EU-Gipfel - Und der Gewinner heißt Putin

Der EU-Gipfel in Brüssel ist ohne eine Einigung in den zentralen Fragen zu Ende gegangen. Schuld daran sind die europäischen Behörden, die spalten, wo sie vereinen sollten. Von der Schwäche der EU profitiert vor allem Russland

Die EU droht, außenpolitisch zerrieben zu werden / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Der EU-Gipfel hat ein Ausmaß an politischer Führungsschwäche und Unvermögen der Analysten dokumentiert, das weit hinausgeht über die umstrittenen Ergebnisse in den beiden wichtigsten Fragen, dem Handelsabkommen Ceta und dem Krieg in Syrien. Bürger und Regierungen können geteilter Meinung sein, ob Ceta ein gutes Abkommen ist oder nicht; und ob Sanktionen gegen Russland dessen militärische Eskalationsstrategie in Syrien beeinflussen können oder nicht. Das kommt auf den eigenen politischen Standpunkt an und den gilt es mit den anderen zu verhandeln. Vor aller Welt aber in öffentlichen Beratschlagungen zu beweisen, dass man den politischen Prozess in der EU nicht im Griff hat, ist etwas Anderes.

Jeder Vereinsvorsitzende und Bürgermeister weiß, dass man Anträge nur dann zur Abstimmung stellt, wenn die Mehrheit gewiss ist. Deshalb wird im Vorfeld von Sitzungen kräftig gerungen, wie diese Vorlagen konkret ausgestaltet werden. Unterschiedliche Interessen müssen berücksichtigt werden. Vor allem wird geschaut, wer verhindern könnte, dass ein bestimmtes Vorhaben realisiert wird. In der politischen Analyse nennt man das die Suche nach den Veto-Spielern, also den Personen und Institutionen, die eine Veränderung der bestehenden Lage abwenden können.

Ein herber Handwerksfehler

Die Behörden, die politische Analyse als Handwerk betreiben, können so im Vorfeld eruieren, mit wem man etwas intensiver sprechen muss und wem man für seine Zustimmung möglicherweise etwas anbieten kann. Der österreichische Bundeskanzler beispielsweise hatte den Parteiauftrag, gegen Ceta zu sein. Das Regionalparlament und die Regionalregierung in Wallonien ist ebenfalls ein solcher Veto-Spieler. Sie können Ceta verhindern. Ob dies am Ende wirklich geschehen wird oder ob der wallonische Ministerpräsident sich nur eine große Bühne zur Profilierung bereiten wollte, werden wir sehen.

Die Behörden, die den Krönungsgipfel für Ceta vorbereitet haben, schätzen diesen Veto-Spieler aber sichtbar falsch ein. Das ist schlechte politische Analyse, ein herber Handwerksfehler. Dass die wallonische Regierung sich so verhält, kann man schade finden, aber so funktioniert eben Politik. Dass die anderen Akteure ihr dies gestatten, ist schlechtes politisches Handwerk. Jenseits des sachlichen Ergebnisses wird genau dies anderenorts mit Argusaugen beobachtet werden.

Verurteilung ohne Wirkung

Zum Beispiel in Washington und Peking. Aber auch in Moskau. Denn die russische Vorgehensweise ist seit vielen Jahren darauf ausgerichtet, solche Zwischenräume und Fallgruben zu nutzen und, wo sie nicht bestehen, auch zu kreieren. So war es auch beim zweiten wichtigen Thema, dem Krieg in Syrien. Die Hoffnungen auf einen Waffenstillstand sind vor wenigen Wochen zerstoben. Aus den USA droht die Forderung nach einer Flugverbotszone, die unter den gegebenen Umständen einen militärischen Konflikt mit Russland bedeuten könnte. Die Eskalation des Krieges im Irak wird Wirkungen in den Nachbarländern nach sich ziehen.

Das alles sind gute Gründe für die vom Konflikt unmittelbar bedrohten EU-Staaten, eine politische Strategie vorzulegen und sich nicht darauf zu beschränken, eine wirkungslose Verurteilung auszusprechen. Aber auch auf diesem Gebiet stellten sich Veto-Spieler quer, die eine Abweichung vom früher gefundenen Kompromiss abwenden wollten.

Der Konflikt nützt Putin

Damit entscheidet allein die russische Führung über den Grad an Konfrontation innerhalb der EU. Alles deutet darauf hin, dass Putin den Konflikt sucht, weil er sich davon Spreng- und Zentrifugalkräfte verspricht. Er behält das Heft des Handelns in der Hand, weil die EU nur zerstritten reagiert. Dass die russische Führung das Ziel verfolgt, die EU zu spalten und zu schwächen, kann man ihr schwerlich vorwerfen, wenn sie dies als im russischen Interesse liegend betrachtet. So ist das eben.

Dass man sie gewähren lässt, zeugt von mangelnder politischer Führungskraft seitens der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Wie kann es sein, dass, wie berichtet wird, Ratspräsident Donald Tusk eine scharfe Formulierung in den Entwurf schreibt, ohne dies zuvor ausreichend abgeklärt zu haben? Hätte es diese Formulierung nie gegeben, stünde die EU jetzt nicht windelweich da. So aber wurde deutlich, dass sich die EU-Staaten noch nicht einmal darauf einigen können. Gewiss ist diese Botschaft im Kreml angekommen.

Keine Strategie für Kooperation

Zu einer Kooperation mit Russland wird es so nicht kommen, weil eine zerstrittene EU keine politische Initiative ergreifen kann. Die einzelnen Mitgliedstaaten senden ganz unterschiedliche Signale aus. Frankreich verschärft den Konflikt mit Russland, indem es seinen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nutzt. Die Bundesregierung ist uneins über die Wirkungskraft von Sanktionen, jedenfalls den offiziellen Erklärungen nach. Italien und Griechenland nehmen eine abwehrende Haltung ein. Aber das wusste man alles vor dem Gipfel.

Wenn sich die EU-Mitgliedstaaten nicht rasch in die Lage versetzen, gemeinsam eigene Interessen zu definieren und daraus politische Strategien zu entwickeln, wenn sie nicht die Interessen anderer Staaten genau analysieren und ihnen gegenüber geschickt vorgehen, drohen sie noch weiter außenpolitisch zerrieben zu werden.

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