Donald Trump - Der Unmögliche

Das Trump-Narrativ der Medien war trügerisch. Sie haben nicht begriffen, dass der Rechtspopulismus ein willkommenes Vehikel der Unzufriedenen ist. In unserer heutigen Zeit ist es wichtig, sich mit unbequemen Meinungen auseinanderzusetzen

Mit der Wahl Donald Trumps wurde vor allem das bestehende System abgewählt / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Christoph Bietz ist Fernsehredakteur und Medienwissenschaftler sowie Autor des Buchs "Die Geschichten der Nachrichten. Eine narratologische Analyse telemedialer Wirklichkeitskonstruktion".

So erreichen Sie Christoph Bietz:

Anzeige

Die Wirklichkeit schlägt jede Fiktion. Seit vergangenem Donnerstag wissen auch die Fassungslosesten: Es war kein böser Traum. Auch kein schlechter Scherz. Denn da sitzt Donald Trump tatsächlich und leibhaftig neben Barack Obama im Oval Office. Der scheidende Präsident neben dem gewählten Präsidenten. Ein weltläufiger und elegant-beflissener Demokrat neben einem polternden und rechtspopulistischen Anti-Demokraten. Man reibt sich ungläubig die Augen.

So geht die reflexhafte Reaktion auch schon am Tag zuvor, als in aller Frühe die Eilmeldungen auf dem Sperrbildschirm schreien: „Trump neuer US-Präsident!“ Es ist ein jähes Erwachen, die Stunde Null, eine „Zeitenwende“, wie Sonia Mikich im ARD-Kommentar treffend formuliert. „Heute Morgen erwachte die Weltbevölkerung, um zu erfahren, dass das Schicksal der Menschheit in die Hände des Reality-TV-Moguls und mutmaßlichen Sexstraftäters Donald J. Trump gelegt wurde, der nun den Zugang zu den Atomcodes erhält“, so sinngemäß die angsteinflößende Synopse des jungen US-Soziologen Nathan J. Robinson. WTF? Eine Groteske, möchte man meinen, Kafka lässt grüßen.

Entsetzen als natürliche Reaktion

Oder doch eine Erfolgsgeschichte? „Das Unmögliche, das wahrscheinlich ist, verdient den Vorzug vor dem Möglichen, das unglaubwürdig ist“, sagte einst Aristoteles und hob damit eigentlich ab auf die Qualität erzählerischer Phantasmen. Gerade deshalb passen seine Worte: Trump, der Unmögliche, ist nun realisierte Wahrscheinlichkeit, während Clinton, die Unglaubwürdige, als Präsidentin nur im Bereich des Möglichen bleibt. Haben also die Amerikaner einfach nur die bessere Story gewählt? Oder waren alle anderen einfach nur zu blind, um den Ernst der Lage zu blicken und zu erkennen, welche Abzweigung die Geschichte im Jahr 2016 nehmen würde?

Letztere ist zweifellos eine rhetorische Frage. Das verbreitete Trump-Narrativ von der idiotischen Lachnummer war trügerisch. Amerikanische Medien geben sich nun selbstkritisch, sie hätten das Gefühl einen Großteil des Landes verloren zu haben. Trump sei nie der Witz gewesen, als den viele ihn wahrnahmen, und auch keine Überraschung, sagt der Filmemacher Michael Moore, ein Mann, der einer Anhängerschaft Trumps eher unverdächtig ist. Zeit also, sich erneut die Augen zu reiben und die eigenen Reflexe zu hinterfragen.

