Entwicklungspolitik - Merkel rettet jetzt auch Afrika

Kein Tag vergeht, ohne dass die Bundesregierung ihr Engagement für Afrika und Asien betont. Entwicklungspolitik ist sinnvoll, mit Ablenkungsmanövern werden aber hiesige Probleme nicht kleiner. Weltrettung gelang den Deutschen nie. Von Alexander Kissler

Angela Merkel in Nigeria: Weltrettung als Pendant zur Fernstenliebe / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Es war eine gute Woche für Asien und für Afrika. Deutschland hat sich beider Kontinente angenommen. Vorderasien liegt nun gleich um die Ecke von Cottbus, Essen, Hinterzarten. Die neue deutsche Politgeographie hat es eingemeindet. Laut der Bundeskanzlerin gehört Syrien zu „unserer unmittelbaren Nachbarschaft“. So verkündete sie es, nicht zum ersten Mal, am Montag auf dem Parteitag der CDU in Berlin. Warum aber schrumpft das Mittelmeer zum Binnensee, der Hermon zum Alpenberg? Weil es die Deutschen nicht unterhalb der Weltrettung tun. Das war vielleicht einmal possierlich, heute ist es fatal.

Politik in Form eines alten Brettspiels

Die Weltrettung ist das Pendant zur Fernstenliebe. In beiden verbinden sich maximale Ansprüche mit minimaler Gestaltungskraft. Die Allerfernsten kennen uns nicht, die Welt fügt sich keinem Parteitagsbeschluss. Strategisch ist die Weltrettung verlockend: Man kann inhaltlich nichts dagegen sagen – wer ist schon gegen Liebe, gegen Hilfe? –, zugleich bleibt der Inhalt hohl und vage. Welcher konkrete Ausschnitt der Welt soll wovor genau gerettet werden? Und wie verhält es sich angesichts spezifischer Maßnahmen mit dem freien Willen und der freien Verantwortung derer, die aus der Ferne gerettet werden sollen? Und wie mit dem national begrenzten Mandat (und Etat) der Retter? Kein Kanzler ist letztlich legitimiert, über Menschen zu bestimmen, die zu seiner Wahl nicht aufgerufen waren. Darum gilt sein Eid „dem Wohle des deutschen Volkes“, nicht dem Heil der ganzen Welt.

Kaum etwas treibt die Kanzlerin so um wie das Schicksal Afrikas. „Befreien Sie Afrika!“ hieß es einst in einem Brettspiel, das später den Titel abgab für eine Fernsehdokumentation zum deutschen Umgang mit dem Kontinent. Heute bleibt das Engagement Angela Merkels für Afrika rhetorisch unüberbietbar. Gerade bekräftigte sie in ihrer Videobotschaft, „Afrika ist und bleibt unser Nachbarkontinent“ – wieder soll das Ferne in den eigenen Garten gerückt werden und gilt, ganz nebenbei, Europa als Heimat. Deshalb werde die Bundesrepublik ihre „Migrationspartnerschaft“ mit Niger, Mali, dem Tschad, Burkina Faso und Mauretanien ausbauen. Auch die „ghanesischen Wünsche“ wolle Deutschland berücksichtigen, ganz allgemein „müssen wir Afrika unterstützen“. Im harschen „Müssen“ steckt eine moralische Pflicht, die Merkel mit deutscher Expertise und deutschem Steuerzahlergeld erfüllen will. Sie sieht die Mittel der Deutschen auch deshalb in Afrika gut angelegt, weil die Deutschen vom „Marshallplan in Europa nach dem zweiten Weltkrieg“ profitierten. Für Afrika zahlen, weil die Amerikaner den Westeuropäern damals auf die Beine halfen?

Fernes Pathos über nahe Probleme 

Niemand bestreitet, dass Entwicklungspolitik ein sinnvoller Pfeiler der Außenpolitik ist. Natürlich rückt die Welt allein schon aufgrund avancierter Kommunikationsmittel im 21. Jahrhundert näher zusammen. Natürlich betreffen im Zeitalter globaler Migration die Politik, das Klima, die Lebensverhältnisse in Afrika und Asien den entfernten Westen unmittelbar. Er bleibt Sehnsuchts- und Hoffnungsziel für Millionen von Menschen. In deren Heimatländern lassen sich zudem mit geringerem finanziellen Aufwand deutlich mehr Menschen unterstützen als in den Zielländern, Deutschland vorneweg. Dennoch mutet es unfreiwillig komisch an, wenn der geschäftsführende Bundesentwicklungsminister Gerd Müller ein ambitioniertes Abkommen zur Digitalisierung Ruandas unterzeichnet. Das Ministerium stellt jetzt „zusammen mit der KfW Entwicklungsbank eine Milliarde Euro für Investitionen in nachhaltige Verkehrssysteme in Entwicklungs- und Schwellenländern zur Verfügung“. 

In Deutschland wird von Jahr zu Jahr die Digitalisierung stets heftiger beschworen. Digitalisierung ist der BER unter den Themen: immer präsent, doch es geht nicht voran. Auf dem jüngsten Parteitag wurde „schnelles Internet überall“ von der Kanzlerin abermals auf die lange Bank geschoben – „bis 2025“ soll es nun soweit sein. Bis dahin werden vermutlich Autos in Singapur autonom fahren, wird man in China Reisen zum Mond mit der App buchen und künstliche Intelligenz im OP nutzen. Mecklenburg-Vorpommern feiert dann 4G in Güstrow. Will Deutschland seine digitale Schläfrigkeit nach Afrika exportieren?

Vorerst handelt es sich um Stellvertreterdebatten. Wenn chronische Selbstüberschätzung auf ebenso chronische Inkompetenz trifft, muss man weit, sehr weit ausgreifen – in Gebiete, in denen man sich nie einer Wahl, nie einem Erfolgsnachweis wird stellen müssen. Der unaufhörliche Verweis auf Afrika, Asien und deren angebliche Nähe soll die hiesigen Probleme mit einer dicken Schicht aus Pathos überziehen: Wie gut es uns doch geht, trotz Migrationskrise , wachsender Kriminalität, desolater Bundeswehr, abgehängten Regionen! Wie schwierig doch die Weltlage ist und wie großartig unser Bemühen! Was für gute Menschen wir doch sind, wir Regierenden, wir Regierten, wir tollen Deutschen! Mit Afrika und Asien haben solche Ablenkungsmanöver eher wenig zu tun, mit einer Regierung ohne Kompass sehr viel.

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