Bornholm - Sprungbrett oder Achillesferse der Nato?

Plant Russlands Präsident Wladimir Putin einen Angriff auf Bornholm, um den Ostseeraum unter Kontrolle zu bekommen? Weil nicht eindeutig geklärt ist, ob die dänische Insel zur Nato gehört, könnte sie zu seiner Zielscheibe werden. Dabei ist sie strategisch für den Westen überaus wichtig.

Urlaubsparadies in der Ostsee: Wird Bornholm Ziel einer russischen Besetzung? /dpa
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Jens Mattern (Foto Ralph Weber) berichtet als freier Journalist für deutsche Medien aus Polen.

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„Wenn Dänemark einen solchen Schritt zulässt – wenn ausländische Truppen auf Bornholm ankommen sollten, wird Russland gezwungen sein zu prüfen, welche Auswirkungen dies auf das Verhältnis zwischen Russland und Dänemark haben wird.“ Diese Ansage des russische Botschafters in Kopenhagen, Vladimir V. Barbin, sorgte vor zehn Tagen in Dänemark für Verärgerung – und für Gegenwind.

„Ich will mich hier deutlich ausdrücken: Es ist allein Dänemark, das entscheidet, was auf dänischem Boden passiert“, entgegnete der dänische Außenminister Jeppe Kofod. Und auch die politische Linke keilt zurück. Doch wie kommt der Vertreter Russlands auf einen Anspruch auf die Ostsee-Ferieninsel? Direkter Anlass für die Drohung sind die Verhandlung Kopenhagens mit Washington über eine baldige Stationierung von US-Truppen in Dänemark. Gegen dieses Vorhaben meint der Kreml einen Trumpf zu haben – es gibt eine Art Abkommen zwischen der Sowjetunion und Dänemark aus dem Jahr 1946, das die Neutralität des 588 Quadratkilometer großen Eilands verlangt.

Bomben auf Bornholm

Denn die sowjetischen Truppen besetzten die Insel am 9. Mai 1945 und zogen erst im April 1946 wieder ab. Anfang Mai 1945 erhielt Gerhard von Kamptz, der Kommandant der seit 1940 deutsch okkupierten Insel, den Befehl des damaligen Reichskanzlers Karl Dönitz, die Häfen von Rönne und Nexö mit 15.000 Soldaten zu verteidigen und nur gegenüber den Briten zu kapitulieren. Somit sollte die Evakuierung der deutschen Zivilbevölkerung über die Ostsee nicht gefährdet werden. Vergeblich versuchten von Kamptz wie auch gleichzeitig die dänische Widerstandsbewegung, die Briten zur Übernahme zu überreden. Wegen einer kleinen Ostseeinsel, auf die die Sowjets Anspruch erhoben, wollten weder die Briten noch die Amerikaner einen Konflikt mit dem Bündnispartner riskieren.

Nach der Kapitulationsverweigerung des Deutschen ließ die Sowjetunion Bornholm am 7. und 8. Mai bombardieren. Es starben zehn Inselbewohner sowie eine unbekannte Anzahl von deutschen Soldaten, 4000 Dänen verloren ihr Dach über dem Kopf. Um die Insel zurückzubekommen, nahm Kopenhagen Anfang 1946 vorsichtig die Verhandlungen mit Moskau auf – und zwar diesmal auf britischen Druck hin, da London sich anschickte, die eigenen Truppen von Dänemark abzuziehen; dann sollten auch keine Sowjets dort verbleiben.

Der Abzug der Roten Armee und die Folgen

Der dänische Diplomat Thomas Dössing handelte dann im Februar 1946 mit dem damaligen Außenminister Wjatscheslaw M. Molotow die Konditionen für den Abzug der rund 7000 Rotarmisten aus. „Da die dänische Regierung nun die Möglichkeit hat, die Insel Bornholm mit ihren Truppen zu übernehmen und eine eigene Verwaltung ohne weitere Beteiligung ausländischer Streitkräfte und Verwalter aufzubauen, hat die Sowjetregierung entsprechend zu ihrer Erklärung vom 5. März den Befehl gegeben, den Abzug der Einheiten der Roten Armee einzuleiten“, heißt es in einer diplomatischen Note des Russen.