Dazu wird nun auch die deutsche Politik gezwungen. Zunächst auch hier: Entsetzen als natürliche Reaktion auf das Undenkbare, das doch eingetreten ist. Klare Kante gegenüber einem, den man nicht zu den seinen zählt, weil er sich nicht an die Spielregeln hält und allen Ernstes soziale und demokratische Errungenschaften in Frage stellt. Die Verteidigungsministerin spricht von einem schweren Schock, die Kanzlerin fühlt sich berufen, den künftig ‚mächtigsten Mann der Welt‘ an die Einhaltung der Menschenrechte zu erinnern, und der Außenminister verweigert Donald Trump die selbstverständlichste aller Gesten, den offiziellen Glückwunsch zum Wahlsieg, er verwehrt ihm quasi den Handschlag, wie man es sonst nur mit Autokraten und Diktatoren macht. Die konsequente Fortführung einer womöglich nicht ganz durchdachten Äußerung. Als „Hassprediger“ hatte Steinmeier Trump kurz vor dessen Wahlsieg bezeichnet. Noch in dem vermeintlich sicheren Wissen, nie mit ihm zu tun haben zu müssen. Es war eine Wortwahl, die es Steinmeier nun schwer macht, mit der Situation staatsmännisch umzugehen. Doch das muss er, wenn Deutschland die USA weiter zu seinen Verbündeten zählen will.

Einfache Antworten auf komplexe Probleme

Zudem muss die deutsche Politik auch vor der eigenen Haustüre kehren. Trumps Erfolg ist nicht allein ein amerikanisches Phänomen. Es ist ein zeitgenössisches und auch europäisches. Das Jahr 2016 hat neben Trump und dem von rechtspopulistischen Gesinnungsgenossen betriebenen Brexit auch eine über alle erahnten Maße erstarkende AfD hervorgebracht. Die Parallelen sind nicht zu übersehen: Trump will seine Kontrahentin hinter Gitter bringen; die AfD skandiert „Merkel muss weg.“ Trump will eine Mauer zu Mexiko und ein Einreiseverbot für Muslime; die AfD bringt einen Schießbefehl an der Grenze ins Gespräch. Trump brüllt „make America great again“; die AfD schreit „tausend Jahre Deutschland“. Das Rezept: einfache Antworten auf komplexe Probleme. Berechenbarer und heimeliger Nationalismus statt unübersichtliche und globale Vielfalt.

Trump, der Brexit und die Bundespräsidentenwahl in Österreich zeigen: Der Rechtspopulismus ist in der westlichen Welt potenziell mehrheitsfähig. Zeit, daraus zu lernen, ist nicht mehr viel. Die Wahlen in Frankreich und in Deutschland stehen an. Überall fällt das Spiel mit nationalistischen Parolen auf fruchtbaren Boden - und zwar nicht nur am rechten Rand, nicht nur bei den sogenannten Abgehängten, ohnehin ein Unwort, das der Sache schwerlich gerecht wird. Denn es verläuft eine Kluft durch die westlichen Gesellschaften zwischen denen, die die etablierte Politik repräsentieren, und denen, die sich schon lange nicht mehr mitgenommen fühlen in den Unweiten und Verästelungen globaler Märkte und Politik. Die nicht verstehen, weshalb Bankmanager eine globale Krise auslösen, mit Staatsgeldern gerettet werden, millionenschwere Abfindungen kassieren und dann weiter machen dürfen wie zuvor.

Parteien nicht mehr unterscheidbar

Der Rechtspopulismus ist ein willkommenes Vehikel der Unzufriedenen geworden, die sich im nunmehr schmaler werdenden Feld der konventionellen Politik nicht mehr wiederfinden und es satt haben, immer das Richtige tun zu müssen, das „politisch Korrekte”, so heißt der mittlerweile mit negativen Konnotationen belegte Kampfbegriff. Die nicht mehr verstehen, wo und ob überhaupt eine Trennlinie zwischen SPD, Union und Grünen verläuft. Gerhard Schröder setzte harte Sozialreformen durch, Angela Merkel macht SPD-Politik. Die Große Koalition ist alternativlos geworden in einem System, das nun auf dem Prüfstand steht. Hillary Clinton schien auch alternativlos.

