Annäherung an die Taliban - Chinas ungewollte Partnerschaft

Peking geht auf Kuschelkurs mit den Taliban. Schon Ende Juli wurde eine Taliban-Delegation im chinesischen Tianjin empfangen. Wer jedoch glaubt, China wolle das Machtvakuum füllen, das der Westen in Afghanistan mit dem Abzug hinterlassen hat, liegt falsch.

Taliban-Führer Baradar und Chinas Außenminister Wang Yi bei einem Treffen im Juli / dpa
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Fabian Kretschmer ist freier Journalist mit Fokus auf Ostasien. In der Vergangenheit hat er als Südkorea-Korrespondent in Seoul gearbeitet, mittlerweile schreibt er aus Peking.

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Viel wurde in den vergangenen Tagen darüber geschrieben, wie China das von den Amerikanern hinterlassene Machtvakuum in Afghanistan künftig füllen will – nicht zuletzt von den heimischen Propagandamedien selbst. Und die hämische US-Kritik des Pekinger Außenministeriums klingt bisweilen anmaßend: „Ob im Irak, in Syrien oder in Afghanistan: Wir haben gesehen, wo immer das amerikanische Militär auch hingeht, es hinterlässt Chaos, Tod und Zerstörung“, sagte Sprecherin Hua Chunying am Dienstag.

Reines Kalkül

Dabei steht den Parteikadern im Pekinger Regierungssitz Zhongnanhai insgeheim gar nicht der Sinn nach Schadenfreude. Vielmehr gibt es eine große Angst der Staatsführung vor Instabilität und Unvorhersehbarkeit. Die neuen Machtverhältnisse in Afghanistan sind für Peking daher vor allem ein großes Risiko. Doch nach außen hin hat man die neuen Machthaber in Kabul ungewöhnlich rasch und auch einladend willkommen geheißen. Am Montag bereits hieß es aus dem Außenministerium, dass man „die Entscheidung des afghanischen Volkes respektiert“. Mehr noch: Man wünsche sich freundliche Beziehungen zur neuen Regierung.

Die diplomatisch ausgestreckte Hand ist allerdings reines Kalkül: Beide Länder teilt eine 76 Kilometer lange Grenze, die entlang der muslimisch geprägten Krisenprovinz Xinjiang verläuft. Dort hat der chinesische Staat hunderttausende Uiguren in politischen Umerziehungs- und Straflagern interniert. Und allein schon das Signal eines islamistischen Umsturzes im Nachbarland könnte in den Augen der Kommunistischen Partei verheerend wirken. Es wäre für Peking das denkbar schlimmste Szenario, wenn die Taliban militanten Uiguren Zuflucht gewährten, damit diese aus dem Exil heraus eine Widerstandsbewegung aufbauen können.

Um dies zu verhindern, hat Außenminister Wang Yi eine neunköpfige Delegation der Taliban bereits am 28. Juli in die Küstenstadt Tianjin eingeladen – ausgerechnet in dasselbe Konferenzzimmer, wo zuvor noch US-Vizeaußenministerin Wendy Sherman Platz genommen hatte. Es spricht Bände, dass Chinas Regierung gegenüber den USA mit eskalierender Rhetorik hantiert, während es gegenüber den Islamisten gute Miene zum bösen Spiel macht.

Anschlag der Taliban in China

Denn im Juli waren laut Angaben der pakistanischen Regierung eine Unterorganisation der Taliban für einen der tragischsten Selbstmordanschläge gegen Chinesen verantwortlich: Sie haben im Nordwesten Pakistans einen Bus in die Luft gesprengt, wobei neun chinesische Arbeiter ums Leben kamen. Angeblich planten die Terroristen den Angriff von Afghanistan aus.

Doch bislang hält die Zweckgemeinschaft zwischen Kabul und Peking. Die Taliban-Führung hat bereits mündlich zugesichert, dass man sich nicht in die inneren Angelegenheiten Chinas einmischen werde – also de facto die systematische Unterdrückung der muslimischen Uiguren akzeptiert. Ob es sich dabei um ein bloßes Lippenbekenntnis handelt, werden die nächsten Monate zeigen. Wenn also China seinen Einfluss in Afghanistan ausbaut, dann stehen dabei vor allem die innenpolitischen Interessen im Vordergrund. Die krisengeschüttelte Region bietet schließlich für Peking mehr Risiken als Chancen.

Prinzip der „Nicht-Einmischung“

Sicherheit und Stabilität haben immer höchste Priorität bei den Chinesen. Die Außenpolitik ist dementsprechend ausgerichtet. Anstatt wie westliche Staaten „wertebasiert“ zu handeln, setzt Peking stets auf das Prinzip der Nichteinmischung. Das hat innenpolitische Gründe: Während die Regierung sich jede Kritik von Washington oder Brüssel in scheinbar „innere Angelegenheiten“ wie die Situation der Uiguren oder die Repressionen in Hongkong verbittet, hält man sich an dieses Prinzip – weitestgehend – auch selbst auf dem internationalen politischen Parkett. Ob mit der Militärjunta in Myanmar, dem Kim-Regime in Nordkorea oder nun den Taliban in Afghanistan: China kooperiert ohne ideologische Schranken mit jedem Machthaber, solange es den eigenen Interessen dient. Und diese sind nicht immer nur wirtschaftlicher Natur, sondern zuallererst sicherheitspolitisch.

Staatsunternehmen hoffen auf lukrative Projekte

Zwar bringen sich bereits die chinesischen Staatsunternehmen in Stellung, um in den bevorstehenden Monaten und Jahren lukrative Infrastrukturprojekte zu realisieren. Afghanistan verfügt immerhin über große Ölvorkommen. Außenministeriumssprecher Zhao Lijian sagte zu Beginn der Woche: „Wir werden das Beste unserer Möglichkeiten tun, Afghanistan bei seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung zu assistieren.“ Die Befürchtung, dass China das rohstoffreiche Land ausbeuten wird, ist aber weitgehend unbegründet. Von der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe etwa heißt es, dass Afghanistans Rohstoffvorkommen „erst mit hohem finanziellem Aufwand erkundet werden“ müssen, um herauszufinden, ob sich deren Abbau wirtschaftlich lohnt. Chinas Staatsunternehmen könnten dieses Risiko eingehen, doch allzu wahrscheinlich ist dies nicht.

„Heute Afghanistan, morgen Taiwan?“

Wie sich die geopolitischen Verhältnisse in der Region verändern werden, bleibt natürlich weitgehend Spekulation. Chinas Staatsmedien versuchten nach dem Abzug des US-Militärs aus Kabul krampfhaft, eine Parallele zu weiteren Bündnispartnern Washingtons zu ziehen: „Heute Afghanistan, morgen Taiwan?“, lautete etwa die Überschrift eines Artikels der nationalistischen Global Times. Darin stellte der Autor die rhetorische Frage, ob die jüngsten Ereignisse in Afghanistan „ein Omen für das zukünftige Schicksal“ des Inselstaates Taiwan seien.

Aber die Realpolitiker in Peking sind sich bewusst, dass, ganz im Gegenteil, die Vereinigten Staaten durch das Freiwerden von militärischen Ressourcen in Zukunft ihren Fokus noch weitaus mehr auf die strategisch wesentlich wichtigere Region Ostasien legen könnten.

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