Ceta und die Wallonie - Das Waterloo der Handelspolitik

Die belgische Regierung hat sich doch noch mit den Regionen über das Freihandelsabkommen Ceta geeinigt. Der Widerstand der Wallonen wird trotzdem in die Annalen der EU eingehen. Was trieb sie zu dem waghalsigen Schritt?

Das Medieninteresse am Landeschef der aufmüpfigen Wallonie, Paul Magnette, ist riesig / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

So erreichen Sie Eric Bonse:

Anzeige

Jeder kennt Waterloo, Napoleons Schlachtfeld vor den Toren Brüssels. Doch bis vor Kurzem kannte kaum jemand Namur, die Hauptstadt der Wallonie. Das wird sich jetzt ändern: Denn Namur ist zum Waterloo der europäischen Handelspolitik geworden.

Das idyllische Städtchen am Rande der Ardennen hat sich in wenigen Tagen zur Hauptstadt der Ceta-Gegner entwickelt. Weil die Wallonen beharrlich Änderungen am Freihandelsabkommen mit Kanada forderten, ist nun sogar der EU-Kanada-Gipfel geplatzt.

Wie konnte es so weit kommen? Was treibt die Wallonen und ihren sozialistischen Ministerpräsidenten Paul Magnette um? Geht es nur um belgische Innenpolitik, um einen Machtkampf zwischen den Sozialisten und den in Brüssel regierenden Rechtsliberalen?

Widerstand aus unterschiedlichen Richtungen

Ganz so einfach ist es nicht. Natürlich versuchen die Sozialisten, die vor zwei Jahren die Regierungsmehrheit auf Landesebene verloren haben, Belgiens liberalem Premier Charles Michel das Leben schwer zu machen. Doch sie sind in ihrem Widerstand gegen Ceta nicht allein. Auch die wallonischen Christdemokraten haben massive Bedenken gegen das Kanada-Abkommen genau wie die deutschsprachige Gemeinschaft im Osten Belgiens oder die Abgeordneten in der Region Brüssel. Sie alle verhinderten bis zuletzt eine Einigung.

Das ist keine rot-grüne Fundamentalopposition, wie manche in Deutschland vermuten, sondern eine bodenständige und pragmatische Politikerriege, die von Michel fordert, endlich seine Hausaufgaben zu machen und einen Konsens herbeizuführen.

Haushalt auf EU-Linie gebracht

In Belgien ist es nämlich der Premierminister, der für Konsens sorgen muss, nicht die Provinzfürsten. Genau darum hat sich Michel lange gedrückt. Kurz vor dem Ceta-Debakel war er vor allem damit beschäftigt, das belgische Budget auf EU-Linie zu bringen.

Fast eine Milliarde Euro musste Michel dafür allein bei den Gesundheitskosten kürzen ein unpopulärer sozialer Kahlschlag, der ihn fast seinen Job gekostet hätte. Denn Belgien steckt ohnehin schon in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise.

Die Streitpunkte

So hat der US-amerikanische Baumaschinenkonzern Caterpillar angekündigt, seinen Standort in Gosselies dicht zu machen, einer Kleinstadt bei Charleroi in der Wallonie. 2200 Arbeitsplätze fallen sofort weg, viele hundert weitere später. Der Niedergang der einst stolzen Industrieregion setzt sich fort.

Gleichzeitig sorgen sich die wallonischen Bauern über mögliche Nachteile aus dem Ceta-Abkommen mit Kanada. Die Kanadier hätten ihren Landwirten Garantien gegeben, die sie nicht haben, heißt es in Namur. Prompt setzte Magnette dieses Problem auf die Tagesordnung der Schlichter.

Ein weiteres Thema ist eine Ausstiegsklausel, wie sie auch Deutschland nach dem Ceta-Urteil des Bundesverfassungsgerichts durchgesetzt hat. Die Belgier möchten den Deutschen nun nacheifern – genau wie bei dem Investitionsgericht, das zuerst Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) auf die Tagesordnung gesetzt hatte.

Das Gericht soll nach dem Wunsch der Wallonen erst dann tätig werden, wenn Ceta endgültig und vollständig in Kraft tritt – und nicht schon bei der zunächst geplanten vorläufigen Anwendung. Zudem fordern sie, es langfristig in ein öffentliches und internationales Gericht zu überführen.

Problemlösungen, kein Boykott

All das sind keine revolutionären Forderungen. Vieles klingt ganz ähnlich wie beim SPD-Konvent, den Gabriel zu Ceta einberufen hatte. Der Sozialist Magnette betont denn auch bei jeder Gelegenheit, dass es ihm um Problemlösungen gehe, und nicht darum, Ceta zu Fall zu bringen.

Dennoch bringt er auch seine deutschen Genossen in Verlegenheit. Denn Gabriel und seine Parteifreunde in Brüssel – darunter EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und der Vorsitzendes des Handelsausschusses, Bernd Lange – wollen einen schnellen Abschluss des Abkommens, das sie als modernstes und fortschrittlichstes seiner Art preisen.

Ein Sieg für den Regionalismus

Gabriel braucht dringend einen Erfolg – genau wie die EU-Kommission, der seit dem Brexit-Referendum in Großbritannien im vergangenen Juni rein gar nichts mehr gelingen will. Ceta sei der „zweite Weckruf für Europa seit dem Brexit“, warnt SPD-Mann Lange. Die EU müsse nun endlich aus ihren Fehlern lernen.

Doch das politische Waterloo aus der Provinzhauptstadt Namur wird sich nicht mehr rückgängig machen lassen. Selbst wenn Ceta in den nächsten Stunden oder Tagen doch noch unterzeichnet wird, wird der wallonische Aufstand in die Annalen der EU eingehen. Nationalismus und Regionalismus haben gesiegt, wenigstens für ein paar Tage.

Zu diesem Artikel gibt es eine Umfrage
Cicero arbeitet mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Civey erstellt repräsentative Umfragen im Netz und basiert auf einer neu entwickelte statistischen Methode. Wie das genau funktioniert, kann man hier nachlesen. Sie können abstimmen, ohne sich vorher anzumelden.
Wenn Sie allerdings  direkt die repräsentativen Ergebnisse – inklusive Zeitverlauf und statistische Qualität – einsehen möchten, ist eine Anmeldung notwendig. Dabei werden Daten wie Geburtsjahr, Geschlecht, Nationalität, E-Mailadresse und Postleitzahl abgefragt. Diese Daten werden vertraulich behandelt, sie sind lediglich notwendig, um Repräsentativität zu gewährleisten. Civey arbeitet mit der Hochschule Rhein-Waal zusammen.

Anzeige