Eklat zwischen Gabriel und Netanjahu - Deutsche Heuchelei in Israel

Es ist erlaubt und notwendig, die Politik der israelischen Regierung zu kritisieren. Aber Deutschland und Außenminister Gabriel unterstützen Organisationen, deren Hauptansinnen die Dämonisierung Israels ist. Ein Gastbeitrag des israelischen Journalisten Ben-Dror Yemini

Benjamin Netanjahu ließ Sigmar Gabriel abblitzen / picture alliance
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Ben-Dror Yemini ist ein israelischer Journalist. Er hat für die Tageszeitung Maariv gearbeitet und schreibt seit 2014 für die Tageszeitung Yedioth Ahronoth.

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Man sollte sich für einen Moment noch einmal ins Gedächtnis rufen, wie Benjamin Netanjahu im Jahr 2015 trotzig vor dem amerikanischen Kongress gesprochen hat – obwohl das Weiße Haus in Washington dagegen war. Der Hintergrund ist bekannt: Netanjahu wollte den US-Kongress dazu bewegen, dass er gegen das sich abzeichnende Nuklear-Abkommen mit Iran stimmen sollte. Er war im Recht. Vollkommen im Recht. Aber Netanjahus damit verbundene Stichelei gegen den US-Präsidenten im Weißen Haus war überflüssig und unklug. Es gibt Dinge, die man in den Beziehungen zwischen Staaten einfach nicht tut. Auch der Verfasser dieser Zeilen hat sich damals ausdrücklich gegen die Rede im Kongress ausgesprochen. Die Rede mag großartig gewesen sein, aber eben auch vollkommen nutzlos. Weil sie vor allem Schaden angerichtet hat.

Türken dürfen in Deutschland keinen Wahlkampf machen

Erst vor wenigen Wochen haben hochrangige türkische Politiker den Wunsch geäußert, in Deutschland und den Niederlanden Wahlkampf zu machen. Beide Länder haben ihnen klar gemacht, dass politische Einmischungen dieser Art nicht akzeptiert werden. Die Türken waren sauer. Wie war es nur möglich, dass man ihnen nicht gestattete, Treffen so abzuhalten, wie sie es gerne getan hätten? Wo bleibt da die Demokratie? Die meisten Kommentatoren in Israel wie in Europa haben die deutsche Position mit Begeisterung aufgenommen. Zu Recht. Es gibt schließlich Dinge, die sich nicht gehören. Ausländische Politiker fahren nicht in ein anderes Land, um sich dort in die Politik einzumischen.

Und plötzlich stehen alle oder die meisten meiner Kollegen und Freunde, die eigentlich wissen, dass es in den internationalen Beziehungen Dinge gibt, die man nicht tut – die gegen Netanjahus Erscheinen vor dem Kongress waren, die begeistert waren davon, wie Deutschland sich Erdogan entgegengestellt hat – wie Roboter an die Seite des deutschen Außenministers gegen Netanjahu. Welche Heuchler ihr seid! Heuchler, weil es dieses Mal so viel schwerwiegender ist. Netanjahu ist zum amerikanischen Kongress gefahren, um für israelische Interessen zu kämpfen. Sigmar Gabriel besteht darauf, sich mit Organisationen der radikalen Linken zu treffen, die der anti-israelischen Propaganda das Wort reden. Gabriel hat erklärt, dass sich jeder ausländische Politiker, der nach Israel kommt, mit solchen Organisationen treffen könne. Bitte? Weil die Deutschen es ja den türkischen Politikern gestattet haben, sich mit Türken zu treffen? Haben sie eben nicht.

Aber es geht um sehr viel mehr als um ein Verbot für türkische Politiker. Trifft sich Gabriel in Großbritannien mit ähnlichen Organisationen wie denen, mit denen er sich in Israel trifft? Klar, er trifft sich in Großbritannien mit Vertretern von Oppositionsparteien. Das ist üblich. Aber er trifft sich nicht mit „Vertretern der Zivilgesellschaft“. In den USA trifft er auch nicht die Whistleblowerin Chelsea Manning. Das wäre natürlich auch ein wenig schwierig, weil Chelsea (früher Bradley) Manning noch bis Mai im Gefängnis sitzt. Er trifft sich auch nicht mit Jess Cunningham, der amerikanische Kriegsverbrechen im Irak aufgedeckt hat. Gabriel trifft sich auch nicht mit anderen Organisationen dieser Art. Und ganz sicher finanziert er sie nicht.

Geld für Dämonisierung

Aber das Problem mit den Treffen im Rahmen von Staatsbesuchen ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Europäische Union und die Staaten Europas, unter anderem Deutschland, unterstützen eine Reihe von Organisationen mit viel Geld, wie beispielsweise „Al-Haq“, „Breaking the Silence“, „Coalition of Women for Peace“ und viele andere, obwohl sich die meisten dieser Organisationen hauptsächlich nicht der Kritik, sondern der Dämonisierung Israels widmen.

