmste Programm sozialen Kahlschlags, das jemals existiert“ habe, wettert sie.

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