Urteil gegen Deniz Yücel - Ein Journalist tut, was ein Journalist tun muss

Wegen angeblicher Propaganda ist der Journalist Deniz Yücel zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden. Noch während die türkischen Richter mit ihrem Spruch dem Rechtsstaat hohnsprechen, reagiert Yücel mit wahrer Größe.

Journalist Deniz Yücel im Jahr 2019 vor dem Amtsgericht Tiergarten / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

So erreichen Sie Ralf Hanselle:

Anzeige

Yücel schreibt über Yücel. Gekonnter kann man dem Oberaufseher über das „Freiluftgefängnis Tayipistan“ (Deniz Yücel) in diesen Tagen keine Nase drehen. Noch während die 32. Istanbuler Strafkammer den deutsch-türkischen „Welt“-Journalisten Deniz Yücel an diesem Donnerstag wegen angeblicher Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK in Abwesenheit zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt, gibt Yücel dem türkischen Staatspräsidenten aus der Ferne ein Lehrstück in Sachen Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. 

Die Tinte unter dem noch nicht rechtskräftigen Urteil war vermutlich noch nicht gänzlich getrocknet, da lud der 1973 im hessischen Flörsheim geborene Journalist auf der Internetseite der Tageszeitung Die Welt seinen ganz persönlichen Kommentar zu der neuesten Farce vom Bosporus hoch: „Ich bereue nichts“, so die Headline über einem pointierten Text, in dem der einstige Türkei-Korrespondent, der zwischen 2017 bis 2018 ohne Anklage in einem Hochsicherheitsgefängnis westlich von Istanbul inhaftiert war, seine Sicht auf Prozessverlauf und Urteil offenbart. 

Die Türkei hat sich blamiert

Der türkische Staat, so Deniz Yücel in seinem Kommentar in eigener Sache, habe sich blamiert. Und das nicht, weil das Gericht ihn heute wegen Terrorpropaganda verurteilt und zwei weitere Ermittlungen wegen Beleidigung des Präsidenten und des türkischen Staates bekanntgegeben habe; der Staat habe sich blamiert, weil er sich blamieren musste. Denn entweder hätten sich die Richter über ein vorangegangenes Urteil des Verfassungsgerichts hinweggesetzt, nachdem ein dem Journalisten zur Last gelegtes Interview mit dem PKK-Kommandanten Cemi Bayik von der Pressefreiheit gedeckt gewesen sei, oder sie hätten sich über Recep Tayyip Erdogan höchstselbst hinweggesetzt. Der nämlich hatte Yücel im Vorfeld immer wieder als „Agentterrorist“ bezeichnet und somit vorverurteilt.

Dumme Situation, kann man da eigentlich nur sagen. In einem Land, in dem ein Gericht nur noch die Wahl hat, sich entweder dem Recht oder dem Diktat einer größenwahnsinnigen Exekutive zu beugen, lässt sich nicht gut richten, geschweige denn leben. Deniz Yücel spricht in seinem Text die gegenwärtigen Verhältnisse bei unserem europäischen Nachbarn unverblümt aus: „Rechtsbrecher in Richterroben“, „Handlanger der Exekutive“ nennt er die Vorsitzenden der 32. Strafkammer, die seiner Meinung nach ein durch und durch politisches Urteil gefällt hätten.

Isolationshaft und Folter

Und dann der Schlussakkord: „Non, je ne regrette rien“ haut Dennis Yücel in die Tasten seines Berliner Redaktionscomputers, als ginge es bei seinem Aufenthalt in einem türkischen Gefängnis nebst illegaler Isolationshaft und angeblicher Folter nur um eine durchzechte Nacht in irgendeiner Pariser Hinterhofbar und nicht um einen Vorgang, der jeglicher Rechtsstaatlichkeit hohnspricht. Er habe lediglich seine Arbeit als Journalist gemacht; und die bereue er nicht. 

Es ist ein Lehrstück in Sachen Würde,  Menschenrechte und Pressefreiheit, das Deniz Yücel da heute ins Netz gestellt hat. Es schmerze ihn, so seine abschließende Bemerkung, dass die Türkei, dieses „großartige Land“, wie er es trotz alledem nennt, unter einem autoritären, islamistisch-nationalistischem und kriminellen Regime leide. 

Mehr Freiheit geht nicht. Denn dieser Text ist es, der zumindest im öffentlichen Bewusstsein von der schäbigen Causa „Türkei gegen Deniz Yücel“ bleiben wird. Der vermeintliche Sieg gegen einen deutschen Journalisten ist für Recep Tayyip Erdogan zum Pyrrhussieg geworden. In dem Moment, in dem in Gegenwart von Yücels Anwalt Veysel Ok in Istanbul der Hammer fiel, fiel in der freien Welt ein alter Groschen: Die Gedanken, das Wort und die freie Rede wird man nicht zu Fall bringen können. Das ist die eigentliche Schmach, die der türkische Staatspräsident neben einer zunehmenden internationalen Isolation an diesem Donnerstag erleiden musste: Die Freiheit ist schneller als die Angst. Denn sie macht schlicht und ergreifend nur ihren Job.

Den Text von Deniz Yücel finden Sie hier.

Anzeige