Neues Einwanderungsgesetz für Großbritannien - Eigentor für die Tories?

Die britische Regierung plant ein neues Einwanderungsgesetz, mit dem die Zahl der Zuwanderer aus EU-Staaten deutlich gesenkt werden dürfte. Ob das eine gute Idee ist, ist allerdings fraglich. Denn schon jetzt fehlen Fachkräfte und die Arbeitslosenquote ist niedrig.

Die britische Innenministerin Priti Patel will eine neue Einwanderungspolitik / dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Wer gedacht hatte, dass Boris Johnson nicht ernst meinte, was er im Wahlkampf verkündete, der hat sich getäuscht. Schritt für Schritt setzt seine Regierung jetzt um, was sie für ihren Auftrag hält. Sie will die Wünsche jenes Teils der Bevölkerung ernst nehmen, der für den Brexit gestimmt hat. Ganz oben auf der Prioritätenliste der Brexiteers stand: die Einschränkung der Einwanderung aus der EU.

Am Mittwoch präsentierte Innenministerin Priti Patel daher die Pläne für das neue Einwanderungsgesetz. Ab 1. Januar 2021 sollen EU-Bürger und Einwanderer aus dem Rest der Welt genau gleich behandelt werden. Bis dahin ist Großbritannien als Teil der Übergangsregelung noch im EU-Binnenmarkt und die Freizügigkeit für Personen aus der EU gilt noch uneingeschränkt.

Australien als Vorbild

Das neue System basiert auf einem Punktesystem nach australischem Vorbild. Nur wer ein Jobangebot von einem Sponsor hat, gut Englisch spricht und mit über 30.800 Euro angestellt wird, darf künftig auf die Insel einwandern. Ausnahmen wird es geben, aber die sind eben nicht der Regelfall. Die Stoßrichtung ist klar: Billigen Arbeitskräften aus der EU wird der Zuzug praktisch unmöglich gemacht. 

Für die Regierung bedeutet das, „volle Kontrolle über die britischen Grenzen“ zu gewinnen und die „Verzerrung“ zu berichtigen, die durch die Freizügigkeit des EU-Binnenmarktes entstanden ist. Für die oppositionelle Labourparty dagegen schafft die konservative Regierung damit ein „feindliches Umfeld“. Doch nicht nur politisch stoßen die Pläne auf heftigen Widerstand. Auch aus verschiedenen Teilen der britischen Wirtschaft erhebt sich ein Sturm der Empörung. „In verschiedenen Sektoren wie Krankenhäusern, Baufirmen, Gastwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion wird es Engpässe geben“, glaubt Carolyn Fairbairn, Generaldirektorin der Konföderation der britischen Industrie CBI in einer Stellungnahme.

EU-Einwanderer spielen tragende Rolle

„Diese Ankündigung droht, jene Leute auszuschließen, die wir brauchen, um jene Dienste anbieten zu können, auf die sich die britische Öffentlichkeit verlässt“, sagt Tom Hadley, Politikchef des Verbands für Personal- und Arbeitsbeschaffung, der „Recruitment and Employment Confederation“. Gerade in Krankenhäusern und in der Pflege zu Hause spielen die EU-Einwanderer seit Jahren eine tragende Rolle. Sie füllen Jobs als Krankenpersonal, Ärzte, aber auch technische Hilfskräfte, von denen in Großbritannien selbst viel zu wenige ausgebildet werden. 

Schon vor dem offiziellen Brexitdatum am 31. Januar 2020 hatten seit dem EU-Referendum 2016 insgesamt etwa 11.600 EU-Bürger nach Angaben der Liberaldemokratischen Partei ihre Jobs in der öffentlichen Gesundheitsversorgong NHS aufgegeben. Darunter waren etwa 5000 Krankenschwestern. Schlimmer noch sind die Zahlen jener, die bei der NHS nicht mehr wie früher jährlich einsteigen: Der Rat der Krankenschwestern und Hebammen gibt an, dass im Jahre 2018 im Vergleich mit 2016 um 87 Prozent weniger Krankenpersonal in britischen Spitälern Jobs angenommen hat. 

Schuss ins eigene Knie

Sehr bedenklich sind die neuen Immigrationsregeln auch für die britische Landwirtschaft. Denn dort sind gerade die billigen Saisonarbeiter aus Rumänien und Bulgarien bisher nicht nur sehr beliebt gewesen. Sie waren auch praktisch die einzigen, die für sehr wenig Geld Jobs annehmen wollten, die ohne permanente soziale Sicherheiten angeboten werden.

Ins eigene Knie aber schießt sich die britische Regierung mit ihren neuen Einwanderungsregeln ganz besonders im Bausektor. Boris Johnson möchte besonders in Infrastruktur investieren, um die Wirtschaft anzukurbeln und den nördlichen Regionen neues Leben einzuhauchen. In Nordengland haben viele ehemalige Labour-Wähler erst für den Brexit und dann für Boris Johnson gestimmt. Wer aber schnell und gut bauen will, der braucht dafür viele und erstklassig ausgebildete Bauarbeiter. Schon jetzt kommen weniger osteuropäische Handwerker nach England, weil sie keine sichere Zukunft mehr erwarten können. In der Branche heißt es, dass es schon 183.000 leere Stellen gibt – Firmen suchen händeringend alles: von einfachen Bauarbeitern bis gut ausgebildete Facharbeiter wie Elektriker. 

Niedrige Arbeitslosenquote

Bisher kommen netto etwa 300.000 Immigranten pro Jahr in das Vereinigte Königreich. Etwa die Hälfte stammte bisher aus der EU. Frühere Tory-Regierungen haben in den vergangenen Jahren in jedes Manifesto - wie das Parteiprogramm in England heißt - die Forderung hineingeschrieben, die Nettoeinwanderung auf 100.000 pro Jahr zu begrenzen. Das hat nie funktioniert, weil die britische Wirtschaft einfach Arbeitskräfte braucht. Das zieht Einwanderer an. Bisher ist zudem die Arbeitslosenrate in Großbritannien mit vier Prozent sehr niedrig.

Johnsons Brexitregierung möchte nun die EU-Arbeiter durch britische Arbeitskräfte ersetzen. „Es gibt acht Millionen Briten, die derzeit nicht aktiv sind“, sagte dazu Innenministerin Priti Patel am Mittwoch bei der Präsentation der neuen Einwanderungsregeln. „Aus diesem Pool werden wir künftig schöpfen.“ Von den acht Millionen inaktiven Briten im arbeitsfähigen Alter sind allerdings etwa zwei Millionen Studenten und zwei Millionen Langzeitkranke. Weitere zwei Millionen sind gerade in Rente gegangen. Zwei Millionen Briten suchen tatsächlich einen Job – ob sie als Beerenpflücker oder Dachdecker arbeiten wollen, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.

Eines musste die Innenministerin bereits eingestehen: Hätten die neuen britischen Einwanderungsbesetze schon gegolten, als ihre indischstämmigen Eltern in den sechziger Jahren aus Uganda nach Großbritannien kamen, wären sie nicht hereingelassen worden: „Ja, stimmt, aber die Zeiten ändern sich eben. Wir wollen eine Einwanderungspolitik, die unserer Wirtschaft angepasst ist“, sagte die Innenministerin in einem LBC-Radiointerview. Patel wäre dann weder in England geboren worden noch wäre sie jemals als eine der ersten indisch-britischen Politikerinnen in eines der wichtigsten Ämter des Vereinigten Königreichs aufgestiegen. 
 

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