Bekämpfung der Corona-Pandemie - Vorbild China?

Während der Westen gegen die zweite Welle ankämpft, geht das Leben in China wieder seine normalen Wege. Woran liegt das? Ist es die autoritäre Obsession, die das kommunistische System zum besseren Krisenmanager macht? Über die Krisensymptome im Kern des westlichen Systems.

Gehen als Gewinner aus der Krise: Das kommunistische China hat die Corona-Pandemie unter Kontrolle / dpa
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Klaus Mühlhahn ist Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und Inhaber des dortigen Lehrstuhls Moderne Chinastudien.

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Der Unterschied könnte kaum größer sein. Steigende Zahlen von Corona-Infizierten in Europa und Amerika, sich abzeichnende Engpässe in der Intensivmedizin, Verhängung von Sperrstunden und Lockdowns, Kurzarbeit und Insolvenzen. Auf der anderen Seite des eurasischen Kontinents zeigt sich eine andere Welt: In China gibt es keine lokalen Infektionen, aber öffentliche Feste und private Partys, gut besuchte Restaurants, eine boomende Wirtschaft.

Was läuft hier falsch? Wie ist es möglich, dass China, ein kommunistisch regiertes Land, die Corona-Pandemie (zumindest bis jetzt) so viel wirksamer in den Griff bekommen und unterbunden hat. Ist das chinesische System mittlerweile dem unseren überlegen im Umgang mit Pandemien und anderen Katastrophen? Eine solche Frage allein wäre noch vor zwei Jahrzehnten undenkbar gewesen. Die bloße Vermutung, dass China etwas besser macht oder kann, verletzt auch heute noch den aus einer heileren Vergangenheit rührenden Stolz der Europäer.

Eine große Täuschung?

In den sozialen Netzwerken hält sich daher hartnäckig die Vermutung, China schummele und vertusche das wahre Ausmaß der Pandemie. Hat die Kommunistische Partei Chinas das Land so sehr unter Kontrolle, dass sie in der Lage ist, einen Corona-Ausbruch komplett zu verheimlichen? Unwahrscheinlich. Unabhängig davon, wie die exakten Zahlen aussehen, ist es völlig unmöglich, dass die chinesische Regierung einen lokalen Ausbruch gänzlich zum Verschwinden bringen könnte. Das Coronavirus ist einfach zu tückisch, zu unbeherrschbar. 

Die chinesische Regierung sah im Umgang mit COVID-19 auch keineswegs immer gut aus. Große Fehler wurden vor allem am Anfang gemacht. In den entscheidenden ersten Tagen des Ausbruchs in Wuhan hat sich die Regierung kaum anders verhalten als die Regierungen Europas und Amerikas. Zunächst wurde runtergespielt, geleugnet, beschwichtigt. Ärzte, die vor der Gefahr des Virus warnten, wurden verhaftet. 

Überwachungskapazitäten als Wettbewerbsvorteil

Doch als sich die Krankenhäuser in Wuhan rapide füllten, Menschen in den Wartesälen verstarben und sich Unzufriedenheit und Panik unter der Bevölkerung ausbreiteten, änderte die chinesische Regierung den Kurs. Von Mitte Januar an wurde das Coronavirus wirklich ernst genommen. Es wurde von den chinesischen Behörden als eine massive Herausforderung der öffentlichen Gesundheitsversorgung erkannt. Im ganzen Land wurden Maßnahmen ergriffen, wie die pandemiekonforme Reorganisation der Krankenhäuser, Aufbau von Testkapazitäten, Einrichten von Hotlines (in verschiedenen Sprachen), das schnelle Durchsetzen von Maßnahmen wie Abstandsregeln und vor allem das allgemeine Tragen von Gesichtsmasken –Schritte, die viele andere Länder erst viel später zähneknirschend übernahmen.

Einige dieser Entscheidungen waren zweifelsohne nur in einem autoritären politischen System möglich. Zu Hilfe kam der chinesischen Regierung somit ihre in den letzten Jahren erheblich ausgeweiteten Kapazitäten zur Überwachung und Kontrolle der Gesellschaft. Der Einsatz etwa von Daten aus der Mobilfunknutzung zur Nachverfolgung von Kontakten und Infektionswegen wurde problem- und diskussionslos durchgesetzt, da der Staat im Grunde beinahe unbehindert auf persönliche Informationen zugreifen kann.

Nicht mehr als autoritäre Obsession?

