Donald Trump - 100 Tage Abschreckung

100 Tage ist Donald Trump nun als US-Präsident im Amt. Die Bilanz fällt vernichtend aus. Ein Gutes aber hatte seine Wahl: Sie war ein Weckruf für alle, die die offene Gesellschaft verteidigen wollen

Wo will Trump die USA überhaupt hinführen? Auch nach 100 Tagen gibt es dazu keine wirklich gesicherte Erkenntnis / picture alliance
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Markus Ziener ist Professor für Journalismus in Berlin. Zuvor berichtete er als Korrespondent aus Washington, Moskau und dem Mittleren Osten.

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Niederlagen, Kurswechsel, gebrochene Versprechen: Die zahlreichen Desaster der ersten 100 Tage des Donald Trump im Amt sind ausreichend dokumentiert. Robert Reich, einst Arbeitsminister unter Bill Clinton, zählte jüngst 17 gebrochene oder kurzerhand kassierte Versprechen des neuen US-Präsidenten. Und selbst ein wohlmeinender Konservativer wie Steve Schmidt, langjähriger Politstratege der republikanischen Partei, kann nicht an sich halten: „Es gibt keine Administration, die in ihren ersten hundert Tagen einen schlechteren Start hingelegt hat.“ Trump selbst, der von der 100-Tage-Bilanz heute nichts mehr wissen will, hatte im Oktober einen Zehn-Punkte-Plan für eben diese ersten drei Monate im Amt getwittert. Jetzt wird er daran gemessen.

Was Donald Trump allerdings tatsächlich erreicht hat, ist etwas ganz anderes: Seine Wahl hat auf breiter Front Menschen mobilisiert, die aufstehen gegen die Welle des Populismus. Mit dem 9. November 2016, dem Tag nach der US-Wahl, ist Vielen bewusst geworden, wie schnell es mit Demokratie und demokratischen Institutionen vorbei sein kann. Sie gehen auf die Straße, sie treten in Parteien ein, sie dokumentieren akribisch Rechtsbrüche, aber vor allem: Sie wählen.

Rechtspopulisten in der Krise

Eine Anhängerin des französischen Mitte-Links-Kandidaten Emmanuel Macron, der in der Stichwahl gegen die Rechtsextreme Marine Le Pen als Favorit gilt, hatte es nach der ersten Abstimmungsrunde um die Präsidentschaft vor wenigen Tagen euphorisch auf den Punkt gebracht: „Es war Trump, der uns diesen Schub gegeben hat.“ Ähnliches war zuvor schon in den Niederlanden zu beobachten, als der Rechtsextreme Geert Wilders mit seiner Freiheitspartei bei den Parlamentswahlen weit unter den Erwartungen blieb. Und es könnte gut sein, dass es den deutschen Rechtspopulisten von der AfD im September genauso ergeht.

Setzt sich dieser Trend fort, dann hätte die Wahl von Trump zumindest ein Gutes: Sie wäre ein Weckruf, der diesmal offenbar auch gehört wird. Denn praktisch jeder Tag der Präsidentschaft von Donald Trump führt vor Augen, dass es Populisten seines Schlages nicht nur um eine andere Politik geht. Vielmehr zielen sie auf eine Erosion der Grundlagen unserer Gesellschaft. Es geht ihnen um die Demontage demokratischer Institutionen. Institutionen wohlgemerkt, die sie selbst gerne genutzt haben, um an die Macht zu kommen oder an ihr teilzuhaben.

Angriff von oben auf die Institutionen

Diese Demontage folgt dabei einem Muster, das in nahezu allen Ländern zu beobachten ist, in denen Populisten regieren. Ob unabhängige Medien, Justiz, internationale Organisationen, ob Schutz und Respekt vor Minderheiten, ob Traditionen oder Gepflogenheiten – sie werden sämtlich angegriffen, schlecht geredet oder untergraben. Bei Donald Trump ist das beinahe schon exemplarisch zu beobachten: Zunächst waren führende Medien wie die New York Times, CNN oder die Washington Post an der Reihe, die zu Feinden nicht nur von Trump selbst, sondern gleich der ganzen amerikanischen Gesellschaft erklärt wurden. Bis heute führt Trump einen Twitterkrieg gegen diese Medien. Qualitätsmedien, auf die viele andere Gesellschaften stolz wären.

