Fall Deniz Yücel - In der Zwangsjacke

Im Fall Deniz Yücel zeigen sich die Folgen des Flüchtlingsdeals zwischen Erdogan und Merkel. Die Inhaftierung des Reporters demaskiert, dass die Bundeskanzlerin sich und Deutschland einem Diktator ausgeliefert hat

Seit Montag in türkischer Untersuchungshaft: Deniz Yücel / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

So erreichen Sie Constantin Wißmann:

Anzeige

Wenn sogar George W. Bush für die Pressefreiheit eintritt, dann muss es wirklich schlecht um sie stehen. Der ehemalige Präsident der USA sagte, nachdem sein Nachfolger Donald Trump Vertreter mehrerer renommierter Medien von Hintergrundgesprächen ausgeschlossen hatte: „Es ist ziemlich schwierig, anderen zu sagen, sie brauchten eine unabhängige, freie Presse, wenn wir selbst nicht bereit sind, eine solche zu akzeptieren.“ Wohl gemerkt, in den USA geht es, hauptsächlich, um Eitelkeiten. Was derzeit in der Türkei geschieht, hat eine ganz andere Qualität. Und nicht erst seit Montag, nicht erst seit Welt-Korrespondent Deniz Yücel in Untersuchungshaft sitzt. 150 Journalisten befinden sich in der Türkei in Haft, mehr als in China, mehr als im Iran.

Mit Willkür gegen Pressefreiheit

Zwar lässt sich von Deutschland aus schwer beurteilen, ob die Vorwürfe gegen Yücel berechtigt sind. Aber alle Anzeichen sprechen dagegen. Noch immer ist unklar, was ihm eigentlich vorgeworfen wird. Und wie wenig das Vorgehen gegen missliebige Journalisten in der Türkei mit Rechtsstaatlichkeit zu tun hat, zeigt der Fall Ahmet Sik. Dem türkischen Journalisten wird vorgeworfen, Propaganda für das Netzwerk des islamischen Predigers Fethullah Gülen betrieben zu haben. Dabei ist Sik vor allem dafür bekannt, dass er ein Enthüllungsbuch über die dunklen Machenschaften der Gülen-Bewegung geschrieben hat.

Und was ist mit Yücel? Keine Frage, Yücel polarisiert, in Deutschland und in der Türkei. Dabei schießt er manchmal über das Ziel hinaus. Besonders krass war es, als er über Thilo Sarrazin schrieb, „der nächste Schlaganfall möge sein Werk gründlicher verrichten“. Aber das spielt in diesem Fall keine Rolle, darf keine Rolle spielen. Das sieht Sarrazin selbst übrigens genauso. Der Jungen Freiheit sagte er: „Als Person ist Deniz Yücel für mich nicht satisfaktionsfähig. Das gibt der Türkei aber noch nicht das Recht, ihn zu inhaftieren“. Die Pressefreiheit gilt für alle oder sie gilt nicht.

Yücel als politischer Spielball

In der Türkei gilt sie nicht. Doch gegen ausländische Journalisten mussten auch Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Schergen sich bisher zurückhalten, was, schlimm genug, so aussah: Zwei türkische Mitarbeiterinnen der BBC und der New York Times attackierte der Präsident so lange, bis sie die Türkei verließen. Ein Reporter des Wall Street Journal musste für zweieinhalb Tage in Haft, danach ging auch er zurück in die USA.

Bei Yücel aber ergriff Erdogan eiskalt die Chance, den Reporter als politischen Spielball zu benutzen. Von Deutschland aus ist es schwierig, bei Yücel, der neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzt, auf eine Ausweisung zu drängen. Vor allem aber spüren wir, und vor allem natürlich Yücel, jetzt die Folgen des Flüchtlingsdeals zwischen Erdogan und Angela Merkel. Denn damit hat sich die Bundeskanzlerin eine außenpolitische Zwangsjacke angelegt.

Die Inhaftierung Yücels demaskiert nun, dass sie sich und Deutschland einem Diktator ausgeliefert hat. Deshalb scheint ihr momentan nichts anderes übrig zu bleiben, als die Verhaftung mit Worten zu kritisieren, sie als „bitter und enttäuschend“ zu bezeichnen. Dabei steckt die Türkei in einer tiefen Wirtschaftskrise, es gäbe also durchaus kräftige Hebel, die man einsetzen könnte, um Yücel frei zu bekommen. Dafür muss alles in Bewegung gesetzt werden. Alles andere wäre bitter und enttäuschend. Für Yücel. Für die Pressefreiheit. Für uns alle. 

Anzeige