Krieg in Syrien - Es geht nicht ohne militärisches Eingreifen

Im Großraum Aleppo sind schätzungsweise über eine Millionen Menschen ohne Nahrung und Trinkwasser. Längst mischen Regionalmächte wie Iran und Saudi-Arabien im syrischen Bürgerkrieg mit. Deutschland aber glaubt weiter an eine friedliche Lösung des Konflikts

Ein völlig zerstörter Bezirk von Aleppo am 11. Juli 2016 / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Die westliche Außen- und Sicherheitspolitik erlebt zurzeit ein unvergleichbares Desaster. Trauriges Symbol dieses Totalversagens ist die syrische Stadt Aleppo. Seit dem Beginn der russischen Luftangriffe in Syrien im vergangenen September versuchen „Regierungstruppen“ in den Norden von Aleppo vorzustoßen, um die Nachschublinien für die Stadt abzuschneiden. Im Februar begann eine Großoffensive, vor drei Wochen wurde der Belagerungsring geschlossen. Vor wenigen Tagen gelang es den so genannten „Rebellen“ anscheinend, den Belagerungsring um Ost-Aleppo im Südwesten zu durchbrechen.

„Regierungstruppen“ und „Rebellen“ muss man deshalb in Anführungszeichen setzen, weil der Krieg schon längst die Dimension eines Bürgerkrieges verlassen und sich zu einer Auseinandersetzung regionaler Mittelmächte – allen voran Iran und Saudi-Arabien – ausgewachsen hat. Auf Seiten Assads kämpfen die dem Regime verbliebenen Verbände, die Syrische Sozial-Nationalistische Partei und die Baath-Brigaden, neben Einheiten der Republikanischen Garden Irans, der libanesischen (und vom Iran ausgerüsteten) Hisbollah, irakischen Schiiten-Milizen wie die Liwa Abu l-Fadl al-Abba und russischen Spezialeinheiten.

Saudi-Arabien, USA und Türkei auf Seiten der Rebellen

Unterstützt werden diese Hauptakteure von einem Reigen unterschiedlichster Gruppen wie der palästinensischen Liwa al-Quds, der drusischen Dschaisch al-Muwahhidin oder der pan-arabischen Arab Nationalist Guard.

Diesem Bündnis gegenüber steht ein Konglomerat aus mehreren Dutzend Brigaden, Legionen und Einheiten mit teils malerischen Namen, die die syrische Opposition im engeren Sinne bilden, unterstützt und ausgerüstet von Saudi-Arabien, Katar, den USA und der Türkei. Etwa die salafistischen Ahrar al-Scham und Jaysh al-Islam oder die Einheiten der Freien Syrischen Armee.

Neben diesen direkten Kontrahenten kämpft die Al-Nusra Front, die sich vor zwei Wochen auf Anweisung von Al-Qaida losgesagt hat und nun unter dem Namen Dschabhat Fatah asch-Scham firmiert. Ein weiterer wichtiger Akteur ist die Kurdenmiliz YPG, die zusammen mit sunnitisch-arabischen Stammesmilizen und der assyrisch-aramäischen MFS die Demokratischen Kräfte Syrien SDF bildet. Und den IS, den gibt es natürlich auch noch.

Deutsche Friedensbewegung bleibt stumm

Nichts ist leichter, als angesichts dieser Situation zum Zyniker zu werden. In Aleppo sind 250.000 bis 300.000 Einwohner faktisch eingeschlossen. Beide Kriegsparteien beherrschen das Hinterland der jeweils anderen – die Rebellen den Raum westlich von Aleppo, die Regimetreuen den Osten. Im Großraum um die Stadt sind schätzungsweise über eine Millionen Menschen ohne Nahrung, ohne Trinkwasser und unter Dauerbeschuss. Die Krankenhäuser der Region hat die russische Luftwaffe systematisch zerstört – ohne dass hierzulande eine einzige Demonstration der Friedensbewegten und Allzeitempörten stattgefunden hätte.

Begonnen hat die Katastrophe 2011, als der arabische Frühling auf Syrien übergriff und der Westen, allen voran die USA, den Aufstand gegen Assad halbherzig unterstützte. Auch als sich abzeichnete, dass in das entstehende Machtvakuum radikalislamistische Milizen vorstoßen würden und Teheran begann, Assad massiv zu unterstützen, konnte man sich in Washington zu keiner klaren Linie durchringen.

Steinmeier hat in Syrien versagt

Spätestens als sich vor einem Jahr Putin entschloss, Assad zur Hilfe zu kommen, war die letzte Chance vertan, die Tragödie abzuwenden. Entstanden ist eine Situation, die jeder Lösung spottet. Man braucht kein Prophet zu sein, um zu prognostizieren, dass dieser Krieg erst ein Ende finden wird, wenn alle Akteure erschöpft sind. Das aber kann dauern, dafür gibt es zu viele, die von dem Morden profitieren.

Sinnbild des Elends, das der Westen abgibt, ist seit Jahren Außenminister Steinmeier. Wer von „Verhandlungslösungen“ und „Friedengesprächen“ fabuliert und davon, dass es „keine militärische Lösung“ geben dürfe, lässt erkennen, dass er den Epochenwandel nicht begriffen hat, in dem wir uns befinden.

Gewalt auch mit Gewalt Einhalt gebieten

Das Gestern ist vergangen. Wir leben in der Gegenwart. Und in der herrscht eine berechnende Rücksichtslosigkeit und Brutalität, die mancher im Westen schon überwunden sah. Doch die Geschichte ist zurück und mit ihr der Krieg. Eine ganze Generation westlicher Politiker scheint dem mental nicht gewachsen zu sein.

Die Katastrophe, die sich seit Jahren in Syrien abspielt, wäre zu verhindern gewesen. Mit Entschlossenheit, Geradlinigkeit und der Bereitschaft, Gewalt mehr entgegenzusetzen als Gesprächsrunden und Verhandlungen. Stattdessen hat man Menschen ermuntert, für ihre Freiheit zu kämpfen, ihnen im entscheidenden Moment aber die Hilfe versagt.

Wer aber nicht bereit ist, der Gewalt zur Not auch mit Gewalt Einhalt zu gebieten, der soll demnächst einfach schweigen, wenn in Deutschland routinemäßig der Opfer von Massenmord und Gewaltherrschaft gedacht wird. Der kann sich seine Betroffenheit ebenso sparen wie seine wohlfeilen Reden über das „Nie wieder“.

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