Deutsch-Polnisches Barometer 2020 - Der ferne, nahe Nachbar

Trotz enger Nachbarschaft leben Deutsche und Polen mehr nebeneinander als miteinander. Das ist eines der Ergebnisse des aktuellen Deutsch-Polnischen Barometers. Es zeigt, wie staatliche Propaganda einerseits und schlichtes Desinteresse andererseits die Beziehungen belasten.

Gemeinsame Erinnern funktioniert noch, aber das Fundament der deutsch-polnischen Freundschaft bröckelt / dpa
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Autoreninfo

Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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Wer als Außenstehender seit Jahren die polnische Presse beobachtet, dem fällt ein Phänomen auf: Die Deutsche Welle, besser gesagt dessen polnischsprachige Redaktion, gehört zu den meist zitierten Medien in Polen. Jedoch nicht von der Redaktion recherchierte Geschichten, sondern deren täglicher Pressespiegel, in dem auch Berichte der deutschsprachigen Presse über Polen zusammengefasst werden, stößt östlich der Oder auf große Resonanz. „Die deutsche Presse schreibt über Polen“, heißt es dann mehrmals wöchentlich in den Medien.

An dieses spezielle polnische Phänomen musste ich denken, als ich mir das dieser Tage veröffentlichte Deutsch-Polnischen Barometer 2020 durchlas. Eine seit dem Jahr 2000 veröffentlichte Umfrage, die das Meinungsbild über das jeweilige Nachbarland ermittelt. Dieses Jahr ist es ein gemeinsames Projekt des Warschauer Instituts für Öffentliche Angelegenheiten, dem Darmstädter Deutschen Polen-Institut, der Konrad-Adenauer-Stiftung in Polen sowie der bilateralen Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit

Gespaltene Meinung über Deutschland

Und das bereits erwähnte polnische Phänomen mit der Fixierung auf die Berichterstattung deutscher Medien, spiegelt sich auch in dem Barometer wider. Denn die groß angelegte Untersuchung zeigt, dass die Meinung der Polen bezüglich Deutschland in den vergangenen zwei Jahren neutraler geworden ist. Was, wie die Macher der Studie Jacek Kucharczyk und Agnieszka Łada betonen, auch auf die politische Spaltung des Landes zurückzuführen ist, die sich auch im Medienkonsum spiegelt. Während Anhänger der in Polen regierenden PiS hauptsächlich den staatlichen Fernsehsender TVP als Hauptinformationsquelle nutzen und dadurch auch ein erheblich schlechteres Deutschlandbild haben, ist es bei den Anhängern der liberalen Opposition der Privatsender TVN. Deren Meinung über Deutschland ist positiver.

Und ein schönes Beispiel dafür ist der schon erwähnte Pressespiegel der Deutschen Welle. Während liberale Medien die von der DW zitierten Artikel der deutschen Zeitungen und Nachrichtenmagazine als Beleg für den Niedergang der Demokratie in Polen nutzen, geben regierungsnahe Medien diese Berichte als antipolnische Angriffe deutscher Medien wieder, mit denen „eine polnische Interessen vertretende Regierung gestürzt werden soll.“ 

Antideutsche Ressentiments aus dem Fernseher

Noch gravierender ist der Unterschied in der Berichterstattung der großen Fernsehsender. Während TVN sowie Polsat, der andere bedeutende Privatsender in Polen, sich größtenteils um eine ausgeglichene Berichterstattung über Deutschland bemühen, ist die des von den Nationalkonservativen zu einem reinen Propagandaorgan umgebaute TVP tendenziös. Die antideutschen Ressentiments der PiS, die Kritiker unter anderem gerne als „Volksdeutsche“ beschimpft, finden sich auch in der TVP-Berichterstattung wieder. Je nach Bedarf sind die Deutschen mal neidisch auf die wirtschaftliche Entwicklung Polens, wollen sie Polens wachsende Bedeutung zerstören oder sind, bei guten Tagen in der TVP-Nachrichtenredaktion, auch einfach nur voller Lob für die polnische Regierung. Eine Berichterstattung, die nicht verwundern kam.

