Britisches Referendum - Was Merkel mit dem Brexit zu tun hat

David Cameron hat zu Recht Konsequenzen aus dem verheerenden britischen Votum gegen die EU gezogen. Bei dem Referendum spielten aber auch Ängste eine Rolle, die Angela Merkel heraufbeschworen hat

Auf Schloss Herrenhausen war zwischen David Cameron und Angela Merkel noch alles in Ordnung / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Nach der ersten Bestürzung stellt sich eine grundlegende Frage, die für die Europäische Union essenziell und existenziell sein wird. Was wird Großbritannien nun sein? Ein warnendes Beispiel oder ein Vorbild für andere? Gibt es einen Dominoeffekt oder einen Effekt der Abschreckung?

Im ersten Augenblick mag die Antwort eindeutig scheinen. Der Jubel der Brexit-Fraktion und ihrer Claqueure auf dem Kontinent legt nahe: Jetzt geht es los. Jetzt ribbelt sich die ganze Europäische Union auf wie ein Wollpulli mit einem ersten Loch, zerfällt wieder in ihre nationalen Bestandteile. Aber dieser Petry-Farage-Jubel kann sich als ebenso besinnungslos und kurzsichtig erweisen wie die Abstimmung der Briten selbst.

Nordirland und Schottland können in die EU kommen

In einem nächsten und absehbaren Schritt nämlich werden sich die proeuropäischen Teile Großbritanniens von England lösen und in Europa autonom andocken. Namentlich Nordirland und Schottland. Irland, das einer Wiedervereinigung am Donnerstag einen Schritt näher gekommen ist, könnte der erste Gewinner dieser krassen Fehlentscheidung der Briten sein und als Krisengewinner des verhassten Nachbarn von der Insel nebenan umso mehr sein Heil in Europa suchen – das es im Übrigen in seiner existenziellen Finanzkrise auch nur und ausschließlich in der europäischen Solidarität gefunden hatte.

Während also zwei Drittel des Territoriums der Britischen Inseln sich umso beherzter in die Europäische Union begeben werden, werden die Engländer und Waliser merken, wie wenig splendid ihre Isolation ist. Die ersten Reaktionen der Börsen, an deren Finanztropfen sie in Ermangelung von Realindustrie mehr hängen als jeder andere europäische Staat, zeigen schon, wie erbarmungslos das System da urteilt und handelt, von dem das pochende Herz der Londoner City abhängig ist.    

Was ist eine unmittelbare Lehre aus dem britischen Referendum? Die repräsentative Demokratie ist der direkten vorzuziehen. Es ist nicht gut, über schicksalhafte Fragen emotionsgeladen und aufgepeitscht unter Einfluss von Polemik und Propaganda abzustimmen. Große Gemeinwesen tun gut daran, Individuen aus ihrem Kreis in die Legislative zu delegieren, auf dass sie dort für eine bestimmte Zeit die Möglichkeit haben, sich vertieft und im Sinne des Gemeinwohls sachkundig zu machen, und sodann besonnen im Parlament abzustimmen. Die Briten in ihrer Rage, sorry to say: aber sie wussten nicht, was sie tun.

Furcht vor Einwanderung

Wo kam die Rage her? Auf eine Aversion gegen das europäische Festland pfropfte sich eine Furcht vor einer Welle der Einwanderung. Obwohl gerade (oder gerade weil) das Vereinigte Königreich durch seine Kolonialgeschichte hier Erfahrungen hat, sperrte es sich gegen die Vorstellung, dass die Massenmigration aus dem muslimischen Raum auch an den Kreidefelsen von Dover ankommt. Sie haben gewissermaßen die Zugbrücken über dem Ärmelkanal hochgezogen.

Diesem Angstreflex konnte Premier David Cameron nicht genug entgegensetzen. Deshalb hat er zu Recht die Konsequenzen aus diesem Ergebnis gezogen. Es ist sein Brexit. Er ist der Premier, der Britannien nicht ins Zentrum Europas führte (wie Tony Blair es versprochen und auch nicht geschafft hatte). Sondern der Premier, der Britannien aus Europa hinauskatapultiert hat.

Zum Verhängnis wurde ihm dabei die deutsche Kanzlerin. Deren Performance in der Flüchtlingsfrage im vergangenen Spätsommer/Frühherbst hat diese Ängste aufkommen lassen. In Europa herrschte Kontrollverlust, Unordnung. Im Zentrum dieses vorübergehenden Kontrollverlustes eines Staatsgebildes und einer Staatengemeinschaft: Deutschland.

Dieses Thema, die Migration und das vorübergehende Flüchtlingschaos in Europa, dominierte deshalb den gesamten Wahlkampf um den Brexit. Deswegen, abermals sorry to say: Dieser Brexit ist auch Merkels Brexit.

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