Großbritannien - Was die CDU von Johnson lernen kann

Boris Johnsons politischen Stil muss man nicht mögen. Aber sein klarer Kurs ist deutlich erfolgreicher als der von Theresa May. Aus dem Wahlergebnis in Großbritannien lassen sich deshalb Lehren ziehen - sowohl für die SPD als auch für die CDU

Das Gegenteil von Merkels asymetrischer Mobilisierung / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Das britische Wahlsystem verzerrt und verstärkt, aber es verkehrt Ergebnisse nicht in ihr Gegenteil. Die erste Lehre aus dem Wahlergebnis von gestern Abend ist daher: Jede von eigenem Wunschdenken gesteuerte Annahme, dass sich seit dem Referendum zum Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union von vor über drei Jahren das Meinungsbild in Richtung Verbleib verschoben habe, kann in die Mülltonne der politischen Irrtümer. Oder anders gesagt: Die Leute haben einfach nicht so gewählt, wie sich das die Mehrheit der politischen Analysten gewünscht hat.

Boris Johnson hat mit seinem klaren Brexit-Kurs und einem entsprechenden Wahlslogan („Get Brexit done“) einen überragenden Wahlsieg errungen. Und alle Remainer sind untergegangen. Ein jeder und eine jede auf ihre jeweilige Weise.

Wieder gerade Acker-Furchen gezogen

Boris Johnson muss man nicht mögen. Er hat eine Unart, Poltik immer wie ein lustiges Spiel, wie ein „Als ob“ zu betreiben, skrupelfrei und ohne Rücksicht auf Verluste. Aber er hat zugleich innerhalb weniger Monate seines Daseins als Premierminister klare Verhältnisse geschaffen in einem Land, das sich nach einer unseligen und vor allem unselig knappen Volksabstimmung mit einer Premierministerin international blamiert hat, weil sie exekutieren sollte, was sie selbst nicht wollte und operativ erkennbar auch nicht konnte.

Johnson hat wie ein englisches Shire Horse, das mächtige Kutschpferd der englischen Brauereien, mit schwerem Geläuf und immenser Kraft den politisch zerklüfteten Acker, den Theresa May hinterlassen hatte, umgepflügt und wieder gerade Furchen gezogen. Teilweise mit brachialen Methoden, die einer parlamentarischen Demokratie nicht gut zu Gesicht stehen. Aber auch mit Esprit und Humor, der angesichts der öden Performance der politischen Klasse hierzulande ein bisschen neidisch über den Kanal blicken lässt.  

Aber: Jetzt ist Klarheit. Die britischen Wähler haben diese Klarheit gewählt. Und Führung. Selbst wenn unsereins auf der anderen Seite des Kanals den Johnson-Brexit vielleicht als Führung in die völlig falsche Richtung erachtet.

Debakulöse Labour- und Libdem-Politiker

Keinerlei Führung zeigte Jeremy Corbyn, der Chef der Labour Party, der nun endlich und Gott sei Dank Geschichte ist. Das schlechteste Wahlergebnis seit 1935 hat er seiner einst stolzen Partei beschert. Seine Haltung zur Brexit-Frage, ein entschiedenes Sowohl-als-auch, hat in den sicheren politischen Tod geführt. Wie kann ein Parteichef und damit eine ganze Partei mit der Position „Neutral“ in eine Wahl gehen, in der die Leute eine klare Antwort haben wollen auf die Frage: Wie hältst du es mit dem Brexit?

Auch was die Liberaldemokraten angeht, hat das Wahlvolk eine klare Ansage gemacht. Es war die einzige Partei im Angebot, die sich klipp und klar für einen Verbleib Großbritanniens in der EU ausgesprochen hatte. Alle Verbleiber hätten also die Kandidaten der Libdems in ihren Wahlkreisen mit Stimmen überschütten müssen, um sie als Fleisch gewordenes Nein zum Brexit ins Parlament zu entsenden. Aber auch das ist nicht passiert, Jo Swinson, eben noch siegesgewiss wie hier im Cicero-Interview, hat nur ein knappes Dutzend der grünen Ledersitze im Unterhaus für sich und ihre Libdems reservieren können. Debakulös.

Das Gegenteil der Merkel-Politik

Es gibt Lehren aus diesem Wahlergebnis für die deutschen Parteien. Vor allem die beiden früheren Volksparteien. Die Konservativen in Deutschland, was die CDU allein anlangt, inzwischen auch bei 20 Prozent angekommen, dürfen sich nach jemandem mit diesem Willen, dieser Entschlossenheit und Energie wünschen, die Johnson bei den Tories an den Tag legt. Und jemanden, der wie er eine klare Kante zieht zwischen dem, was die Konservativen sich wünschen, und was die Linksliberalen umtreibt. Johnsons politischer Ansatz ist das Gegenteil der asymmetrischen Demobilisierung, die Angela Merkel hierzulande betreibt.

Die SPD kann erkennen, dass sie in ihrem gerade vollzogenen Links-Schwenk mit ihrer neuen Führung nicht im Retro-Corbynismus enden darf. Sonst ist sie tot. Die britische Labour Party und die deutsche Sozialdemokratie war dann (und zeitgleich) zuletzt erfolgreich, wenn sie sich in die Mitte hin ausgebreitet hat. Dass es in jener gemeinsamen Regierungszeit von Tony Blair und Gerhard Schröder (und Bill Clinton in den USA) eine überschießende Sympathie der maßgeblichen Beteiligten für einen unseligen Geist der Deregulierung gab, steht außer Frage.

Die Entfesselung der Finanzmärkte hierzulande, die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne, für die sich Hans Eichel an den Börsen feiern ließ, ohne je begriffen zu haben, was ihm sein operativ tätiger Staatssekretär da untergejubelt hatte, war ein schwerer, schwerer Fehler - der eigentliche Fehler, über den seltsamerweise kaum gesprochen wird. Im Unterschied zur Agenda 2010, die von der SPD gerade auf der Müllhalde der Geschichte entsorgt wurde, die aber in ihrem Kern kein Fehler war. Sondern ein Segen für Deutschland.

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