Bundeswehr im Irak - Das Himmelfahrtskommando

70 Millionen Euro kostet der Einsatz der Bundeswehr im Irak. Doch die Mission dürfte sich schon bald als schwerer Fehler erweisen. Denn Berlin hat die politische Entwicklung vor Ort völlig unterschätzt

Erschienen in Ausgabe
Bundeswehr Soldaten und kurdischen Peshmerga Soldaten bei einer Übung im Übungsdorf „German Village“ / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Wilfried Buchta ist promovierter Islamwissenschaftler. Von 2005 bis 2011 arbeitete er in Bagdad als politischer Analyst (Senior Political Affairs Officer) für die UNO-Mission im Irak. Als Zeitzeuge hat der ausgewiesene Kenner der Region und ihrer Geschichte die politischen Ereignisse, die zum Erstarken des »Islamischen Staates« geführt haben, täglich hautnah miterlebt. Sein neuestes Buch heißt „Die Strenggläubigen. Fundamentalismus und die Zukunft der islamischen Welt“ (Hanser Berlin).

So erreichen Sie Wilfried Buchta:

Anzeige

Zum Beispiel Afghanistan. Seit mittlerweile 16 Jahren sind in diesem krisengeschüttelten Land Soldaten der Bundeswehr im Einsatz. Einem Einsatz, von dem es einst großspurig hieß, mit ihm würde die „Demokratie am Hindukusch verteidigt“. Doch dieser Slogan klingt schon lange hohl. Immer öfter und mit immer größerer Brutalität verüben Taliban und andere radikale Gruppierungen Terror­anschläge und machen damit vor allem eines deutlich: Die Sicherheitslage in großen Landesteilen und selbst in der Hauptstadt wird immer schlechter. Trotzdem verweigern sich die westlichen Staatsführer beharrlich der Einsicht, dass alle Anstrengungen, Afghanistan eine stabile demokratische Ordnung und dauerhaften Frieden zu bringen, trotz hoher Verluste an Soldaten und dem Einsatz von viel Geld praktisch keine bleibenden Erfolge gebracht haben.

Angesichts der negativen Erfahrungen müsste man annehmen, dass Berlins Außen- und Verteidigungspolitiker mit Blick auf neue Militäreinsätze klüger und realistischer geworden sind. Doch weit gefehlt. Spätestens bei Deutschlands jüngstem Engagement, dem vom Bundestag am 15. März 2018 beschlossenen, zunächst auf sieben Monate befristeten und mit 69,5 Millionen Euro ausgestatteten Irak-Mandat zeigt sich, dass das genaue Gegenteil der Fall ist. Schon wieder lässt sich die Politik auf Unternehmungen ein, die weder auf einem durchdachten Plan gründen noch eine auf Fakten basierte Perspektive künftiger Stabilität bieten. Worum geht es genau?

Überhastete Initiative mit unberechenbaren Faktoren

Nachdem im Irak der IS weitgehend zurückgedrängt werden konnte, will Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen dort die deutsche Ausbildungsmission (die seit 2014 auf Unterstützung der kurdischen Peschmerga-Kräfte in der autonomen Kurdenregion KRG beschränkt war) nicht nur fortsetzen, sondern auch deren Schwerpunkt verlagern. Drei Punkte sind entscheidend. Erstens: Berlin lässt die mit 137 Soldaten ausgestattete militärische Ausbildung der Peschmerga im Juni 2018 auslaufen und beteiligt sich fortan in der KRG nur noch bei sanitätsdienstlichen Aufgaben. Zweitens: Berlin verringert die Personalobergrenze für das neue Mandat von bisher 1350 auf 800 Soldaten. Drittens: Berlin nimmt die Erfolge bei der Bekämpfung des IS in Syrien und Irak im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition zum Anlass, den bisherigen Bundeswehreinsatz schrittweise hin zu Aufklärung und Ausbildung regulärer irakischer Streit- und Sicherheitskräfte zu verlagern. Das Zauberwort heißt fortan Fähigkeitsausbau („capacity building“) der regulären Sicherheits- und Streitkräfte durch Ausbildungslehrgänge.

US-Marines des 3. Light Armored Reconnaissance Battalion (3. LAR) patrouillieren am 7.4.2003 durch Thamir, einem Vorort von Bagdad

Vollkommen zu Recht verwiesen kritische SPD-Bundestagsabgeordnete darauf, dass von der Leyens Entsendeinitiative nach Bagdad überhastet und deren Erfolg von verschiedenen unberechenbaren Faktoren abhängig sei. So bemängelten sie auch, dass das Verteidigungsministerium nur unzureichende Analysen des innerirakischen Konflikts vorlegen könne, dass es nichts darüber wisse, wie groß die Bereitschaft der irakischen Streitkräfte zu Reformen sei. Und dass sich die Ministerin zudem über die exakte Definition des Einsatzgebiets ausschweige. Außerdem kritisierten sie, dass das Ministerium nicht in der Lage sei, die mit dem Einsatz verbundenen Gefahren für die Bundeswehrsoldaten zu benennen. Dennoch trug die SPD den im Bundestag nur mit sehr knapper Mehrheit angenommenen Antrag der Union mit.

