Wohin mit den Flüchtlingen von Lesbos? - Nichts gelernt

Politiker von SPD und Grünen reisen nach Lesbos und lassen sich vor den Trümmern des Flüchtlingslagers fotografieren oder schaffen dort Tatsachen. Die Bilder sollen an das Mitleid der Bürger appellieren. Wohin das führt, haben wir 2015 erlebt. Ein zweites Mal sollte der Staat nicht die Kontrolle verlieren.

Endstation Deutschland: Schon 2015 hatten die meisten Flüchtlinge dieses eine Ziel / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Eines muss man Katrin Göring-Eckardt lassen: Sie war schneller als das Technische Hilfewerk und auch schneller als Berlins Innensenator Andreas Geisel, der zeitgleich in Griechenland ankam wie das THW mit den Zelten und Decken in Moria. Da hatte KGE längst ihre aufrüttelnden Aufsager vor verkohlter Kulisse in Moria nach Hause gesendet. 

Um das klar zu sagen: Es ist ein Armutszeugnis und nicht hinzunehmen, dass Soforthilfe für die obdachlos gewordenen Migranten des abgebrannten Flüchtlingslagers in Moria auf Lesbos vier Tage brauchen, bis sie vor Ort sind. Es ist aber ebenso unerträglich, wie Göring-Eckardt und Geisel politisch motivierten Katastrophentourismus betreiben – unter Umgehung aller Dienstwege und ersten Zuständigkeiten.

„2015 darf sich nicht wiederholen“

2015 darf sich nicht wiederholen, hat die Kanzlerin immer gesagt. Und es wiederholt sich eben doch. Nichts ist gelernt in der Zwischenzeit, und geregelt ist europäisch auch nichts. Also machen sich politisch-moralische Glücksritter aus Deutschland auf eigene Faust auf den Weg und versuchen, vollendete Tatsachen zu schaffen. Und es funktioniert. Obwohl Zahlen angeblich nicht die entscheidende Rolle spielen, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel erst vor wenigen Tagen sagte, hat die Bundesregierung ihr Kontingentangebot von 150 auf 1500 unbegleitete Minderjährige und deren Familien verzehnfacht.

Wen Bilder wie jene aus Moria kalt lassen, der hat kein Herz. Aber diese Bilder und diese Situation dürfen jenseits der obligatorischen und unbedingten Soforthilfe nicht zur Richtschnur politischer Entscheidungen gemacht werden. Das war der Fehler von 2015. Und das ist er jetzt wieder. Politik, Menschen in politischen Schlüsselpositionen, müssen schreckliche Situationen aushalten. Müssen imstande sein, politische Entscheidungen zu treffen, die schwer, extrem schwer sind.

Die Richtschnur ist abhanden gekommen 

Weil es über den Einzelfall hinaus Gründe geben kann, eine Entscheidung gegen den Reflex des Herzens zu treffen. Helmut Schmidt hat das in seiner Zeit als Bundeskanzler getan. Es wäre ein vergleichsweise Leichtes gewesen, Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer lebend aus den Händen der Terroristen zu bekommen, wäre er auf deren Forderungen eingegangen. Aber der Staat wäre erpressbar geworden. Das Beispiel hätte Schule gemacht. Er hat es nicht getan.

Hanns-Martin Schleyer hat das am Ende das Leben gekostet. Helmut Schmidt trug ein Leben lang daran. Ja, ja, ja: Das war ein Extremfall. Und nein, nein, nein: Migranten sind keine Terroristen. Es geht nicht um diese Analogie. Sondern um ein politisches Muster, das in Deutschland abhanden gekommen ist. Eine politische Richtschnur.  

Markus Söder ist der biegsamste Schilfhalm

Barmherzigkeit, Mitgefühl und das Bedürfnis zu helfen sind hohe zivilisatorische Errungenschaften, auf die eine Gesellschaft stolz sein kann. Sie dürfen aber nicht zu einer politischen Staatsdoktrin werden. Ebenso wenig wie Kasuistik, das Ausrichten der Politik am Einzelfall, zu klugen strategischen Entscheidungen führt. Politik muss strukturell Entscheidungen treffen. Entscheidungen, die temporär auch Härten mit sich bringen. Sie darf übrigens bei aller Rücksicht auf andere auch eigene Interessen vertreten. 

Hierzulande hat sich diese politische Selbstverständlichkeit aufgelöst. Es sind die griechischen Behörden und der griechische Regierungschef Mitsotakis, die angesichts eines brennenden Moria wie Helmut Schmidt agieren. Weil sie nicht weitere Lager brennen sehen wollen. Weil sie nicht erpressbar werden wollen. In Deutschland dagegen hängen immer mehr politische Entscheider ihre Fahne in den Wind der Barmherzigkeit. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist der längste und biegsamste Schilfhalm unter ihnen. Horst Seehofer, Michael Kretschmer und Jens Spahn stemmen sich noch dagegen und warnen und mahnen. Aber in der innerdeutschen Debatte stehen sie so alleine wie die Deutschen innerhalb der Europäischen Union. 

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