Krankheiten im Schatten von Corona - Tödliche Verengung

Im Kampf gegen Corona hat die Welt vergessen, dass es auch andere tödliche Krankheiten gibt. Diese Einseitigkeit könnte sich bald gefährlich rächen. Ein Artikel im Wissenschaftsmagazin „Nature“ zeigt, wie Corona die Behandlung von Polio, Masern oder Tuberkulose verdrängt hat.

Ein medizinischer Mitarbeiter gibt einem Kind eine Dosis Polio-Impfstoff / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Manchmal kann man es gar nicht mehr glauben: Medizin ist nicht nur der Kampf gegen Covid-19, es gibt auch unzählige andere gefährliche Krankheiten auf dem Globus. Doch die Erforschung und Behandlung von SARS-CoV-2 hat dermaßen viel Energie und Aufmerksamkeit auf sich gezogen, dass Polio oder Masern darüber in Vergessenheit geraten sind. Zudem haben viele Nationen ihre medizinischen Ressourcen ganz auf die Behandlung schwerer Atemwegserkrankungen umgelenkt – eine Gewichtsverlagerung, die gravierende Folgen haben kann. 

Beispiel Indien: Während des ersten Lockdowns im März 2020 sankt dort die Zahl der entdeckten Tuberkulose-Patienten um alarmierende 70 Prozent. Die Folge: Menschen bekamen keine Medikamente und keine Behandlung. Ein Jahr später hat die WHO daher bekannt geben müssen, dass die Zahl der Patienten, die weltweit eine Tuberkulosebehandlung erhalten hätten, um mehr als eine Millionen zurückgegangen sei. Dadurch könnten im vergangenen Jahr schätzungsweise 500.000 Menschen zusätzlich an TB gestorben sein, ein Drittel mehr als gewöhnlich. Es sind Opfer einer Gesundheitspolitik, die in ihrer Fokusbildung längst Maß und Mitte verloren hat.

Auf dem Pulverfass

Zu diesem Schluss kommt ein Artikel aus der aktuellen Ausgabe des britischen Fachmagazins Nature. Man stünde vor einer potenziellen Katastrophe, zitiert das Magazin den Exekutivdirektor des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, Peter Sands.  Millionen von Kindern seien derzeit einem erhöhten Risiko tödlicher und vermeidbarer Krankheiten ausgesetzt. Weniger Menschen als üblich suchten die Kliniken auf, und die Lieferung wichtiger Medikamente und medizinischer Geräte verzögere sich.

Längst klafften die Lücken überall – bei der Bekämpfung von Polio, Masern oder HIV.  Bei vielen dieser lebensbedrohlichen Krankheiten habe die Medizin besonders in den Entwicklungs- und Schwellenländern einen gefährlichen Roll-back bei der Prävention hingelegt. Fortschritte, die man sich einst mühevoll und über Jahre erarbeitet hatte, seien massiv in Gefahr geraten.

Man säße auf einem Pulverfass, zitiert Nature einen Masern-Experten, der in seiner Stellungnahme darauf hinweist, welch gravierende Folgen der Ebola-Ausbruch im Jahr 2014 in ganz Westafrika gehabt habe. Dadurch, dass sich die Gesundheitsbehörden und Hilfsorganisationen damals ausschließlich auf eine einzige Krankheit fokussiert hätten, sei es in der Folge zu großen Masernausbrüchen gekommen.

Gleiches könnte nun wieder drohen – allerdings in einem weit globaleren Ausmaß. Kritiker haben bereits seit Frühjahr letzten Jahres vor den Folgen der einseitigen Gesundheitsfürsorge gewarnt.  Nun scheint man gerade in den ärmeren Ländern die Rechnung für diese Wahrnehmungsverengung zahlen zu müssen.

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