Brexit - Kampf der Königinnen

Der Brexit droht das Vereinigte Königreich in seine Einzelteile zu zerlegen. Heute will die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon die Weichen für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum stellen. Und auch in Nordirland fürchten Beteiligte um den fragilen Frieden zu Irland

Theresa May und Nicola Sturgeon: Welche der beiden Frauen triumphieren wird, ist noch nicht abzusehen / picture alliance
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Einst waren es die schottische Königin Maria Stuart und die englische Queen Elizabeth I, die sich um den Thron stritten. Gute 450 Jahre später stehen sich wieder zwei Frauen mit ausgeprägtem Machtanspruch gegenüber: Die schottische Nationalistin Nicola Sturgeon und die britische Premierministerin Theresa May. 1558 ging es darum, welche der beiden Monarchinnen Anspruch auf den englischen Königinnentitel hatte. Heute will die Schottin nur eines: nichts wie weg aus dem Vereinigten Königreich.

Der Grund dafür ist der harte Brexit, den die britische Regierung in London anstrebt. Theresa May wird am 29. März die EU-Kommission in Brüssel per Brief darüber informieren, dass sie für ihr Land den Artikel 50 der Europäischen Verträge auslöst. Genau zwei Jahre später wird Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU sein. Plötzlich aber steht die Gefahr im Raum, dass der Austritt aus der EU genau das gefährden könnte, was den Brexit-Befürwortern so wichtig war: ein starkes, unabhängiges Großbritannien.

Schottland und Nordirland auf der Kippe

Denn die schottischen Nationalisten wollen lieber in der EU als im Vereinigten Königreich bleiben. Und in Nordirland fürchten viele Beteiligte um den fragilen Frieden, der 1997 auf Basis der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens und Irlands ohne Grenzbalken geschlossen werden konnte. Generell steht zu fürchten, dass der Austritt aus der EU den Briten politisch und ökonomisch schaden wird. Selbst die „special relationship“ mit den Vereinigten Staaten basiert darauf, dass die Amerikaner mit den Briten einen Alliierten innerhalb der EU hatten. Der Brexit droht, Großbritannien zu schwächen, ja sogar auf Little England einzuschrumpfen.

Zumindest bietet der harte Kurs, den die konservativen Brexitiere in den Verhandlungen mit Brüssel anstreben, den sozialdemokratisch gesinnten Nationalisten in Edinburgh die beste Ausrede für einen erneuten Versuch der nationalen Selbstbestimmung. Das erste Referendum über die schottische Unabhängigkeit ist erst zwei Jahre her. Im September 2014 stimmten 55 zu 45 Prozent der Schotten dafür, im Vereinigten Königreich zu bleiben. Damals hieß es von beiden Seiten, diese Entscheidung hätte die Unabhängigkeitsfrage für eine Generation erledigt.

Sturgeon geht hohes Risiko ein

Dann aber kam das überraschende Ergebnis des EU-Referendums im Juni 2016. Die Briten stimmten mit 52 zu 48 Prozent für den Austritt. 62 Prozent der Schotten allerdings votierten für den Verbleib in der EU. Auf Seite 24 des Manifestos der Schottischen National-Partei SNP steht klipp und klar: „Wir glauben, dass das schottische Parlament das Recht haben sollte, ein neues Referendum abzuhalten…wenn sich die Umstände signifikant ändern, zum Beispiel, wenn wir gegen unseren Willen aus der Europäischen Union geholt werden sollten.“

Daraus leitet Nicola Sturgeon die Legitimation ab, ihre Schotten erneut zu den Urnen zu rufen. Am heutigen Mittwoch will die schottische Landeschefin das zweite Referendum mit den Stimmen ihrer Nationalisten und den schottischen Grünen im Regionalparlament Holyrod absegnen lassen. Sie geht damit ein hohes Risiko ein: Die Umfragen sind nicht eindeutig für Unabhängigkeit und der gefallene Ölpreis hat die schottische Wirtschaft geschwächt. Ihre Gegenspielerin Theresa May hat außerdem klargestellt, dass sie einem Referendum vor dem Brexit nicht zustimmen wird. Das letzte, was Theresa May in den Verhandlungen mit Europa brauchen kann, ist eine Sezession innerhalb des Königreiches.

