Europäische Kommission - Spam-Flut gegen Gentechnik

Die Europäische Kommission wollte erfahren, wie Bürger, Vereine und Interessengruppen über eine Neuordnung des Gentechnikrechts denken. Doch die Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament machte dem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung – und initiierte eine Spam-Flut gegen Gentechnik.

Weizenfeld in Hessen. Im Hintergrund die Skyline von Frankfurt am Main / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Guten Tag, ich möchte die EU-Kommission hiermit bitten und nachdrücklich auffordern, das bestehende EU-Gentechnikrecht auf alle gentechnisch veränderten Organismen (GVO) anzuwenden“, schreibt Rosemarie Wagner. Birgitt Geller und Brigitte Keller, die wohl nicht ganz zufällig ähnlich heißen, schreiben kurz hintereinander genau das Gleiche. Und Klaus Kuhn findet: „Die Gentechnik-Gesetze der EU müssen auf alle gentechnisch veränderten Organismen angewandt werden.“ Gudrun Fiedler sieht das genauso. Und schreibt es auch. Im exakten Wortlaut.

Mehr als 70.000 Wortmeldungen in unterschiedlichen Sprachen, vor allem auf Deutsch, Englisch und Französisch, hat die Europäische Kommission im Rahmen eines mehrtägigen, öffentlichen Konsultationsverfahrens im Oktober erhalten. Eigentlich wollten die Initiatoren wissen, was EU-Bürger, Vereine und Interessengruppen über eine Neuordnung des Gentechnikrechts denken. Doch dazu kam es nicht.

Denn die Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament wollte angesichts der großen Symbolkraft, die das Thema Gentechnik für die Grünen hat, nichts dem Zufall überlassen. Deshalb hat die Fraktion eine Agentur damit beauftragt, ein Open-Source-Tool zu erstellen, mit dem sich das öffentliche Konsultationsverfahren mit Hilfe diverser NGOs anhand vorgefertigter Textbausteine prägen lässt. Inklusive der technischen Möglichkeit, das Registrierungsverfahren auf der Internetseite der Europäischen Kommission zu umgehen. Die Folge: Hinz und Kunz konnten sich, mehrfach und weitgehend anonym, in die Debatte einmischen – und die Seite der Europäischen Kommission mit Anti-Gentechnik-Spams fluten. Motto der Aktion: „Keep GMO out of our food.“

Künstlich, aber natürlich

Im Zentrum der Debatte steht eigentlich die Frage, ob das Genome Editing von den strengen Zulassungs- und Kennzeichnungspflichten bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln ausgenommen werden sollte. Neben Gutachten und Expertengremien wählte man das öffentliche Konsultationsverfahren, um einen Einblick zu bekommen, was die EU-Bürger über Gentechnik allgemein und insbesondere über Genome Editing denken. Denn anders als bei anderen Verfahren enthalten die durch Genome Editing erzeugten Pflanzen keine Fremdgene, sondern sind lediglich mutiert – und unterscheiden sich analytisch nicht von Obst-, Gemüse- und Getreidesorten, die mit der klassischen Mutagenese-Technik verändert wurden.

Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz schreibt hierzu: „Klassische Verfahren der Mutagenese beruhen auf der Wirkung bestimmter Chemikalien oder Strahlung, wie zum Beispiel radioaktive oder UV-Strahlung. Diese erhöhen das Auftreten von Veränderungen im Erbgut. Anders als bei Genscheren passiert dies wie bei natürlich auftretenden Mutationen aber an zufälligen Stellen im Erbgut.“ Heißt übersetzt: Das klassische Mutagenese-Verfahren ist zwar ein künstlicher Vorgang, ist so aber auch in der Natur zu beobachten. Daher werden Äpfel und Birnen, deren DNA auf diese Art verändert wurden, sogar im Bioladen verkauft.

Gleiches, also die Naturnähe, gilt entsprechend auch für Gentechnik mithilfe von Genome Editing, ein Sammelbegriff für molekularbiologische Techniken zur zielgerichteten DNA-Veränderung. Die Grundidee ist immer die gleiche: Pflanzen resistenter zu machen, etwa gegen Hitzewellen oder, besonders in den USA ein großes Thema, gegen starke Stürme wie Tornados oder Hurrikans, die den Vereinigten Staaten jedes Jahr massive Ernteverluste bescheren.

Allein auf weiter Flur

Dass das Genome Editing trotzdem von der Europäischen Union behandelt wird wie jeder andere Eingriff in das Erbgut von Pflanzen, liegt zuvorderst an einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom Juli 2018. Der entschied damals, dass Organismen, deren DNA zur zielgerichteten Modifizierung von Erbgut verändert wurde, als gentechnisch veränderte Organismen einzustufen seien. Die Gentechnik-Gegner freuten sich. Doch viele Forscher, gerade Agrarwissenschaftler, reagierten fassungslos auf das Urteil.

Nicht nur deshalb, weil die DNA von genom-editierten Pflanzen meist gar nicht unterscheidbar ist von der DNA klassisch gezüchteter Sorten. Sondern auch, weil die Europäische Union in der Regulierung des Genome Editings damit international ziemlich allein ist auf weiter Flur. In den meisten Ländern außerhalb der EU wird das Genome Editing anders und deutlich positiver bewertet. Ein zentraler Kritikpunkt lautet deshalb: Während andere Regionen dieser Erde beim Genome Editing vorausmarschieren, tritt die EU mit ihrer Regulierungswut mal wieder auf der Stelle.

