EU-Flüchtlingsfrage - Das Biest namens Hoffnung

In der Europäischen Union gibt es wenig Hoffnung auf Einigung in Flüchtlingsfragen. Gleichzeitig Europa bleibt ein Kontinent der Hoffnung. Während die Hoffenden bei uns ankommen, geht uns selbst jede Hoffnung verloren. Von Sabine Bergk

Getrieben von Hoffnung: Viele Menschen riskieren ihr Leben auf der Flucht nach Europa / picture alliance
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Autoreninfo

Sabine Bergk ist Schriftstellerin. Sie studierte Lettres Modernes in Orléans, Theater- und Wirtschaftswissenschaften in Berlin sowie am Lee Strasberg Institute in New York. Ihr Prosadebüt „Gilsbrod“ erschien 2012 im Dittrich Verlag, 2014 „Ichi oder der Traum vom Roman“.

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Für eine Überfahrt nach Europa wagen Menschen immer wieder ihr Leben und das Leben ihrer Kinder. Sie setzen sich selbst und ihre Familien dabei nicht nur erheblichen Gefahren aus, sie setzen auch Europa unter Zugzwang. Entweder ertrinken sie – und die europäischen Werte ertrinken gleich mit – oder die Europäische Union geht mit der Flüchtlingsmasse und dem Flüchtlingsstreit unter. 

Es ist wie mit einem Suizidpatienten, der auf dem Hochhausdach steht: Er muss gerettet werden. Lebt man jedoch dauerhaft mit einem suizidalen Menschen zusammen, steht man irgendwann selbst vor dem Suizid. Man wird erpressbar mit dem Druckmittel Tod. Der Patient hat den Partner fest im Griff.

Das Gutgemeinte erzeugt das Gegenteil

Europa steckt in der Zwickmühle. Wir verlieren, wenn wir die Menschenrechte einhalten wollen und unsere Werte nicht ausverkaufen wollen, jeglichen Handlungsspielraum. Gleichzeitig schüren wir mit der massenhaften Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen immer wieder neue Hoffnung und setzen mit der geschürten Hoffnung Familien der Lebensgefahr aus. Kurz gesagt: Wir machen uns mit der Willkommenspolitik schuldig. Das Gutgemeinte erzeugt genau die gegenteilige Wirkung. Am schlimmsten aber ist es, die Menschen, denen wir Hoffnung gemacht haben, wieder in die Hoffnungslosigkeit zurückzuwerfen. 

Grenzen setzen, ist ein wichtiger Bestandteil der persönlichen Entwicklung. In der Psychologie ist das Grenzen setzen fast ein Wundermittel zur Stärkung des Ichs. „Erkenne Dich selbst“ heißt gewissermaßen auch: Erkenne Deine Grenzen. Wie aber kann Europa selbstbewusst werden, wenn es um den Preis des Grenzensetzens hoffende Menschen im Meer ertrinken lässt?

Hoffnung überwindet Grenzen

Grenzen helfen nicht viel gegen die Hoffnung. Sie überwindet alle Mauern, das wissen wir genau. Die Hoffnung ist stärker als jedes Baumaterial. Die Hoffnung trägt uns in schweren Stunden, sie kann aber auch zum Monstrum werden. Pandora wusste, was sie tat, als sie die Hoffnung als letztes Biest freiließ. Die Hoffnung ist die Essenz, die uns bewegt und trägt – oder ins Meer versenkt.

Wir müssen nicht nur die Grenzen befestigen, sondern auch die Hoffnung begrenzen. Den Fliehenden alle Hoffnung zu nehmen, wäre unmenschlich. Unmenschlich ist es aber auch, sie erst willkommen zu heißen und sie dann in die Hoffnungslosigkeit zurückzustoßen.

Links produziert Rechts

Gleichzeitig darf die EU nicht zum chronisch hoffnungslosen Fall werden. Es geht, in allen Meeres- und Grenzfragen, auch um den Erhalt der Hoffnungsunion Europa. Wir haben keinen Ort, an den wir fliehen können. Damit wir nicht zu Zombies werden, müssen wir lernen, Hoffnungen besser zu lenken. Hier ist vor allem europäische Führungskompetenz gefragt und nicht ein verbissenes nationalistisches Lamentieren. Auch mit linkem Wunschdenken, die Welt solle jedem unbegrenzt offen stehen, kommen wir nicht weiter. Es stürzt uns vielmehr in den absoluten Polizeistaat mit Gesichtskontrolle. Links produziert Rechts.

Führung wird hier zum Zauberwort: Je besser es den Europäern gelingt, die Hoffnung differenziert zu gestalten, desto konkreter und lenkbarer wird der Flüchtlingsstrom werden. Um zu führen, braucht es weder chronische Dickköpfigkeit noch eine strikte Verweigerungshaltung, sondern vielmehr eine achtsam lenkende Hand. Es braucht eine Vision, auf die man mutig zusteuert. Ohne Vision schleppen wir uns nur voran und verschleppen die Probleme. Schließlich bleiben wir im Sumpf der Interessenpolitik stecken. Die einen Länder verweigern die Aufnahme von Flüchtlingen, die anderen verweigern Auffanglager. Alle bleiben in einer Verweigerungshaltung und setzen sich selbst damit Schachmatt. 

Die Hoffnung als Fundament zwischen Europa und Afrika 

Führung ist demzufolge stark mit Hoffnung verbunden. Dem „Wärmestrom“ der Hoffnung zu folgen, wie Ernst Bloch ihn beschrieb, heißt nicht, selbst zu überhitzen oder ihm einen Kältestrom entgegen zu setzen, sondern die Wärmebewegung achtsam zu lenken.

Hoffnung ist nach Václav Havel „nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat.“ Sich gemeinsam in einen sinnvollen Raum der Hoffnung zu begeben, hieße, die Hoffnung nicht zum Übel, sondern zum Fundament zwischen Europa und Afrika zu erklären. 

Der Traum vom Ende der Schlepperei 

Eines Tages werden sich Aufbrechende nicht mehr an Schlepperbanden wenden und ihr ganzes Vermögen aufs Spiel setzen, inklusive der eigenen Haut. Sie werden in ein Linienschiff steigen, das von Nordafrika nach Amsterdam oder Bremerhaven fährt. Vor der Abfahrt wird geprüft, ob sie eine Chance auf Ankunft haben. Vom Hafen aus ziehen sie in das Land, für das sie sich beworben haben und das sie noch vor der Abfahrt akzeptiert hat. Das Ende der Schlepperei, der Verschleppungen, der Schändungen und der europäischen Aufschieberitis wäre erreicht. Die Hoffnung wäre dann kein umherirrendes Schiff mehr, sondern eine regelmäßige Fähre. 

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