EU und Italien in der Corona-Krise - Tu Gutes und rede darüber 

Die EU hat den Sympathiewettbewerb in Italien gegen Russland und China verloren. Dabei unterstützt sie die Opfer der Coronakrise viel mehr. Um das zu kommunizieren, braucht sie aber die richtigen Bilder und Botschaften, schreibt Oliver Rolofs.

Deutsche Erste-Hilfe für Italien: Von diesen Bildern braucht die EU mehr / picture alliance
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Autoreninfo

Oliver Rolofs ist Managing Partner der Münchner Strategie- und Kommunikationsberatung connecting trust und Südosteuropa-Experte. Er war langjähriger Kommunikationschef der Münchner Sicherheitskonferenz.

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Im Kampf gegen das Coronavirus unterstützt die EU betroffene Länder mit Milliardensummen, doch den propagandistischen Kampf um die Bilder gewinnen China und Russland, während sie gleichzeitig die Integrität Europas mit Desinformationskampagnen torpedieren. Es sind die Bilder, die sich während der Corona-Pandemie in das Gedächtnis der italienischen Bevölkerung eingebrannt haben: China, Russland und Kuba schicken medizinische Schutzausrüstungen sowie Delegationen von Ärzten nach Europa.

Italiens Regierung bedankte sich überschwänglich bei Chinas Präsidenten Xi Jinping für die „medizinische Seidenstraße“. Ihr Außenminister Luigi Di Maio begrüßte persönlich die eingeflogenen Hilfslieferungen aus Russland auf einem Militärflughafen. Mit langem Applaus und kubanischen Flaggen werden 52 Ärzte und Pfleger aus Havanna frenetisch willkommen geheißen.

Liebesgrüße aus Havanna, Moskau und Peking

Der Präsident des EU-Beitrittskandidaten Serbien, Aleksander Vučić, empfing mit großer Ministerriege Chinas humanitäre Corona-Hilfe am Belgrader Flughafen und pries in triefendem Pathos „Bruder Xi“ und die „eiserne Freundschaft“ mit Peking. Ähnliche Bilder aus der Hauptstadt der Republik Moldau, wo sich auf offener Straße vor der chinesischen Botschaft die halbe Regierung versammelt. Die bildreiche Botschaft mit klarem Kalkül ist stets die gleiche: Liebesgrüße aus Havanna, Moskau und Peking, nicht aber aus Brüssel. 

Dank solcher Bilder hat Europa in der öffentlichen Wahrnehmung nicht nur in Serbien oder Moldau, sondern vor allem in Italien den Sympathiewettbewerb um die „hearts and minds“ in der Bevölkerung vorerst verloren. Kein Wort darüber, dass Serbien 78,5 Millionen Euro, die gesamte Region des Westbalkans einschließlich der Türkei sowie die Mitgliedsländer der Östlichen Partnerschaften 1,5 Milliarden Euro an EU-Hilfsgeldern empfangen, um dem Gesundheitssektor unter die Arme zu greifen und die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Coronavirus-Epidemie zu dämpfen. 

Potemkinsche Hilfslieferungen  

Kaum eine Notiz darüber, als kürzlich in Rom und Mailand Frachtflugzeuge der italienischen und deutschen Luftwaffe mit mehreren Tonnen medizinischen Gerätes aus Deutschland landeten. Genauso wie über das Ausfliegen von 22 italienischen Corona-Intensivpatienten durch einen Medevac-Airbus der deutschen Luftwaffe. Nur wenige Worte darüber, dass sich Tonnen von chinesischer Schutzausrüstung als völlig unbrauchbar erweisen und von den Niederlanden und Spanien nicht angenommen wurden.

Nutzlos auch große Teile russischer Hilfslieferungen nach Italien, die aus Laborausrüstungen zum Aufspüren chemischer Kampfstoffe oder Dekontaminationsfahrzeugen bestehen, aber keine Pandemien bekämpfen können. Potemkinsche Hilfslieferungen in Zeiten von Corona. Viel problematischer wiegt: Über die bereits seit Jahrzehnten ausgezahlten Milliarden von Hilfsgeldern, Strukturfonds und Beilhilfen der EU zur Stärkung der jeweiligen Gesundheitsinfrastrukturen sowie jetzt zur Pandemiebekämpfung wird nicht gesprochen. Zahlenmäßig überbieten sie jegliche Materiallieferungen autoritärer Systeme um ein Zigfaches.

Warnungen vor einer „Infodemie“ 

Zusätzlich versuchen vor allem Moskau oder Peking die Integrität und öffentliche Meinung Europas mit Fake News und Desinformationskampagnen zu torpedieren. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte bereits zurecht vor einer Infodemie, die durch gezielte Falschmeldungen sogar Menschenleben gefährden kann. Die EU-Führung scheint die Macht von Bildern und Botschaften sowie das geopolitische Kalkül dahinter noch immer nicht verstanden zu haben. Milliardenschwere EU-Hilfe konkurriert mit Danaergeschenken aus Moskau und Peking um das richtige Narrativ. Europas strategische Schwäche in Führung und Kommunikation offenbart sich in der Corona-Krise.

