Die Rebellion und ihre Folgen - Vom arabischen Frühling zum weltweiten Winter

Mit Barack Obama verlässt der letzte große westliche Unterstützer der Aufstände in der arabischen Welt die politische Bühne. Zurück bleibt ein Desaster. Für die unmittelbar beteiligten Länder, aber auch für die westliche Welt

Mit großen Hoffnungen waren sie gestartet, diesen Flüchtlingen bleibt nur die Erschöpfung / picture alliance
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Im September 2011 trafen Nicolas Sarkozy und David Cameron, die Regierungschefs von Frankreich und Großbritannien, quasi über Nacht in Tripolis ein, der Hauptstadt Libyens. Es sollte die Stätte ihres Triumphes sein, waren sie doch die Hauptarchitekten des Nato-Einsatzes gewesen, der das Volk vom Tyrannen Muammar al-Gaddafi befreien und Demokratie in das Land bringen sollte. Es war der Herbst nach dem arabischen Frühling, den in der westlichen Welt nahezu alle Politiker und Medien unisono bejubelten. „Ihr habt die Solidarität und Bewunderung des französischen Volkes“, rief Sarkozy den Rebellen zu, und Cameron gab sich überzeugt, Libyen werde „eine große Erfolgsgeschichte“ werden.

In Ägypten hatte US-Präsident Barack Obama schon zu Beginn des Frühlings direkt eingegriffen. Diktator Hosni Mubarak solle „sofort zurücktreten“, hatte Obama am 1. Februar 2011 gesagt und so, wie es die New York Times damals formulierte, eine drei Jahrzehnte währende Beziehung der USA mit ihrem treuesten Verbündeten in der arabischen Welt aufgekündigt und sich mit dem Gewicht der Weltmacht auf die Seite der Straße gelegt.

Nach dem Aufstand herrscht Chaos

In Libyen endete der Aufstand mit dem brutalen Mord an Gaddafi, live zu sehen auf Youtube. Seitdem herrscht dort Chaos. Das Land befindet sich im permanenten Kampf zwischen verschiedenen Warlords und deren Milizen, was für die Destabilisierung großer Teile Nordafrikas gesorgt hat. Menschenschlepper-Mafias operieren praktisch ohne Gegenwehr und locken unzählige hoffnungsfrohe Migranten in das Land, die sich von dort auf die gefährliche Schiffsreise nach Italien machen. Tausende haben sie nicht überlebt.

In Ägypten artete die „Revolution“ auf dem Tahrir-Platz in eine Massenvergewaltigung aus, und statt von Hosni Mubarak wird das Land nun von einer anderen Militärdiktatur regiert.

Den anderen Ländern erging es nicht besser. Der hydraköpfige Bürgerkrieg in Syrien fand gerade seinen traurigen Höhepunkt mit der Rückeroberung von Aleppo. Im Jemen gibt es täglich Bombardements. All diese Länder wurden zu Sprungbrettern des so genannten Islamischen Staates, dessen globaler Terrorismus-Feldzug offenbar auch mit größten Anstrengungen kaum einzudämmen ist.

Machtverschiebungen auch im Westen

Die arabische Rebellion war ein Desaster. Für die unmittelbar beteiligten Länder, aber auch für die westliche Welt und ihre Anführer. Sarkozy und Cameron sind seitdem politisch in der Versenkung verschwunden. Der letzte westliche Regierungschef, der den Aufstand als Demokratiebewegung im Nahen Osten feierte und anschob, Barack Obama, verlässt gerade die politische Arena. Gut, dafür kann er erst einmal nichts, er darf ja nicht wiedergewählt werden. Doch auch sein Vermächtnis bleibt durch die anhaltende Katastrophe im Nahen Osten nachhaltig beschmutzt.

Stattdessen haben zwei Männer an Macht und Einfluss gewonnen, die sich mit den westlichen Werten von Freiheit und Demokratie nicht lange aufhalten. Recep Tayyib Erdogan hat das Chaos in der Region genutzt, um die Türkei zu einer Autokratie zu seinen Gunsten und sich selbst zum unverzichtbaren Mittelsmann der Weltmächte zu machen. Wladimir Putin wurde vom Nebendarsteller zum mächtigsten Strippenzieher im Nahen Osten.

Für was eigentlich?

Natürlich, am stärksten litten die Menschen in den arabischen Ländern an den Folgen der unheilvollen Revolution. Syrien bleibt das abschreckendste Beispiel. Bis zu einer halben Million Menschen sind dort bisher getötet worden. Die Lebenserwartung ist durchschnittlich um 20 Jahre gesunken, die Kindersterberate um 10 Prozent gestiegen. Geschätzte 12 Millionen Menschen, die Hälfte der Vorkriegsbevölkerung von 23 Millionen, befinden sich auf der Flucht. Fünf Millionen haben das Land verlassen und leben nun in Flüchtlingscamps der Nachbarländer von der Hand in den Mund. Eine Million Menschen ist nach Europa gezogen, wo sie nichts zu tun haben, außer auf ihre Asylentscheidung zu warten.

Psychische Schäden der Überlebenden sind in Zahlen nicht zu bemessen, dürften aber ebenfalls verheerend sein. Die Trauer über den Tod von Angehörigen und Freunden oder über den Verlust von Haus und Hof, der Schmerz und die Scham durch Folter, die ständige Furcht vor Bomben, Hunger, Flucht, Exil – und alles für, ja, für was eigentlich? Der Diktator Baschar Al-Assad jedenfalls ist immer noch an der Macht und nach der Eroberung  – oder Befreiung, wie man’s nimmt – von Aleppo wohl so fest wie seit dem Beginn des Bürgerkrieges nicht mehr.

Wie sich der Westen verändert

Doch auch im Westen spüren wir die Folgen. Die Zukunft der Europäischen Union, seit der deutschen Wiedervereinigung ein Hort der Stabilität, ist seit dem Brexit ernsthaft gefährdet. Und in den USA zieht bald Donald Trump ins Weiße Haus ein. Einer, der offenbar Putin mehr respektiert als die Nato. Beides ist – nicht nur, aber auch – das Ergebnis eines verstärkten Fremdenhasses, der mit der Masseneinwanderung von Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen aus den Ländern der Rebellion in den Westen gekommen ist. Gleichzeitig ist die Frequenz der Attacken islamischer Terroristen auf westliche Zivilisten erschreckend hoch, was wiederum alles andere als beruhigend wirkt. Selbst eine Partei wie die Grünen wirbt nun für Maßnahmen der staatlichen Überwachung, die unvermeidlich sein mögen, aber das Leben eines jeden einzelnen Bürgers eben auch weniger frei machen.

Krieg, Terror, Hass, Brexit, Gestalten wie Putin, Erdogan und Trump so mächtig wie nie und vielleicht in Frankreich bald eine Präsidentin Marine Le Pen – natürlich konnten die Herren Cameron, Sarkozy und Obama nicht damit rechnen, dass ihre „große Erfolgsgeschichte“ einmal so enden würde. Doch der „Winter des Missvergnügens“, wie ihn Shakespeare beschrieb und in den sich der arabische Frühling so schnell gewandelt hat, wird auch uns so bald nicht mehr loslassen.

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