Ein Plädoyer für Europa - „Europa erwirtschaftet eine positive Innovationsbilanz“

Keine Region der Welt exportiert so viele Ideen wie Europa. Aber wir müssen uns anstrengen, damit das auch so bleibt. Benoît Battistelli, der Präsident des Europäischen Patentamts, schreibt, warum wir Europäer beim Thema Innovation eine besondere Pflicht haben

Innovation in Europa / Illustration: Martin Haake
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Benoît Battistelli ist Präsident des Europäischen Patentamts in München, einer Organisation mit 38 Mitgliedstaaten, darunter sämtliche EU-Länder. Battistelli, Jahrgang 1950, ist Franzose.

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Eine Lobeshymne auf Europa? Das mag in Zeiten des Brexit anachronistisch anmuten. Aber gerade jetzt braucht es Europäer, die daran erinnern, was diesen Kontinent lebenswert macht und warum wir die Europäische Union brauchen. Bereits vor zwei Jahren veröffentlichte Cicero in seinem Jubiläumstitel die leidenschaftlichen Plädoyers zehn namhafter Autoren. Diese Texte aus unserem Archiv möchten wir in den kommenden zwei Wochen mit Ihnen teilen.
Für den vierten Teil unserer Europareihe schreibt Benoît Battistelli, Präsident des Europäischen Patentamts, über den europäischen Einfallsreichtum.

Innovation, insbesondere technische Innovation – und darum geht es bei Patenten – ist der Schlüssel zur Zukunft. Sie schafft Arbeitsplätze und Wohlstand. In unserer heutigen Wissensgesellschaft zeichnen sich erfolgreiche Unternehmen in erster Linie dadurch aus, dass sie immer an vorderster Front ihres jeweiligen Technologiegebiets stehen. Das geistige Eigentum, das durch ihre Forschungs- und Entwicklungstätigkeit entsteht, braucht Schutz – unter anderem durch Patente. Mehr als 66 000 Patente hat das Europäische Patentamt im vergangenen Jahr erteilt, nach rigoroser Prüfung, in höchster Qualität und an Erfinder aus der ganzen Welt.

Eine positive Innovationsbilanz


Regelmäßig höre ich, Europa sei beim Thema Erfindungen ins Hintertreffen geraten, nicht nur was die Anzahl der Patente anbelangt, sondern auch, was seine Rolle im weltweiten Wettbewerb um die besseren Ideen und Produkte betrifft. Die Fakten sprechen eine andere Sprache: Keine Region der Welt exportiert so viele seiner Ideen in die ganze Welt. Europa erwirtschaftet sozusagen eine positive Innovationsbilanz. Ob es die USA, Japan oder China sind – die Patentanfragen europäischer Unternehmen überwiegen jeweils bei weitem die Schutzanfragen von Erfindern dieser Länder in Europa. Umgekehrt ist Europa ein offener Markt für innovative Unternehmen aus der ganzen Welt. Und das ist gut so: Eine Welt ohne Protektionismus ist in meinen Augen eine bessere Welt. Gerade für junge Menschen sind die Perspektiven in einer offenen Welt weit größer als in geschlossenen Ökonomien.

Eine besondere Pflicht


Wir Europäer haben beim Thema Innovation eine besondere Pflicht: Die Systeme zum Schutz geistigen Eigentums basieren auf einer zutiefst europäischen Idee, die Ende des 18. Jahrhunderts ihren Siegeszug um den Globus angetreten hat und mittlerweile überall Anerkennung findet. Darauf können wir stolz sein, aber das reicht nicht. Europa muss eine führende Rolle bei der Entwicklung eines globalen Patentsystems spielen. So freuen wir uns, dass China sein Patentsystem weitgehend am europäischen ausgerichtet hat. Das hilft europäischen Unternehmen, wenn sie den chinesischen Markt erobern wollen. Wir sehen es ebenso gerne, dass mehr als 40 Patentämter überall auf der Welt mit den von uns entwickelten elektronischen Systemen etwa zur Patentrecherche arbeiten, und dass unsere Patentdatenbanken als die weltweit umfangreichste Sammlung technischen Wissens angesehen werden.

Nicht auf Lorbeeren ausruhen


Wenn es um einzelne Technologien geht, ist Europa in vielen Bereichen weltweit vorne dabei. Allerdings ist das kein Grund, uns auf unseren Lorbeeren auszuruhen. Wer aufhört zu forschen und zu entwickeln, der gibt die Zukunft auf. In manchen Bereichen ist das leider schon weitgehend geschehen: In der digitalen Kommunikation oder in der Unterhaltungselektronik spielt Europa nur noch eine untergeordnete Rolle. Hier zeigt sich, dass Deindustrialisierung nicht zuletzt zu einer Schwächung der eigenen Innovationsfähigkeit führt. Bei der Biotechnologie muss und kann eine ähnliche Entwicklung noch verhindert werden. Deshalb freue ich mich, dass die EU diese Bereiche in ihre Liste der „Lead technologies“ aufgenommen hat und jetzt Anstrengungen zur Reindustrialisierung unternimmt.

Patentsysteme auf EU-Ebene verbessern


Unsere Unternehmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen gehören nach wie vor zu den kreativsten weltweit. Wir müssen aber Anstrengungen unternehmen, um die Rahmenbedingungen für Innovation zu verbessern. Das fängt beim Risikokapital an und hört beim Patentsystem selbst auf. Ein wichtiger Schritt war die Entscheidung, die bestehenden, immer noch zu einem weiten Teil nationalen Patentsysteme zumindest in 25 EU-Staaten zu vereinheitlichen. Damit wird das System nicht nur zugänglicher, sondern auch bis zu 70 Prozent kosteneffizienter. Ich kann die EU-Staaten deshalb nur dazu auffordern, den Vertrag zur Gründung eines EU-Patentgerichts zügig zu ratifizieren, damit das neue System in Kraft treten kann.

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