Hier ist eine von vielen Geschichten über die palästinensische NGO namens „Miftach“: 2013 hat diese NGO nach der Teilnahme Barack Obamas an einem Seder-Abend zu Pessach einen arabisch-sprachigen Artikel veröffentlicht. Darin heißt es: „Weiß Obama beispielsweise um die Beziehung zwischen ‚Pessach‘ und ‚christlichem Blut‘..?! Oder ‚Pessach‘ und ‚jüdische Blutrituale‘…?! Die meisten der historischen Geschichten und Legenden über jüdische Blutrituale in Europa basieren auf wirklichen Ritualen und sind nicht falsch, wie sie behaupten; die Juden haben beim jüdischen Pessach das Blut von Christen verwendet… .“ Eine Organisation also, die ganz klassische antisemitische Horrormärchen verbreitet, wurde in der Vergangenheit von deutschen Stiftungen finanziell unterstützt.

Nahost-Konflikt immer weiter verlängert

Auch die Behauptung, dass es sich um Organisationen handele, die für den Frieden aktiv seien, ist haltlos. Europa finanziert die israelische NGO „Zochrot“, die sich für die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge einsetzt. Das wäre gleichbedeutend mit der Auslöschung Israels. Der Nichtregierungsorganisation NGO Monitor zufolge wurden in den Jahren 2012-14 fast eine Million Euro an diese Organisation von „ausländischen Geldgebern“ gezahlt, das sind ausländische Staaten oder Stiftungen, die von ausländischen, in der Regel europäischen, Staaten unterstützt werden. Auch Deutschland unterstützt „Zochrot“. Nein, Arbeit für den Frieden sieht anders aus. So nämlich wird der Nahost-Konflikt in die Ewigkeit verlängert. Auch die Illusion der Palästinenser, Israel würde durch das „Recht auf Rückkehr“ eliminiert werden können, wird so gewahrt.

In jedem Fall ist Israel das am meisten verleumdete Land der Erde. Es ist erlaubt und notwendig, die Politik der Regierung zu kritisieren. Es ist gestattet, für eine Regelung und eine Beendigung der Besatzung zu kämpfen. Das ist legitim. Aber Deutschland unterstützt mit seinem Geld keine Organisationen, die für den Frieden kämpfen. Es finanziert Organisationen, die sich gegen die Zweistaatenlösung aussprechen, und/oder Organisationen, deren Hauptansinnen die Dämonisierung ist.

Auch ohne schlechte Absichten sind Organisationen wie „Betselem“ oder „Breaking the Silence“ Teil der anti-israelischen Kampagne geworden. Ist eine Organisation, die behauptet, „Soldaten der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte schießen auf Palästinenser, mit Maschinenpistolen, regelmäßig, wie in Videospielen“ eine ernstzunehmende Organisation oder eine, die Legenden verbreitet? Diese Organisationen sind keine Friedensaktivisten. Sie verbreiten Hass. Nach diesen Inhalten besteht weltweit große Nachfrage. Und es gibt Menschen, die bereit sind, dafür zu bezahlen. Auch Deutschland.

NGOs stellen Existenzrecht von Israel in Frage

Hätte es sich also nur um ein einzelnes Treffen mit Vertretern umstrittener Organisationen gehandelt, hätte man sich über die übertriebene Reaktion Netanjahus wundern können. Es ging aber um etwas sehr viel schwerwiegenderes. Es handelt sich um eine Verschärfung, die bereits seit Jahren andauert. Im Rahmen dieses Verschärfungsprojekts unterstützen die Europäische Union und die Staaten Europas, darunter auch Deutschland, Organisationen, die zur BDS-Kampagne gehören oder die Rechtfertigungsgründe für den palästinensischen Terror liefern oder Teil der Propaganda sind, die das Existenzrecht Israels in Frage stellt und das Land als Monster hinstellt.

Das Deutschland von einst hat die Juden dämonisiert. Das Europa von heute, und das schließt Deutschland mit ein, finanziert Organisationen, die den jüdischen Staat dämonisieren. Dahinter stecken keine antisemitischen Absichten. Im Gegenteil. Dahinter steht der Wunsch nach einem ruhigeren Nahen Osten. Aber die meisten oder alle der Organisationen, die diese finanzielle Unterstützung genießen, sind gegen – ausdrücklich gegen! – die Lösung von zwei Staaten für zwei Völker. Die Finanzierung bringt uns dem Frieden nicht näher. Und für Israel besteht wahrlich keine Notwendigkeit, auch noch die zweite Wange hinzuhalten.

Es macht wütend, sehr wütend, dass die deutsche und europäische Heuchelei auch in großen Teilen der israelischen Medien zunehmend dazugehört. Man muss wirklich nicht zu den Anhängern Netanjahus gehören – ich selbst bin weit davon entfernt– um zu wissen, dass er manchmal, nur manchmal auch Recht hat. Denn wer wirklich Frieden möchte, muss gegen das Projekt der Verschärfung und deren Finanzierung ankämpfen. Auch das „Zionistische Lager“ und „Meretz“ müssten diesem Kampf vorstehen. Aber wie immer wird dieses Thema nur automatisch zu einem weiteren langweiligen Diskurs zwischen Rechts und Links. Wir hassen ja schließlich Netanjahu. Wir müssen also gegen ihn sein, auch wenn er mal Recht hat. Wie dumm. Was für ein Eigentor!

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