Zu lange hat die eine Seite sich unangreifbar gefühlt, zu sicher in ihrem liberalen und von politischer Vernunft umhüllten Kokon. Zu lange hat man den wachsenden Unmut über wirtschaftliche und politische Eliten und Institutionen nur halb ernst genommen. Dazu gehört auch, mit den neuen politischen Repräsentanten nicht reden zu wollen – so wie beispielsweise Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, die sich der Auseinandersetzung mit der AfD in Rheinland-Pfalz verweigerte. Es ist die Angst davor, die Rechtspopulisten stark zu machen, wenn man sie ernst nimmt. Die US-Wahl zeigt nun aber: Es macht sie stark, wenn man sie für verrückt erklärt. Denn dann schüttelt man nicht nur den Kopf über sie und reibt sich die Augen, sondern tut genau das, was man ihnen zum Beispiel im Umgang mit Flüchtlingen vorwirft: man verweigert die Diskussion, spricht ihnen das Existenzrecht ab, grenzt sie aus.

Unbequeme Meinungen ertragen

All das sind zwar verständliche Reflexe. Reflexe politischer Vernunft im Sinne einer Verteidigung unseres höchsten Guts, der Menschenwürde. Wie umgehen mit nackter Intoleranz und purem politischen Hass? Mit Clausnitz, Dresden, Heidenau? Mit einem gegen Minderheiten und Frauen hetzenden amerikanischen Präsidentschaftsbewerber, der sich als Soziopath geriert und von sich sagt, er könne gar Menschen ermorden, ohne dass dies seiner Beliebtheit Abbruch täte. Der offen Behinderte demütigt, Gegner diffamiert, aggressiv auf Brutalität, Sexismus, Rassismus setzt? „Get ´em out! … Lock her in! … Build this wall!” Klare Kante ist eine Möglichkeit, und, sobald es um verfassungsfeindliche Hetze geht, die einzig richtige. Aber anti-populistische Kampfreden zu halten, so wie es Prominente und Politiker bereits getan haben, ist nicht immer zielführend. Clintons „Korb der Erbärmlichen”, in den sie die Hälfte der Trump-Anhänger symbolisch steckte, entlarvte eine despektierliche Realitätsvergessenheit, die nun als Boomerang zurückgeschlagen hat.

Genauso wenig hilfreich ist es, rechte Gewaltdemonstranten als „erbärmliche Minderheit”, „Intelligenzflüchtlinge” oder „parolengrölende Vollidioten“ zu bezeichnen. Blankem Hass Verachtung und Ausgrenzung entgegenzusetzen, ist der falsche Weg. Wer sich wirklich für klüger hält, muss auch zuhören, versuchen zu beschwichtigen und, wenn nötig, den Rechtsstaat eine besonnene Antwort sprechen lassen. Unbequeme Meinungen allein aber dürfen nicht sofort als schwachsinnig abgetan werden. Man muss sie ertragen, sich an ihnen reiben und zu Kompromissen kommen. Das klappt nicht immer, Voraussetzung ist Diskussionsbereitschaft auf allen Seiten. Und ein extremer Rand wird immer übrig bleiben. Doch wer noch einen Funken Glaube an das Gute im Menschen hat, der weiß, dass sicher nicht die Hälfte der Amerikaner aus Rassisten und Dummköpfen besteht. Nicht Donald Trump, der Verrückte, wurde gewählt, sondern es wurde ein bestehendes System abgewählt.

Obama und auch Clinton haben sich als faire Verlierer gezeigt. Das ist Amerika, so gehen Politik und Wahlkampf dort schon immer. Mehr Show, mehr Schmutz, aber auch mehr „Schwamm drüber” und „let's do it”. Donald Trump mag für viele der personifizierte Wahnsinn sein. Zum jüngsten Kapitel gehört nun aber auch ein Donald Trump, der plötzlich das Land einen und sich von seinem Erzfeind Obama in Zukunft beraten lassen will. Welches seiner zahlreichen Gesichter sein wahres ist, wissen wir nicht. Doch wir werden diesem Mann zuhören und ihn ernst nehmen müssen. So bitter das ist.

Anzeige