Schließlich ist die Insel gerade einmal hundert Kilometer von der Küste zu Polen entfernt, damals Teil des sowjetischen Einflussgebiets. Auch wenn die dänischen Politiker das Dokument heute für nichtig erklären, mit Argumenten, das es veraltet sei und eine dänische Einwilligung fehle – im Kalten Krieg wurde es von den Regierungen in Kopenhagen anders gewichtet. Dies ging soweit, dass 1982 das Auftreten einer Jazzkapelle auf Bornholm mit Angehörigen der US-Armee von höherer Warte untersagt wurde.

Nato-Mitglied, ja oder nein? 

Und nicht nur das – der damalige Verteidigungsminister Poul Sögaard erklärte das Auftrittsverbot sogar mit dem Hinweis, dass „Bornholm kein echtes Mitglied der Nato ist“, was später offiziell wieder korrigiert wurde. Es hieß, Dänemark würde freiwillig auf Nato-Truppen verzichten. Laut der Lokalzeitung Bornholms Tide gebe es eine Direktive des Verteidigungsministeriums, dass bis 1998 keine Truppen eines Nato-Landes Zugang zu der Insel haben dürfen, auch müssten sie den Luftraum meiden sowie drei Seemeilen Abstand halten. Ein ehemaliger Offizier habe dies anonym der Zeitung vermittelt, der pensionierte Brigadegeneral Michael H. Clemmese. Der bestätigte zumindest die Existenz eines solchen Dokuments, das sich in einem Safe der Kaserne auf der Insel befinden soll.

Erst im Jahr 2000 erlaubte Kopenhagen 41 britischen Fallschirmjägern den Zutritt zu einer gemeinsamen Übung mit den dänischen Streitkräften. Ein Jahr zuvor sprach der russische Botschafter Alexander Chepurin von einem „Gentlemen’s Agreement“, das nicht gebrochen werden sollte, da es ja bereits 53 Jahre gut funktioniert habe. Damals ließ der Kreml noch milde Töne gegenüber dem Westen zu. Heute besteht die russische Botschaft in Kopenhagen darauf, dass das „Abkommen nach internationalem Recht unbegrenzt gültig ist“, wie auf Twitter zu lesen ist.

„Schlüssel der Ostsee”

Die Rechtslage scheint also verworren. Die geographische Lage der Insel wird von Militärstrategen jedoch eindeutig gewertet: Sie ist von Bedeutung. Bornholm, die finnischen Aland-Inseln sowie die Insel Gotland, die zu Schweden gehört, gelten als „Schlüssel der Ostsee“. Wer diese militärisch besetzt, beherrsche den Ostseeraum. Vor allem Gotland war in den letzten Wochen im Fokus der Öffentlichkeit, hierhin schifften die Schweden Truppen und Panzerfahrzeuge, um Russland von einer Landung abzuschrecken.

Denn könnten diese dort das Raketensystem S400 installieren, wäre ein Großteil des Ostsee-Luftraums unter Kontrolle der Kreml-Streitkräfte, und die baltischen Länder wären von der Nato kaum zu verteidigen. Auch bei einer russischen Okkupation Bornholms, so die Einschätzung des schwedischen Militärexperten Jan Forsberg, könnte kein Schiffsverkehr zwischen Deutschland und Polen auf der einen und den baltischen Ländern auf der anderen Seite mehr stattfinden, ohne dass die Gefahr für einen Beschuss bestünde.

Will Putin die Insel besetzen?

Darum wird derzeit die These von Keir Giles, einem britischen Militär- und Russlandexperten und Mitglied der Denkfabrik „Chatham House“, in der dänischen Öffentlichkeit diskutiert. Der ehemalige Pilot der Royal Air Force glaubt, dass Wladimir Putin die Nato für schwach hält und er sie mit einer Besetzung der Insel herausfordern beziehungsweise bloßstellen könnte.

Kurz „ausgetestet“ wurde das kleine skandinavische Land im Juni 2021 zumindest durch einen Überflug zweier russischer Kampfflugzeuge über die Insel – eine Verletzung des dänischen Luftraums. Aufgrund der Ukraine-Krise sind nun seit Anfang Februar zwei F-16 Kampfflugzeuge der dänischen Luftstreitkräfte auf Bornholm stationiert. Mit dem Großangriff auf die Ukraine ist die Bedeutung der Insel noch einmal gewachsen. „Dänemark wird in der kommenden Zeit als Sprungbrett für alliierte Streitkräfte genutzt“, sagte kürzlich Flemming Lentfer, der Befehlshaber der dänischen Streitkräfte. Innerhalb des dänischen Territoriums liegt dabei Bornholm deutlich am weitesten ostwärts für eventuelle „Sprünge“.

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