EU - Vertiefung um der Vertiefung willen

Beim letzten EU-Gipfel in diesem Jahr wurde zwar die zweite Phase der Brexit-Verhandlungen eingeläutet. Bei anderen großen Themen sind sich die Mitgliedsländer aber weiter uneins

EU-Kommissionspräsident Juncker: „Nach Jahren der Krise ist es jetzt an der Zeit, Europas Zukunft in unsere eigenen Hände zu nehmen“ / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Drei Themen beherrschten den letzten EU-Gipfel im Jahr 2017. Die Verhandlungen zum Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union, die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit auf dem gebiet der Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die Wirtschafts- und Währungsunion, konkret das Vorhaben einer Bankenunion. Die Bewertung der Ergebnisse hängt wesentlich davon ab, wie tief die Beobachter im „weiter so, es wird schon gutgehen“-Modus der Integrationsgemeinschaft verhaftet sind. Je tiefer, desto optimistischer. Möglich, dass sie damit mehr ihre eigenen Hoffnungen als die Ergebnisse des Gipfels betrachten.

Streit gab es direkt beim Auftakt des Gipfels. Denn Ratspräsident Donald Tusk hatte die Lage bei der Verteilung der Flüchtlinge in der EU ohne den Überbau umfassender Solidarität formuliert. Das fiel ihm kräftig auf die Füße und am Ende war mit etwas schlechterer Stimmung als tags zuvor klar, dass sich die Mitgliedstaaten hierbei völlig uneinig sind. Dabei ist das mit der Solidarität zwischen Staaten so eine Sache. Gewöhnlich liegt ihnen das Hemd der heimischen Interessen näher als der Rock europäischen Gemeinschaftssinns. Zudem hat jeder Mitgliedstaat andere Vorstellungen davon, auf welchem Gebiet man besonders solidarisch sein sollte und wo es eher eine souveränitätsschonende Flexibilität geben könnte. Fest steht, dass die Flüchtlingspolitik weiter als Spaltpilz wirken wird, politisch und nach der Klage gegen drei osteuropäische Staaten auch juristisch. Die USA, China und Russland stehen bereit, diese Zerwürfnisse politisch zu versilbern. 

Keiner darf ausscheren

35 Millionen Euro boten Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei an, um damit ein italienisch-libysches Projekt zur Eindämmung der Migration zu unterstützen. Die Reaktionen darauf kann man doppelt lesen: zum einen als grundsätzliche Ablehnung, weil Beschlüsse der EU ohne wenn und aber umgesetzt werden müssen. Zum anderen als Hinweis, dass der Betrag zu niedrig sei. Dass die Regierungschefs dieser Länder aus innenpolitischen Gründen keine freie Hand haben, wurde nicht reflektiert. Die EU aus einem Guss bleibt zumindest in dieser Frage das Ziel. In der Sicherheitspolitik lässt man jetzt Staaten zurück. In der Flüchtlingspolitik ließ man Italien und Griechenland nur allzu lang alleine. 

Beim Brexit hat sich das Parlament in London – in einem schon fast nostalgisch anmutenden Akt demokratischen Selbstbewusstseins – das letzte Wort gegeben und wird damit alle Vereinbarungen nochmals auf die Waage britischer Politik legen wird. Der Europäische Rat sah seinerseits genügend Fortschritte, um die zweite Phase der Verhandlungen einzuleiten, in denen es um die Gestaltung der zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien gehen wird. Zu klären sind dabei der Status der EU-Bürger in Großbritannien, die Grenze zwischen Nordirland und Irland sowie die Abschlusszahlungen. 

Mehr Integration

Mit der Bankenunion kommt ein Projekt auf die Tagesordnung, das mit der Vergemeinschaftung der Finanzen in der EU verbunden ist. Auch wenn der französische Präsident, die Europäische Kommission und die Bundesregierung noch keine ganz deckungsgleichen Interessen haben – ihre Vorstellungen weisen alle in die gleiche Richtung. Da weder in Frankreich noch in Deutschland bald gewählt wird, sehen sich die Verantwortlichen wohl in der Lage, dieses glühende Eisen anzufassen. Aber die Bedingungen müssen erst noch gefestigt werden. Einzig Italien, wo die Wahlen im nächsten Jahr ein europakritisches Ergebnis zu Tage fördern könnten, steht der Entwicklung im Weg. 

Und schließlich: Die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit von 23 der 27 Staaten wurde auf den Weg gebracht. Das war nicht anders zu erwarten, die ersten Projekte werden jetzt angeschoben. Für die einen Beobachter ist das der Beginn einer vertieften Integration. Für andere bedeutet sie eine neue Spaltung. Nur teleologisch lässt sie sich im dreifachen Sinne aufheben: auf ein höheres Niveau der Zusammenarbeit, die Gemeinschaft bewahrend und die nationalen Eifersüchteleien beiseite schiebend. Da greift die Dialektik tief in die Entwicklung der EU ein. 

Putin freut's

Einigkeit gab es auch. Der Europäische Rat missbilligte die Entscheidung von US-Präsident Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Diese Frage solle in Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern geklärt werden. Wie Verhandlungen in Gang gesetzt und erfolgreich abgeschlossen werden können, weiß jedoch niemand. 

Die Sanktionen gegen Russland wurden um sechs Monate verlängert, weil sich die Lage in der Ukraine entsprechend der Minsk-Vereinbarungen nicht verbessert hat. Dass diese Form der wirtschaftlichen Selbst- und Fremdbestrafung bis Juli 2018 irgendeinen politischen Effekt auslöst, ist äußerst unwahrscheinlich. Präsident Putin wird das Sanktionsregime im Wahlkampf nächstes Jahr sicher helfen. 

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