David Davis - Zuständig für Zauberei

Er soll einen der wichtigsten Deals der britischen Nachkriegsgeschichte aushandeln: Für Brexit-Minister David Davis ist diese Aufgabe ein Comeback und eine Revanche zugleich

Erschienen in Ausgabe
Die Londoner spötteln über das Brexit-Ministerium und nennen es das „Ministerium für Zauberei“ / picture alliance
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Als SAS-Reservist gehörte David Davis einst zur Elite der britischen Kampftruppen. Sein Motto damals wie heute: „Laden, zielen, feuern. Nicht: Laden, feuern und erst dann zielen.“ In seinem momentanen Einsatzgebiet kann dem Brexit-Minister logisches Vorgehen durchaus helfen. Seit das Vereinigte Königreich für den Austritt aus der EU gestimmt hat, steht die britische Politik kopf. Für den 8. Juni hat Regierungschefin Theresa May vorgezogene Neuwahlen ankündigt; sie will sich ein Mandat für ihren Brexit geben lassen. David Davis hat von May den kniffligsten Job bekommen: Er soll Großbritannien aus der EU holen, ohne Land und Leuten allzu großen Schaden zuzufügen. Das ist eine monumentale Aufgabe nach knapp 50 Jahren EU-Mitgliedschaft. 

Im Juli 2016, als David Davis das Ministerium für den Exit aus der Europäischen Union übernahm, wusste überdies niemand, welchen Brexit die Briten überhaupt wollten. Davis musste – ganz gegen sein Motto – das Ziel erst festlegen, nachdem die Truppen bereits gefeuert hatten.

Brexit hat oberste Priorität

Dem 68-jährigen Berufspolitiker geht ein hervorragender Ruf voraus. Er ist eine ausgleichende Kraft mit freundlicher Ausstrahlung in einer durchaus eckigen Regierung. Zwar ist er ein Brexiter der ersten Stunde, doch längst nicht so EU-feindlich wie etwa der Minister für Internationalen Handel, Liam Fox, oder der erratische Populist Boris Johnson. Gemeinsam mit den kühlen Köpfen von Theresa May und Schatzkanzler Philip Hammond könnte Davis mit der EU ein Handelsabkommen vereinbaren, das Großbritannien möglichst nahe an den gemeinsamen Markt der Europäischen Union anbindet. 

Als Erstes sicherte der Brexit-Minister seinem neu geschaffenen Department eine Adresse mit Prestige: Downing Street Nummer 9. In unmittelbarer Nachbarschaft zur Regierungschefin im Haus 10, so sein Kalkül, würde man ihn richtig ernst nehmen. Der bisherige Hausherr nahm die Untermieter zähneknirschend in Kauf. Chefeinpeitscher Gavin Williamson – jener Mann, der im Parlament die Abgeordneten auf Regierungslinie einschwört – machte David Davis und seinen neuen Mitarbeitern Platz. Denn Brexit hat heute eben oberste Priorität. 

Ministerium für Zauberei

Schwieriger gestaltete sich die Suche nach den EU-Experten, die diese Büros füllen sollten. Die wirklich erfahrenen Beamten waren gegen den Austritt aus der EU gewesen, weil sie glaubten, dass dieser ihrem Land schaden würde. Nach dem Referendum setzte eine Fluchtbewegung proeuropäischer Diplomaten ein. Der Europadirektor des Außenministeriums etwa ließ sich zum Botschafter in Brasilien ernennen. Inzwischen aber hat Davis sein Team aus Mitarbeitern anderer Ministerien zusammengestellt. 

Die Londoner spötteln über das Brexit-Ministerium und nennen es das „Ministerium für Zauberei“. Tatsächlich wird David Davis an Magie grenzende Tricksicherheit brauchen, um in den kommenden 18 Monaten einen Scheidungsvertrag und ein Übergangsabkommen mit den EU-Partnern auszuhandeln, das dann vom 29. März 2019 an, dem Tag des Austritts, gelten soll. 

Einmal noch in der ersten Reihe

In Brüssel hat er nur einen Duzfreund, und das ist ausgerechnet Michel Barnier, der Brexit-Verhandler der EU-Kommission. „Michel“ kennt David aus jenen Zeiten, als er John Majors Europaminister war und die beiden in einer EU-Reformgruppe die Köpfe zusammengesteckt haben. Sonst ist dem konservativen Euroskeptiker das Brüssel von heute eher fremd. Doch Theresa Mays Chef­unterhändler wird zugetraut, den Auftrag ausführen zu können. „Die Briten sind bekanntlich gute Strategen und Diplomaten. Sie haben sich gewissenhaft auf die Brexit-Verhandlungen vorbereitet“, meint ein offensichtlich beeindruckter österreichischer Außenminister Sebastian Kurz, der ihn Mitte März besucht hat: „David Davis ist selbst in Detailfragen gut informiert.“

Die Versuchung war zu groß

In seinem Alter hätte Davis auch in Pension gehen können. Doch die Versuchung war wohl zu groß, wie Winston Churchill noch einmal in der ersten Reihe der britischen Politik zu spielen – und dabei eine alte Rechnung zu begleichen: 2005 hatte der gebürtige Nord­engländer aus York versucht, Chef der konservativen Tories zu werden. Er posierte mit zwei jungen Frauen im T-Shirt, auf dem in Brusthöhe stand: „Mir passt DD.“ Aber neben dem jugendlichen David Cameron wirkte David Davis sehr alt. 

Cameron triumphierte damals. Er übernahm den Parteivorsitz, gewann alle Wahlen, dann ließ er sich siegessicher auf das EU-Referendum ein. David Davis betrachtete die Entwicklung aus der Ferne. Die Zeit seiner Generation schien vorbei. Jetzt hat der Ältere den Jüngeren politisch überlebt. David Cameron spielt heute zur Mittagsstunde Tennis. David Davis dagegen handelt in den kommenden zwei Jahren einen der wichtigsten Deals der britischen Nachkriegsgeschichte aus.

 

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