Handeln der Regierung töricht und unprofessionell

Dass dieses in vielen wichtigen Detailfragen unklare Bundeswehrmandat einem Himmelfahrtskommando gleicht, machten schon im März hartnäckige Fragen von FDP-Bundestagsabgeordneten an die Bundesregierung deutlich. So musste die Regierung eingestehen, weder eine Erkundung der Sicherheitslage im Südirak durchgeführt zu haben, noch konnte sie eine genaue politische Lageeinschätzung präsentieren. Kurzum: Nichts ist geklärt oder organisiert. So gibt es für die in den Südirak entsandten Bundeswehrsoldaten weder notärztliche Versorgungsmöglichkeiten vor Ort noch Evakuierungspläne für Notsituationen. Ungeklärt bleibt bislang auch, in welchen Camps die deutschen Soldaten ausbilden sollen und um was es bei dieser Ausbildung überhaupt gehen soll. Klar wurde nur, dass die Ausweitung des Mandats auf den Süden des Irak nicht auf einer UN-Resolution oder einer EU-Entscheidung beruhte, sondern lediglich einer Bitte der irakischen Regierung an die Bundesregierung entsprang.
 

Irakische Soldaten der 9. und 16. Kompanie nehmen am 04.06.2017 an einer Operation zu Befreiung des Stadtteils Al-Zinjili im Westteil der Stadt Mossul (Irak) von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) teil

Wie töricht, unprofessionell und letztendlich unverantwortlich die Regierung gehandelt hatte, lässt sich auch daran ablesen, dass sie das Irak-Mandat im März durchpeitschte, ohne das Ergebnis der irakischen Parlamentswahlen im Mai abzuwarten. Erst deren Ausgang hätte nämlich Rückschlüsse darauf zugelassen, ob das künftige irakische Regime ernsthaft versuchen würde, Rahmenbedingungen zu schaffen, die der Arbeit der Bundeswehrausbilder den Hauch einer Chance geben können. Dazu gehört etwa die Frage, ob Bagdads schiitische Regierung eine echte Versöhnung mit den Sunniten anstreben und den friedlichen Ausgleich mit der autonomen Kurden-Regierung in Erbil suchen wird – oder ob das Gegenteil eintritt.

Die US-Truppen sind zu früh abgezogen

Tatsächlich sind die Erfolgschancen im arabischen Irak äußerst gering. Der Grund dafür liegt in den Strukturen des Landes. Der Irak, ein von der britischen Mandatsmacht 1921 aus der Konkursmasse des Osmanischen Reiches geschaffenes künstliches Gebilde, in dem die verfeindeten Volksgruppen der Sunniten, Schiiten und Kurden bis heute noch keine gemeinsame nationale Identität herausgebildet haben, ist und bleibt ein gescheiterter Staat. Ändern konnte daran auch die US-Invasion von 2003 nichts, die das arabisch-sunnitische Minderheitsregime von Saddam Hussein stürzte – ein Regime, das sowohl die Bevölkerungsmehrheit der arabischen Schiiten wie auch die nach Unabhängigkeit strebenden Kurden brutal unterdrückte.

17. Dezember 2011: Die letzte US-Truppen-Brigade verlässt den Irak

Und als die USA 2005 die ersten freien, demokratischen Wahlen durchführten, ermöglichten sie den siegreichen arabischen Schiiten, zur dominierenden Kraft in Regierung und Parlament aufzusteigen. Getrieben von Misstrauen und unüberwindbarem Groll, verweigerten die Schiiten den Sunniten eine faire Machtbeteiligung, was zum Ausbruch des schiitisch-sunnitischen Bürgerkriegs (2006–2008) führte. Als die US-Besatzungsmacht den Krieg mit größten militärischen Kraftanstrengungen beendete, war die Glut des konfessionellen Hasses längst nicht erloschen. Viel zu früh zogen die USA 2011 ihre Truppen aus dem Irak ab, ohne das Land befriedet zu haben. Kaum waren die US-Truppen weg, forcierte Ministerpräsident Nuri al Maliki abermals die politische Ausgrenzung und Demütigung der Sunniten. Dabei überspannte er den Bogen so sehr, dass er viele Sunniten in die Arme des IS trieb. Mit dem Ergebnis, dass der IS vor vier Jahren Mossul, die zweitgrößte Stadt Iraks, überrannte, ein „Kalifat“ gründete und Bagdad in einen dreijährigen Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten hineinzog.

Fiasko im Kampf gegen den IS

Für Maliki wurde das Militärfiasko von Mossul im Juni 2014 zum Mühlstein am Hals. Damals hatten nur wenige Hundert IS-Kämpfer binnen Stunden ein Viertel der 200 000 Mann starken Armee in die Flucht geschlagen; der Rest der Truppen verfiel in einen Zustand von Demoralisierung und Apathie. Die Maliki von seinen politischen Gegnern angelastete Niederlage zwang ihn dazu, sein Amt an Haider al Abadi, einen politisch moderaten Schiiten, abzutreten. Rasch rückten die IS-Truppen auf Bagdad vor, wo sie jedoch von den „Volksmobilisierungskräften“, einem aus 60 schiitischen Milizen bestehenden Bündnis paramilitärischer Kräfte (PMF) aufgehalten wurden. Die Krux daran ist, dass ein Großteil der PMF nur nominell der Autorität der Bagdader Regierung untersteht, in Wahrheit jedoch von iranischen Militärberatern kontrolliert und finanziert wird. Der Iran, die traditionelle Anlehnungs- und Schutzmacht der Schiiten des Nahen Ostens, war es auch, der nach dem Abzug der Amerikaner seinen Machteinfluss am Tigris stark erweiterte und den Irak de facto zu einem halb unabhängigen Vasallenstaat machte.

Bilder: picture alliance

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.













 

Anzeige