Emmanuel Macron - Schatten auf den Sonnenkönig

Mit seiner überheblichen Art vergrätzt Präsident Emmanuel Macron die Franzosen zunehmend und schmälert so die Chancen seiner großen Reformpläne. Jetzt laufen ihm und seiner Bewegung „En Marche“ auch noch Minister und Abgeordnete davon

Emmanuel Macron in Versailles: Je königlicher er sich gibt, desto revolutionärer wallt das Volk / picture alliance
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Fast zwei Jahre lang hatte Emmanuel Macron Glück: Im Präsidentschaftswahlkampf 2017 eliminierten sich seine schärfsten Gegenkandidaten Alain Juppé, François Fillon, François Hollande und dann Marine Le Pen wie von selbst. Sein Einzug im Elysée ging glatt über die Bühne, und darauf gelangen ihm die wichtigsten und schwierigsten Reformen – die des Arbeitsmarktes und Staatsbahn SNCF.

Wie nebenbei schränkte Macron auch die Vermögenssteuer ein. Der Ansatz war richtig, wollte er doch dem dynamischen Kapital den Vorzug vor dem ruhenden Immobilienbesitz geben. Nur übersah er den psychologischen Effekt. Der Linken war es ein Leichtes, ihn als „Präsident der Reichen“ abzustempeln. 

Teure Swimming-Pools und billige Tassen

Diesen Sommer drehte sich der Wind, als die Macrons auf Fort Bregançon bei Saint-Tropez Ferien machten. Das Präsidentenpaar hatte in der präsidialen Sommerresidenz westlich von Saint-Tropez einen Swimmingpool für 34.000 Euro errichten lassen. Der Betrag hielt sich in Grenzen –  doch wie die französische Geschichte lehrt: Je königlicher sich der Herrscher im Elysée gibt, desto revolutionärer wallt es im Volk. Der Verdacht lautet, Emmanuel I. fröne wie seine erlauchten Vorfahren in Versailles dem schnöden Luxus.

Seither fliegen dem 40-jährigen Präsidenten sarkastische Reaktionen, um nicht zu sagen die Teller, um die Ohren: Aus dem Burgund schickte ein Ehepaar sein Geschirr den Macrons ins Elysée. Lästerte der Staatschef doch selbst über die „Wahnsinnskohle, die das verschlingt“ – wobei er nicht seinen Swimming Pool meinte, sondern generell die Sozialausgaben Frankreichs. Mit seinem Tellergeschenk wolle es Macron aus der Not helfen, meinte das Rentnerpaar aus der Nähe von Cluny mit beißender Ironie.

Am Swimmingpool bräunend, plante Macron den PR-Gegenangriff – mit einem Souvenir-Laden, dessen Erlöse offiziell der Renovierung des in die Jahre gekommenen Präsidialsitzes dienen sollen. Über die Webseite boutique.elysee.fr kann man zum Beispiel ein blaues T-Shirt mit der Inschrift „Président“ (55 Euro) oder ein weißes mit dem Aufdruck „Première Dame“ erstehen. Wenn der Spross die rote Tasche mit den Lettern „Elysée“ trägt, kann die Familie sozusagen in den Landesfarben promenieren gehen. Ein Mug (Becher) mit Macrons Konterfei vervollständigt das Sortiment.

In der Entourage geht die Angst um

Ob sich seine Anhänger darum reißen werden, muss sich weisen. Ihre Zahl ist nämlich am Schrumpfen: Laut Meinungsumfragen stehen nur noch 29 Prozent der Franzosen zu ihrem Präsidenten. Böse Zungen fragen, ob ein Politiker Erinnerungsstücke seiner selbst, so rührend sie auch sein mögen, nicht erst dann verkaufen sollte, wenn er nicht mehr im Amt sei. In Macrons Entourage geht aber die Angst um, dass der derzeit regierende Präsident bald keiner mehr sein könnte. Der Vorsteher der Macron'schen Partei La République en Marche (LRM), Christophe Castaner, wirft dem konservativ dominierten Senat sogar vor, er wolle mit der Bildung einer Untersuchungskommission in einer Leibwächter-Affäre ein regelrechtes „Absetzungsverfahren“ ins Rollen bringen. Ob dagegen präsidiale Schlüsselanhänger helfen?

Eher eine politische Kurskorrektur, dachte sich Macron. Er will die Armut in seinem Land nun mit einem aufwendigen Plan bekämpfen. Für die 8,8 Millionen Franzosen (bei 67 Millionen Einwohnern), die mit weniger als 1.026 Euro im Monat auskommen müssen, stellte er vergangene Woche acht Milliarden Euro zur Verfügung. In sozial benachteiligten Vierteln schafft er 30.000 neue Krippenplätze, in Primarschulen die Gelegenheit, unentgeltlich das Frühstück einzunehmen. Für mindere Einkommen sollen die Schulkantinen nur einen Euro pro Mahlzeit kosten. 60.000 Schulabgänger fielen beim Übergang ins Arbeitsleben „aus allen Radarschirmen“, erklärte Macron, nun ganz Präsident der Armen. Insgesamt zwei Millionen Junge stünden in Frankreich ohne Ausbildung dar; diese solle deshalb „obligatorisch“ werden.

