EM-Ausschreitungen - Gesiegt hat der Rassismus

Fußball-Rowdytum hat auf der Insel eine lange Geschichte. Jüngst wurden nun beim EM-Finalspiel im Wembley-Stadion schwarze Spieler im England-Team von wütenden England-Fans nach der Niederlage gegen Italien rassistisch beleidigt und italienische Fans verprügelt. Die Euro2020 endet unsportlich.

Vor einer Polizeikette in der Nähe des Trafalgar Square Foto: Peter Morrison/dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Sogar der sonst eher schweigsame Prinz William meldete sich am Montag zu Wort: „Die rassistischen Ausfälle machen mich krank ... Das muss sofort aufhören und die Täter zur Verantwortung gezogen werden“, schrieb der zukünftige britische König auf Twitter. Ob die englischen Fußball-Hooligans auf den Thronfolger hören werden?

Die Beleidigungen, die sich über die nicht-weißen Spieler des englischen Teams nach der Niederlage gegen Italien im Wembley-Stadium am Sonntagabend ergossen, lassen auf hemmungslose Wut schließen. Beim Verlassen des Stadiums verprügelten enttäuschte England-Fans zudem italienische Zuschauer. Videos zeigen gänzlich überforderte Sicherheitskräfte. Die EM endete für England in vielerlei Hinsicht beschämend.

Nichts Neues im Fußball

Am Montag herrschte Katerstimmung. Rassismus ist im Fußball nichts Neues. Doch die verbalen und physischen Ausschreitungen waren selbst für die als rabiat bekannten England-Fans besonders heftig. „Die rassistischen Angriffe sind unverzeihlich“, sagte Trainer Gareth Southgate. „Das ist nicht das, wofür wir stehen.“

Es begann mit wilden Beschimpfungen im Internet gegen Marcus Rashford, Jadon Sancho und Bukayo Saka schon während des Spiels. Die drei englischen Fußballstars hatten beim Elfmeterschießen ihre Torchancen vergeben. Hatte England in der ersten Halbzeit stark gespielt und auch ganz zu Beginn ein Tor geschossen, nahm das italienische Team in der zweiten Hälfte an Fahrt auf, schoss ein Ausgleichstor und gewann dann am Ende das Elfmeterschießen.

Mädchen als „Nazi“ verhöhnt

Dass England Euro2020 nicht gewinnen würde, war eigentlich zu erwarten gewesen. Nur einmal, 1966, war das Fußballteam im World Cup erfolgreich zum Sieger gekürt worden. Schon als die Engländer gegen Deutschland im Achtelfinale triumphiert hatten, gab es üble Häme im Netz.

Das Foto eines weinenden, deutschen Mädchens auf der Tribüne in Wembley verleitete einen England-Fan dazu, sie als „Nazi“ zu verhöhnen. Um die englische Schande wieder gutzumachen, eröffnete ein beschämter Waliser ein „Just-Giving“-Konto für das kleine Mädchen, auf das innerhalb eines Tages knapp 40.000 Pfund (gut 46.000 Euro) eingezahlt wurden. Die Eltern des Kindes spendeten das Geld an Unicef. Der bittere Nachgeschmack blieb.

Schon König Edward II. musste Spiele verbieten

Als die Engländer verloren hatten, entlud sich die Wut der enttäuschten Fans gegen die schwarzen Spieler im englischen Nationalteam wie den 23-jährigen Stürmer Marcus Rashford, der sich während der Corona-Pandemie einen Namen als Schutzpatron unterprivilegierter Schulkinder gemacht hatte. Rashford stammt aus Manchester, seine Mutter kam aus den Kleinen Antillen nach England. Jadon Sanchos Eltern sind aus Trinidad, er wuchs in London auf und ist bei Borussia Dortmund unter Vertrag. Bukayo Sakas Eltern stammen aus Nigeria, der erst 19-jährige Starspieler spielt bei FC Arsenal.

Fußball-Rowdytum hat auf der Insel eine lange Geschichte. Schon im Mittelalter kam es zu Raufereien, wenn enttäuschte Fans nach einem verlorenen Spiel gegen benachbarte Städte Dampf abließen. König Edward II. ließ Spiele 1314 sogar verbieten, um die Gewalt zu unterbinden. Auch machten Hooligans 1870 nach einem Spiel zwischen Aston Villa und Preston North End von sich reden. Man nannte den gewalttätigen Mob damals „Roughs“. Daraus leitete sich der bis heute verwendete Begriff „Rowdies“ ab.

Kontrolle der Sozialen Medien hat versagt

Die sozialen Netzwerke Instagram, Facebook und Twitter zeigten sich nun abermals nicht in der Lage, die Welle verbaler Gewalt zu stoppen. Zwar wurden tausende Tweets entfernt und mehrere Accounts gesperrt. Doch ein Emoji, das einen Orang-Utan zeigt und die schwarzen Spieler in die Nähe von Affen rücken sollte, kam besonders oft zum Einsatz und rutschte durch die elektronische Rassismus-Kontrolle.

Dass Fussballrowdies sich überwiegend mit weißem Rassismus gegen schwarze Spieler hervortun, ist im Zuge der Bewegung Black Lives Matter (BLM) in den vergangenen Jahren vermehrt thematisiert worden. Die Bewegung ging 2013 aus von drei amerikanischen Aktivistinnen – Alicia Garza, Patrisse Cullors und Opal Tometi – nach dem Freispruch eines Wachmannes, der einen 17-jährigen schwarzen Schüler erschossen hatte.

Uefa erlaubt „Taking the Knee“

2016 löste der amerikanische Footballer Colin Kaepernick einen Trend als, als er während der Nationalhymne ein Knie zu Boden senkte. Er könne nicht mit vor Stolz geschwellter Brust vor einer Fahne stehen, in deren Namen schwarze Menschen in den Vereinigten Staaten unterdrückt würden. Kaepernick wiederum bezog sich auf den Bürgerrechtler Martin Luther King, der 1965 diese Geste bei einem Protestmarsch in Selma erstmals ausführt hatte.

Das englische Nationalteam kniete während der EM, wenn „God save the Queen“ erklang. Trainer Gareth Southgate unterstützte diese Entscheidung. Die Uefa hat „Taking the Knee“ offiziell erlaubt. Bei den Olympischen Spielen ist die Geste hingegen verboten. Befürworter halten sie für ein sinnvolles Zeichen, öffentlich gegen Diskriminierung aufzutreten. Gegner der Knie-Geste wollen Sportveranstaltungen zur politikfreien Zone erklären. Daran aber hielt sich am Sonntagabend vor allem eine Gruppe nicht: die englischen Hooligans.

Johnson positioniert sich nicht klar

Wer sich mit der Unterstützung der anti-rassistischen Demonstration rund um „Taking the Knee“ ebenfalls nicht so leicht tat, waren britische Regierungspolitiker. Als im Juni, zu Beginn der EM, weiße Fans die knienden Spieler ausbuhten, rügte Premierminister Boris Johnson diese nicht. Er rief nur dazu auf, dass „das ganze Land sich hinter das Team stellen“ sollte. Innenministerin Priti Patel verteidigte sogar das Recht der weißen Fans, die knienden Spieler auszubuhen. Am Montag meldete der konservative Regierungschef sich dann aber zu den rassistischen Äußerungen zu Wort: „Diese Leute sollten sich schämen.“

Der schwarze Labour-Abgeordneter David Lammy fasste die Affäre auf Twitter knapp zusammen: „Das alles ist der Grund, warum wir das Knie beugen.“

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