Auch andere Maßnahmen basierten auf der Einschränkung von Rechten: Familien konnten wochenlang nicht wieder zusammenkommen, weil die Provinzen strikte Reisebeschränkungen verhängten. Dörfer wurden wie mittelalterliche Burgen befestigt, Wohngebiete wie unter Kriegsrecht abgeriegelt. 

Allerdings wäre es ein Fehler, die Reaktion der chinesischen Regierung ausschließlich als Ergebnis ihrer autoritären Obsession zu betrachten. Vielmehr bezeugt der Erfolg in der Pandemiebekämpfung auch die Leistungsfähigkeit der Regierung, die hinter dem Aufstieg Chinas in den vergangenen Jahrzehnten steht. Die Erfolge, die China vorweisen kann, reichen von der weitgehend erfolgreichen Wirtschaftspolitik bis hin zum Ausbau der nationalen Infrastruktur und eines Wissenschaftssystems, das zunehmen Weltklasse beanspruchen kann.

Die Lehren aus 2003

Auch viele der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Krise, wie die gezielte Quarantäne in den Zentren der Pandemie, die klaren Richtlinien der Regierung, die Masken und die soziale Distanzierung erwiesen sich als wirksam und sind mittlerweile weltweit als notwendige Mittel akzeptiert. 

Nach anfänglichen Zögern arbeitete die Regierung von Xi Jinping auch eng mit Wissenschaftlern und Experten zusammen. Basierend auf den Erfahrungen mit der SARS-Pandemie von 2003 wurden wissenschaftliche Erkenntnisse systematisch einbezogen. Die Regierung wusste von der SARS Erfahrung aber auch, dass sie nur politisches Kapital gewinnen würde, wenn sie die Bürger erfolgreich vor einer tödlichen neuen Krankheit schützen könnte. 

Eine Frage der Vernunft?

Wenige Beobachter in Europa gestehen sich ein, dass viele Vorschriften in China freiwillig befolgt wurden. Mundschutzverweigerung gab und gibt es bis heute nicht – nicht, weil es von der Regierung bestraft würde, sondern weil es als unsinnig gilt, das Tragen einer Maske zu verweigern. Das Tragen von Mundschutz im Falle einer Erkrankung ist seit Jahrzehnten nicht nur in China, sondern auch in Hongkong und Taiwan üblich. Die Straßen und Restaurants in den Städten blieben im Frühjahr leer, nicht weil die Menschen aufgrund von Ausgangsbeschränkungen zu Hause bleiben mussten, sondern weil die Appelle der Regierung befolgt wurden. Die Regierung konnte ihre Maßnahmen gut begründen, und die meisten Chinesen lobten die klare Politik.

Das Ergebnis ist eindeutig: Unter den 1,4 Milliarden Menschen in China gab es bis heute genau 4.634 Todesfälle, die auf COVID-19 zurückzuführen sind. Zum Vergleich: in Deutschland, einem Land mit 80 Millionen Einwohnern, sind bis heute 9.875 Menschen verstorben, Tendenz steigend. Während die Volkswirtschaften in Europa seit dem Frühjahr mit schwerer Rezession kämpfen, ist Chinas Wirtschaft im selben Zeitraum um 4,6 % gewachsen. 

Krisensymptome des Westens

China rühmt sich nun damit, ein überlegenes politisches und administratives System zu besitzen, von dem andere lernen sollten, anstatt es zu kritisieren. Während Europa und die USA von Krise zu Krise stolpern, scheint Chinas Aufstieg in der Tat unaufhaltsam. Nach der Corona-Krise wird Chinas Anteil an der Weltwirtschaft nochmal wesentlich größer sein – auch dank der Hilfen wie des Coronabonus, den Konsumenten meist für Güter „made in China“ verwenden.

Nur die Zukunft wird zeigen, ob China wirklich ein tragfähiges alternatives Modell hat. In der Pandemiebekämpfung aber hat China erstmal einen klaren Vorsprung. Seit der Antike gilt das Abwenden von Krankheiten und Katastrophen als Ausweis der Leistungsfähigkeit einer Regierung. Trumps Drängen auf die schnellstmögliche Wiedereröffnung im Frühjahr und das unentschlossene Krisenmanagement in Europa demonstrieren, dass das Versagen des Westens bei der Pandemiebekämpfung mehr als nur ein kurzzeitiges Phänomen ist – Hunderttausende von vermeidbaren Todesfällen offenbaren tief sitzende Defizite und Krisensymptome im Kern des westlichen Systems.

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