Freilassung von Deniz Yücel - Pressefreiheit gilt für alle oder nicht

Deniz Yücel kommt frei. Zu verdanken hat er das offenbar auch dem Engagement von Außenminister Sigmar Gabriel. Es steht dem deutschen Staat gut zu Gesicht, dass er vehement für einen seiner schärfsten Kritiker kämpft

Deniz Yücel saß ein Jahr lang ohne Anklage in einem türkischen Gefängnis / picture alliance
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Ob es der letzte Dienst des scheidenden Außenministers ist? Deniz Yücel, Türkei-Korrespondent der Welt, soll nun doch freikommen, etwas mehr als ein Jahr nach seiner Festnahme. Und Sigmar Gabriel hat, glaubt man ihm selbst, entscheidend dazu beigetragen. Er habe in den vergangenen Tagen „viele Gespräche mit der türkischen Regierung zur Beschleunigung des Verfahrens geführt“, sagte Gabriel. „Dazu gehörten auch zwei Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan.“

Die Freilassung von Yücel ist ohne Einschränkung eine gute Nachricht, zuallererst natürlich für ihn selbst. Es ist kaum vorstellbar wie hart es sein muss, 366 Tage in einer Zelle zu schmoren, ohne Aussicht auf wenigstens einen Prozess. Und dazu wurde Yücel gehindert, seinen Beruf auszuüben, gerade jetzt, wo die Türkei in den kurdischen Teil Syriens einmarschiert ist, und Yücel gezwungen war, statt Reportagen von der politischen und militärischen Front zu schreiben, hingekritzelte Zettel aus dem Gefängnis herauszuschmuggeln. 

Pressefreiheit gilt für Yücel genauso wie für Broder 

Es ist aber auch gut für uns Journalisten und für unsere Demokratie, auch wenn das sich erst einmal pathetisch anhört. Denn Yücels Texte waren immer darauf angelegt, zu provozieren, die deutsche Regierung ebenso wie die türkische. Und manchmal schossen sie übers Ziel hinaus. Doch all das hehre Gerede um die Pressefreiheit ist nichts wert, wenn sie nicht auch und gerade dann gilt, wenn es weh tut. Und für alle oder nicht.  Dass man eben nicht ins Gefängnis kommt, wenn man etwas schreibt, was der Regierung nicht passt. Etwas nicht zu schreiben aus Angst vor den Folgen, das darf in einem demokratischen Land nicht vorkommen, seien die Verfasser nun Henryk M. Broder oder eben Deniz Yücel. 

Deshalb ist es richtig und wichtig, dass ein Land wie Deutschland auf höchster diplomatischer Ebene für die Freilassung von einem seiner schärfsten Kritiker kämpft. Sicher: Es hätte schneller gehen können und müssen, denn jeder Tag, den Yücel in Haft saß, war ein Tag zu viel. Und noch immer sitzen 150 Kollegen von ihm in Gefängnis, meist mit höchst zweifelhaften Begründungen. Auch für sie muss sich Deutschland einsetzen. Trotzdem: Wäre dies der letzte Dienst von Sigmar Gabriel als führender deutscher Politiker, es wäre kein schlechtes Vermächtnis.

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