Ähnlich erging und ergeht es der Justiz, die in dem von Trump verhängten Einreisestopp von Menschen aus bestimmten muslimischen Ländern eine Verletzung der Verfassung sieht. Trump reagierte wütend und ohne jeglichen Respekt vor den Institutionen und ihren Repräsentanten – und setzte sich damit über das Recht, über die Verfassung. Internationale Organisationen wie die Nato oder die Uno wurden von Trump als überflüssig abgekanzelt und lächerlich gemacht. Muslime oder illegale Einwanderer werden zu Terroristen oder Feinden abgestempelt. Eingeübte Verfahren, wie die Offenlegung der Steuererklärung des Präsidenten, die Dokumentation, wer im Weißen Haus aus- und eingeht oder die Mitnahme von Journalisten auf Reisen des US-Außenministers werden missachtet oder schlichtweg ignoriert.

Das demokratische Erbe schützt nicht

Es ist dabei ein zentrales Element populistischen Regierens, Feinde im Inneren zu identifizieren. Der vermeintliche Kampf gegen sie kann dann außergewöhnliche Maßnahmen rechtfertigen, er hält die Gesellschaft in Atem und schafft gleichzeitig Sündenböcke, auf die sich eigene Misserfolge abwälzen lassen. Der amerikanische Historiker Timothy Snyder hat diese Methoden in seinem neuen Buch „On Tyranny“ untersucht. „Wir glauben, dass wir durch unser demokratisches Erbe vor solchen Gefahren geschützt sind“, schreibt Snyder. „Das aber ist ein falscher Reflex.“ Die Amerikaner heute seien nicht klüger als die Europäer, die gesehen hätten, wie ihre Gesellschaften dem Faschismus, Nazismus und Kommunismus anheim gefallen sind, warnt der Professor von der Yale-Universität. „Aber unser Vorteil ist, dass wir aus diesen Erfahrungen lernen können.“ In seinen folgenden Handlungsanleitungen steht ein Appell ganz oben: Verteidigt die Institutionen!

Denn auch das lässt sich gut an jenen Orten ablesen, wo die Institutionen entweder unter Druck stehen oder bereits geschleift wurden. Es genügt ein Blick auf die massiven Verfassungsänderungen in Ungarn unter Viktor Orban, die Schikanierung der ungarischen Medien, oder die Angriffe auf das Verfassungsgericht in Polen unter Jaroslaw Kaczynski – und der Versuch der Gleichschaltung der polnischen öffentlich-rechtlichen Medien. Wo die Eingriffe in die Institutionen gelungen sind, dort wird staatliche Macht zementiert. Und das so sehr, dass ein Regierungswechsel alleine die Rückkehr zu den alten Verhältnissen gar nicht garantiert. Langfristig besetzt mit loyalen Parteisoldaten wird die Umkehr der Verhältnisse zu einem Kraftakt auch für künftige, wieder liberale Regierungen.

„Nicht mal auf Trumps Idiotien kann man sich verlassen“

Das Bestehende angreifen, die existierende Ordnung durch Disruption erschüttern: dass Trump das will, steht einigermaßen fest. Doch was kommt nach der Disruption, wo ist der kreative Teil der Zerstörung? Anders gefragt: Wo will Trump die USA überhaupt hinführen? Auch nach 100 Tagen gibt es dazu keine wirklich gesicherte Erkenntnis. Erratisch und impulsiv regiert Donald Trump. Mal steigen, mal fallen Berater in der Gunst des Präsidenten. Mal schwelgt Trump wie ein Pubertierender damit, bei Schokoladentorte im Gespräch mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping den Befehl zum Raketenangriff auf einen Luftwaffenstützpunkt in Syrien gegeben zu haben. Mal ist er gegen Freihandel, dann wieder dafür. Diese Liste ließe sich noch beliebig verlängern.

Hilft es weiter, Trump im Original zu lesen? Wer kann, der sollte sich den Wortlaut des jüngsten Interviews des Präsidenten mit der Nachrichtenagentur AP zu Gemüte führen. Und wird erschüttert sein. Was sich da vor dem Leser aufblättert, ist ein Dokument der Ahnungslosigkeit, der Unkonzentriertheit und ja – der Unernsthaftigkeit. Denn selbst wenn Trump einmal das Vernünftige tut, dann bleibt ein bitterer Beigeschmack. Weil das Handeln des Präsidenten keinem Plan entspringt, weil auf heute Richtiges schon morgen Falsches folgen kann. Oder wie es ein Beobachter dieser Tage sarkastisch sagte: „Man kann sich bei Trump nicht mal auf dessen Idiotien verlassen.“

Was bleibt nach diesen 100 Tagen an Erkenntnis? Den leichtfertigen Denkzettel-Wählern hat der Trump-Schock gelehrt, was passiert, wenn man mit seiner Stimme Vabanque spielt. Und den liberalen Demokratien hat das Beispiel Trump wohl etwas Zeit verschafft. Zeit, die genutzt werden muss: für Reformen. Aber auch, um die offenen Gesellschaften gegen die Populisten wetterfest zu machen.

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