Nur: Die Umfragewerte zeigen weiter nach unten. Denn das Problem sind nicht die Reformen, sondern die Art, wie sie Macron den „widerspenstigen Galliern“ – wie er sie kürzlich nannte – aufzwingen will. Der bekannte Editorialist Franz-Olivier Giesbert zog dieser Tage ein hartes Fazit: „Die Franzosen bewundern seine Intelligenz, seine Klasse – aber sie mögen Macron nicht.“

Der Innenminister geht von Bord

Die politischen Folgen der sozialen Kurve sind noch nicht abzusehen. Sie hängen davon ab, ob Macron seinen Anti-Armuts-Plan als reines Korrektiv zur Vermögenssteuerreform sieht – oder als langfristige Abkehr von seinen liberalen Reformen. Auf jeden Fall steht das Planverfahren – obwohl das Macron bestreitet – in der besten französischen Sozialhilfetradition. Und diese Tradition hatte der Jungpräsident bisher selbst als Hemmschuh für die Dynamisierung der Wirtschaft und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Armut bezeichnet.

Diese Woche hat der Staatschef auch seinen Innenminister verloren. Gérard Collomb war der Treuste der Treuen. Schon in der Präsidentschaftskampagne 2017 war er nie von Macrons Seite gewichen. Fast automatisch ernannte ihn der frischgekürte Präsident im Mai 2017 zu seinem Innen- und Polizeiminister – ein Schlüsselposten in Terrorzeiten, ein Vertrauensamt. Am Dienstag kündigte Collomb, früher Stadtvorsteher von Lyon, aber seine neue Kandidatur für das Bürgermeisteramt der Rhone-Stadt an. Macron lässt er ab 2019 im Stich. 

Zuvor hatte Collomb dem Präsidenten und dessen Entourage offen einen „Mangel an Bescheidenheit“ vorgeworfen. Als ehemaliger Griechischlehrer würde er dafür das Wort „Hybris“ verwenden, führte er aus; das bedeute nicht nur Hochmut und Selbstüberschätzung, sondern „Fluch der Götter“. Richtig: Die Glückssträhne des Jungpräsidenten ist zu Ende.

Gehör für die Elite, Spott für den Gärtner

Vor wenigen Tagen erweckte er erneut den Eindruck blinder Abgehobenheit, als er öffentlich einen arbeitslosen Gärtner zurechtwies. „Ich brauche nur über die Straße zu gehen und finde einen Job“, sagte er zu dem einfachen Mann. Als die Sequenz in den sozialen Medien die Runde machte, rechneten die Macron-Berater der Nation vor, dass in Frankreich 300.000 Stellen offen seien. Das trifft in der Sache zu und wäre durchaus eine Debatte wert. Doch die rechthaberische und taktlose Reaktion Macrons und seines Beraterstabs wirkt einmal mehr verheerend.

Und sie bestätigt Collombs Einschätzung. Der bärbeißige, ehemals sozialistische Minister ist in Frankreich populär. Sein Schicksal erinnert an das zwei anderer Regierungskollegen, Umweltminister Nicolas Hulot und Sportministerin Laura Flessel, die unlängst den Hut genommen hatten. Alle drei stehen in scharfem Kontrast zu all den abgehobenen Technokraten der Eliteverwaltungsschule ENA, die heute in Paris die Staatsgeschäfte lenken. Der innerste Machtzirkel im Elysée besteht aus „Enarchen“, die sogar meist aus dem gleichen Lehrjahrgang wie Macron stammen. Das gilt für den Generalsekretär im Elysée, Alexis Kohler, Kabinettschef Patrick Strzoda oder den neuen Dienstvorsteher im Elysée, Jérôme Rivoisy. 

Diese Schattenmänner ziehen im Elysée und damit auch in der Regierung und im Parlament die Fäden, ohne jemals in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Neu ist die Vorherrschaft der ENA in den Pariser Regierungsvierteln nicht; der Soziologe Pierre Bourdieu hatte diese „rechte Hand des Staates“ schon vor einem Vierteljahrhundert angeprangert. Unter Macron wird die „Enarchie“ aber zur „eigentlichen Partei des Präsidenten“, wie anfang des Jahres eine Gruppe anonymer Spitzenbeamter in einem Beitrag für die Zeitung Le Monde kritisiert hat.

Wer bremst den Präsidenten?

Gravierend ist diese Entwicklung für Macron selbst: Wenn sein Umfeld nur noch aus jenen jungen und blitzgescheiten ENA-Abgängern besteht, die sich für die Crème des Staatsapparates, ja der Nation halten, ist niemand mehr da, um den zur Hybris neigenden Präsidenten zu bremsen. 

Mit Collomb, Hulot und Flessel verliert Macron nicht nur mehrere Minister mit Bodenhaftung, sondern auch mehr und mehr den Bezug zu den politischen Realitäten seines Landes. Sein Reformkurs kann darunter nur leiden. Weil sie als Parlamentarierin weniger zu sagen hat als die ENA-Kaste, legte diese Woche auch die prominente Abgeordnete Frédérique Dumas ihr Mandat nieder. Sie erkenne sich nicht mehr in der Macron-Partei „La République en Marche“, sagte sie: „Man hat den Eindruck, auf der Titanic zu sein.“

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