Für das Corona-Mutterland China sind solche Hilfsaktionen Mittel zum Zweck, um sich bei gleichzeitiger Abwesenheit der USA globalpolitisch besser zu positionieren, das eigene Image aufzubessern und Marktanteile in Europa zu erkämpfen. Moskau will in der Corona-Krise Stärke nach Innen und Außen demonstrieren und die seit 2014 verhängten EU-Sanktionen aufweichen. Offenbar mit Erfolg: Rom wackelt und erwägt, in der Sanktionsfrage künftig einen Sonderweg zu gehen. 

Brüssel hat sich die Butter vom Brot nehmen lassen 

Wenn die EU nicht weiter Spielball geopolitischer Interessen sein will, muss sie endlich an ihrer Außenwirkung arbeiten und ihre mediale Passivität überwinden. Mit den richtigen Bildern und Botschaften aus Brüssel könnte Europa nicht nur die „hearts“ und „minds“ der Bevölkerung nachhaltig für sich gewinnen, sondern auch der Propagandamaschinerie aus Moskau oder Peking etwas entgegensetzen. 

Bilder aus vergangen humanitären Kriseninterventionen sollten zu denken geben: Wenn Präsident Putin persönlich den Schlüssel für den Lastwagen mit Hilfslieferungen übergibt, hat das einen medialen Effekt, der seine Wirkung in der Bevölkerung nicht verfehlt, mag der Warenwert auch nur ein paar 1.000 Euro betragen. Die Botschaft: Putin hilft, persönlich, während die Finanzhilfen der EU ein abstraktes Zahlenwerk bleiben und unsichtbar in Staatshaushalte gepumpt werden. Brüssel hat in dieser Hinsicht bisher ungeschickte Bilder und Botschaften produziert und sich damit vielfach sprichwörtlich die Butter vom Brot nehmen lassen. 

Die EU braucht die richtigen Bilder 

Unklug war es jedenfalls, die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, die Europahymne summend beim Händewaschen zu senden, während EU-Mitglieder ihre Grenzen schlossen und Italien bereits Tausende von Corona-Toten zu beklagen hatte. Die richtige Botschaft, das richtige Bild, das war bislang keine Stärke der Brüsseler Technokraten-Kommunikation. 

Statt am Schreibtisch Geldüberweisungen zu zeichnen, wäre es besser, selbst Material zu organisieren und im Namen der EU sichtbar zu übergeben. Genau darauf käme es jetzt an, um sichtbar zu zeigen, die EU ist solidarisch, hilft den Menschen und redet darüber. Es braucht dringend einen Paradigmenwechsel in der Kommunikation der EU. Brüssel muss jetzt unter Beweis zu stellen, dass die Europäer auf die EU auch in der Krise zählen können, statt auf dem chinesischen oder russischen Weg vermeintlicher autoritärer Alternativen zu irrlichtern. 

Erfolgrezept: Empathisch und zupackend 

Für die EU-Führung bietet sich jetzt die Chance, die Lufthoheit über die öffentliche Meinung zurückzugewinnen und das Corona-Krisenmanagement anzuführen. Die jüngst beschlossenen Rettungspakete von 500 Milliarden Euro und weitere in Aussicht gestellte Hilfsleistungen müssen für die Bevölkerung greifbar sein. Sie sollen spürbar dabei helfen, Solidarität zu leben, die sozialen Folgen der Krisen abzumildern, medizinisches Material zu beschaffen oder einen Impfstoff zu finden.

Sie müssen einen sichtbaren Beitrag zum Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft leisten – mit Empathie und einem persönlichen Zupacken der EU-Führung vor Ort in den Epizentren der Corona-Krise. Aber auch einzelne EU-Mitglieder können weitere Zeichen der Solidarität setzen: Die Medienberichte, dass Deutschland noch über 13.000 freie Intensivbetten verfügt, vernimmt man auch in Italien, Frankreich oder Spanien. Es wäre kleinstaaterisch und egoistisch, diese jetzt, wo möglich, nicht zu teilen. Deutschland könnte jetzt weiter solidarisch und „europäisch“ handeln und etwa über eine mögliche EU-Intensivbettenquote weitere Covid-19-Erkrankte aufnehmen. 

CARE-Pakete als Akt der Solidarität

Um die Bevölkerung zu gewinnen, kann darüber hinaus das Konzept vom Marschall-Plan und amerikanischen CARE-Paketen Pate stehen. Der Geist, der vor über 70 Jahren Europa aus seiner Nachkriegsdepression geholfen hat, lässt sich in die heutige Corona-Pandemiebekämpfung pragmatisch übertragen: In den dunkelsten Stunden der Not, greifbare Hilfe durch die EU sowie ihrer Mitglieder, die ankommt und über die auch gesprochen wird. Brüssel und auch Berlin müssen dabei lernen, nicht nur Gutes zu tun, sondern auch darüber zu reden.

Das sind die Bilder und Botschaften, die wir brauchen. So kann die Stärke und Geschlossenheit, aber auch Zuversicht Europas am besten wiedergespiegelt und die Bevölkerung gegen Desinformationskampagnen von außen resilienter gemacht werden. Die Macht der Bilder und Botschaften, sie sind entscheidend für die weitere Integrität Europas und ihre geopolitische Rolle. 

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