Nachdem Cezary Gmyz durch den Regierungswechsel vor fünf Jahren zum hiesigen TVP-Korrespondenten wurde, verkündete dieser, seinen Job als Vertreter polnischer Interessen verstehen zu wollen. In dem Fall sind die polnischen Interessen gleichbedeutend mit denen der PiS. 

Schwachstellen in der Berichterstattung

Es ist eine fatale Entwicklung in einer Presselandschaft, in der sich die meisten anderen Redaktionen Korrespondenten nicht leisten können und in der Auslandsberichterstattung generell eine untergeordnete Rolle spielt. Es wäre jedoch zu einfach, mit dem Finger nur auf Polen zu zeigen. Auch wenn der „Deutsch-Polnische Barometer“ zeigt, dass sich die Meinung der Deutschen über Polen gebessert hat, erstaunlicherweise auch bezüglich der politischen Situation in dem Land, gibt es auch hier enorme Schwachstellen in der Berichterstattung. 

Und diese Schwachstellen haben nicht nur mit den Sparmaßnahmen in den Medienhäusern zu tun, sondern auch mit dem schon beinah traditionellem Desinteresse der Deutschen für Polen und generell Ostmitteleuropa, was sich auch in der Berichterstattung zeigt. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben in Polen hervorragende Korrespondenten, doch dann kommen nur noch die drei großen überregionalen Tageszeitungen. Nicht einmal die großen Nachrichtenmagazine Spiegel und Zeit haben in Warschau Korrespondenten. Dabei ist Polen mittlerweile nicht nur Deutschlands fünftwichtigster Handelspartner, sondern spielt auch politisch eine immer wichtigere Rolle in der EU. Es ist eine fehlende Sachkompetenz, die unkundigen „Experten“ die Türen öffnet.

Bis heute unvergessen

Bei dem aktuellen Barometer springt aber noch ein gravierender Unterschied zwischen Polen und Deutschen ins Auge. Während die Deutschen bei der Frage, welche Assoziationen sie mit Polen verbinden, als häufigste Antwort „Tourismus“ und „Kultur“ angeben, lautet bei Polen die umgekehrte Antwort mit 30 Prozent „Besatzer“ und „Agressor.“ Die leidvolle gemeinsame Geschichte verbinden dagegen nur 7 Prozent der befragten Deutschen mit Polen.

Als Grund geben die Verantwortlichen der Studie die Politik der in Polen regierenden Nationalkonservativen an, für die Geschichtspolitik nicht nur generell eine sehr wichtige Rolle spielt, sondern die auch die Forderung nach deutschen Kriegsreparationen zu ihrer politischen Agenda erkoren haben. Auch wenn man oft das Gefühl hat, dass dieses Thema der PiS eher innenpolitischen Zwecken dient und immer nur dann aus der Schublade herausgeholt wird, um von anderen Themen abzulenken.

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Die wichtige Rolle der Geschichte jedoch nur auf die Politik der PiS zurückzuführen, wäre zu simpel. Die Polen sind generell eine sehr geschichtsbewusste Nation, die in den vergangenen Jahrzehnten die Erfahrung machen musste, dass ihr im Zweiten Weltkrieg erlittenes großes Leid vielen im Westen, gerade aber im Land der Täter, unbekannt ist. Stattdessen mussten die Polen in den westlichen Medien von polnischen Konzentrationslagern lesen, erfuhren, dass selbst das Auswärtige Amt in seinen offiziellen Kommuniqués schon mal den Warschauer Aufstand von 1944 mit dem 1943 stattgefundenem Aufstand im Warschauer Ghetto verwechselt, oder sahen, wie ausgerechnet in der ZDF-Serie „Unsere Mütter, unsere Väter“ Angehörige der polnischen Untergrundarmee als mordende Antisemiten dargestellt wurden. Und in dem politisch tief gespaltenen Polen ist diese historische Sensibilität eines der wenigen, einenden Themen.

Zwei Aspekte aus dem umfangreichen Deutsch-Polnischen Barometer 2020, die zeigen, dass es noch viel zu tun gibt, damit Deutsche und Polen nicht weiterhin ferne, nahe Nachbarn bleiben. 

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