Eine Institution legt eine andere lahm

Die Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament lässt sich von den Pro-Argumenten für das Genome Editing nicht beeindrucken. Auf Cicero-Nachfrage teilt eine Sprecherin mit: „Die Grünen/EFA lehnen eine Änderung des bisherigen Gentechnikrechts ab, die bestimmte gentechnisch veränderte Organismen von den bestehenden Vorschriften ausnehmen und eine Vermarktung ohne entsprechende Zulassung, Rückverfolgbarkeit oder Kennzeichnung zulassen würde. Die Grünen/EFA sind gegen die derzeitigen Pläne der EU-Kommission, die Gentechnik-Kennzeichnung für bestimmte Gentechnik-Pflanzen aufzuheben.“ Soweit, so fair. Schließlich gehört der Kampf gegen die Gentechnik zur grünen Identität, auch, wenn man sich hier, anders als beim Klimawandel, nur schwer auf die Wissenschaft berufen kann. Aber muss man deshalb gleich öffentliche Konsultationsverfahren mit Spam fluten? Und dann auch noch derart platt (s. Abb.)?

Spam-Flut auf der Seite der Europäischen Kommission / Screenshot

Dem Vernehmen nach sorgt der Vorgang auch fraktionsintern für Diskussionen. Aber auch Stefan Berger, CDU-Politiker und EU-Abgeordneter der EVP-Fraktion, reagiert mit Unverständnis. „Die Konsultation der Kommission, egal zu welchem Thema, dient dem Erkenntnisgewinn. Wenn wir jetzt anfangen, Konsultationen mithilfe von Technologie zu politisieren, dann politisieren wir im Grunde Fakten, die Wissenschaft und im Kern das Fundament, auf dem Entscheidungen getroffen werden“, sagt Berger im Gespräch mit Cicero. Und weiter: „Das zeigt die Doppelmoral der Grünen. Die setzen ihre eigenen Ziele höher als die Institution der EU. So legt eine Institution die andere lahm. Und das mit europäischem Steuergeld.“

Die Sprecherin der Grünen sieht das freilich anders – und nennt die Aktion ein „niedrigschwelliges Beteiligungsangebot“. Sie führt aus: „Eine große Zahl an Bürgerinnen und Bürgern hat sich mit dieser Form der Beteiligung engagiert, welche die Europäische Kommission geprüft und akzeptiert hat. Ziel war es, die Teilnahme am Konsultationsverfahren der EU-Kommission für alle Menschen zu erleichtern und demokratische Beteiligung über einen Kreis von Fachleuten hinaus zu erweitern.“

Zum Vorwurf, mit der Aktion EU-Steuergelder zweckentfremdet zu haben, um gegen die Europäische Kommission zu agitieren, heißt es: „Die Grünen/EFA haben auf ihr jährliches Budget für politische und Informationsaktivitäten für die Beauftragung eines Dienstleisters zurückgegriffen, in Übereinstimmung mit den Regeln des Europäischen Parlaments für die Verwendung der Mittel des jährlichen Haushaltsplans.“ Alles im grünen Bereich also?

Folgt man der Argumentation der Grünen, scheint es im Einklang mit demokratischen Prozessen zu stehen, öffentliche Konsultationsverfahren mit Spam zu fluten, solange der Inhalt nicht gegen die Feedback-Regeln des Europäischen Parlaments verstößt. Dass Stimmungsbilder dadurch bis zur Unkenntlichkeit verzerrt werden, stört die Fraktion offiziell nicht. Und auch nicht, dass der Erkenntnisgewinn einer solchen Kommentarsammlung folgerichtig gen null geht – und damit die gesamte Beteiligungsmöglichkeit ad absurdum geführt wird.

Gentechnik für die Welt

Dabei geht es in der Gentechnikdebatte um mehr als weltanschauliche Perspektiven. Es geht auch um die Frage, wie man eine rasant wachsende Bevölkerung künftig noch ernähren kann. Denn allein mit gentechnikfreiem Biolandbau – auch, wenn die Grünen sich das wünschen würden – wird das kaum gelingen. Daher mehren sich seit Jahren Stimmen aus der Wissenschaft, die sich für einen pragmatischeren Umgang mit Gentechnik, vor allem mit sogenannter grüner, also naturnaher Gentechnik, einsetzen. Eindrückliches Beispiel ist ein offener Brief, der vor fünf Jahren von 107 Nobelpreisträgern unterzeichnet wurde.

Anlass damals war eine Greenpeace-Kampagne gegen den „Goldenen Reis“, der durch gentechnische Verfahren erhöhte Mengen an Beta-Carotin (Provitamin A) enthält. Die Nobelpreisträger aus unterschiedlichen Disziplinen forderten, grüne Gentechnik einzusetzen, um Mangelernährung zu bekämpfen und die Ernährung der Weltbevölkerung sicherzustellen. Grüne Gentechnik sei für Mensch und Natur unbedenklich, hieß es in dem Schreiben. Und auch: „Opposition, die auf Emotionen und auf einem den vorliegenden Daten widersprechendem Dogma basiert, muss verhindert werden.“ Was das jüngste öffentliche Konsultationsverfahren der Europäischen Kommission angeht, ist das offensichtlich nicht gelungen.

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