Nordirland und Irland erneut voneinander getrennt

Das sieht die linke Opposition in Westminster ähnlich. „Die schottischen Nationalisten wissen genau, dass sie am ehesten Chancen auf Unabhängigkeit haben, wenn in Westminster eine konservative Regierung regiert. Wie aber wäre es mit ein wenig Solidarität?“, fragt Labour-Politiker Hilary Benn.

Derzeit ist Benn Vorsitzender des Brexit-Sonderausschusses im britischen Parlament. Er selbst ist ein überzeugter Proeuropäer. „Das Karfreitagsabkommen in Nordirland bedeutete den größten Wandel, den ich mir je in meinem Leben erträumt hätte“, sagt der Außenpolitik-Experte. Der 63-Jährige erinnert sich gut an den erbitterten, gewalttätigen Kampf der Irischen Republikanischen Armee IRA gegen die Briten, der erst 1997 friedlich beigelegt werden konnte. Mit dem Brexit droht jetzt eine neue Grenze zwischen Nordirland, das Teil des Vereinigten Königreichs ist, und dem EU-Mitglied Irland. Bisher hat niemand erklären können, wie man die neue EU-Außengrenze ohne Grenzbalken wird schützen können. Im Binnenmarkt und der Zollunion zu bleiben wäre also schon allein wegen Irland wünschenswert, glaubt Benn. Er respektiert zwar den Willen des Volkes und damit den Brexit, kämpft aber gegen den harten Brexit-Kurs der Tory-Regierung: „In Nordirland müssen wir die beste Lösung finden, um dieses Abkommen zu erhalten, das der Region Frieden gebracht hat.“

SNP fühlt sich beim Brexit übergangen

Die schottischen Nationalisten aber wollen ihren eigenen Weg gehen. Zumal die Labour-Partei als Opposition in Westminster derzeit kaum zu spüren ist. Jeremy Corbyn steht einer in sich zerstrittenen und politisch gelähmten Partei vor. „Theresa May schickt am 29. März ihren Brexit-Brief nach Brüssel, und wissen Sie was?“, empört sich Alex Salmond, ehemaliger SNP-Chef und Europa-Sprecher der schottischen Nationalisten im britischen Parlament: „Wir haben keine Ahnung, was in diesem Brief steht.“ Die Labour-Partei könne machen, was sie wolle, aber die SNP lasse sich nicht so behandeln. Salmond fügt hinzu: „Viele, die für den Brexit gestimmt haben, haben nicht dafür gestimmt, aus dem Europäischen Binnenmarkt auszutreten.“ Die SNP fordert, dass Großbritannien – wenn es schon austreten muss – zumindest im gemeinsamen Markt bleiben sollte. Theresa May könne diesen harten Brexit nicht einfach beschließen.

May ist in der Zwickmühle. Sie muss die Einwanderung aus der EU begrenzen, weil sie glaubt, dass ihre Landsleute deshalb für den Brexit gestimmt haben. Wenn sie die Freizügigkeit der EU-Bürger einschränkt, muss sie aus dem Binnenmarkt austreten und kann nur hoffen, dass sich später ein Freihandelsabkommen mit der EU – und allen anderen Ländern, mit denen Großbritannien jetzt als EU-Mitglied ein solches hat – aushandeln lässt. All das ist unsicher, kostspielig und verdrängt wichtige Reformen im Land selbst für Jahre von der Tagesordnung.

Die Vision von Unruhen in Nordirland, einem unabhängigen Schottland und Little England sind der Stoff, aus dem Mays Albträume sind. Für Nicola Sturgeon dagegen geht es um die Erfüllung ihres Lebenstraums: Premierministerin des EU-Staat Schottlands zu werden. Wird die EU das überhaupt wollen? Welche der beiden Frauen triumphieren wird, ist noch nicht abzusehen. Eines aber ist klar: Verliert die Schottin ihr geplantes Referendum, ist ihre politische Karriere vorbei. Bei ihrer Ahnin Maria Stuart ging es weniger zivilisiert zu. Elizabeth I. ließ Mary am Ende köpfen.

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