Attentate von Paris und Orlando - Das hat mit dem Islam zu tun

Kisslers Konter: Nach terroristischen Anschlägen dominieren Täterpsychologie und Relativierung. So war es auch nach Orlando und Paris. Wer Gefahren nicht benennt, spielt aber den Gefährdern in die Hände. Der Islamismus bedroht uns alle

Trauerkerzen in Regenborgenfarben am Tatort von Orlando / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die Erkenntnis aus den Attentaten von Orlando und Paris lautet: Der Islamismus marschiert, selbst an Ramadan. Den Blutdurst todes- und tötungssüchtiger Radikalmuslime, die sich Märtyrer nennen und das Gegenteil sind, stillt keine Frömmigkeit. Sie geben erst Ruhe, wenn die Welt gerade so tot ist, wie sie selbst lebend es schon sind. Ob die Welt also ein Beinhaus wird oder ein Kosmos bleibt: das ist die offene Frage dieser und vermutlich vieler noch folgender Tage.

Umso wichtiger ist es, die Lage zu benennen und sich nicht in Selbstberuhigungsfloskeln zu flüchten, wie sie in der Medienöffentlichkeit herumgereicht werden. Keine Gefahr wurde je bezwungen, indem man sie relativiert. Kleine Kinder mag man in eine Sicherheit wiegen, die es nicht gibt; ihre Seele hat ein Recht darauf. Erwachsene aber sollten einen spezifischen, einen konkret motivierten, einen islamistischen Terror nicht durch konzentriertes Wegschauen weiter nähren. 

Es stimmt eben nicht, dass der 49-fache Mörder von Orlando, der aus Afghanistan stammende US-Bürger Omar Mateen „genauso gut“ ein evangelikaler Christ hätte sein können – oder es stimmt nur in denkbar abstrakter Hinsicht, wonach jedem Menschen alles zuzutrauen sei. In diesem Sinne hätte auch ein Jude oder Hindu das Feuer auf die Besucher eines Clubs für Schwule und Lesben eröffnen können. Nichts ist damit ausgesagt und nur das Falsche bezweckt. Eine singuläre Tat wird durch Auffächerung des Motivbündels in ihrer Grausamkeit abgemildert, der Täter in eine hypothetische Reihe anderer Täter gestellt, der Massenmord verblasst. Es ist aber nicht alles eins: Diese Lektion fällt im 21. Jahrhundert schwer.

Die allgemeine Tatsache, dass dieser Planet reich bevölkert ist mit Menschen voller Dünkel, Hass und Vorurteil, soll die besondere Tatsache vernebeln, dass es „bei islamistischen Gruppen eine geradezu genüssliche Verfolgungsjagd auf Homosexuelle“ gibt, „die mit Folter und Hinrichtung endet“. Und dass der Islam im Gegensatz zu vielen anderen Religionen vom Gläubigen verlangt, „die Sünde mit der eigenen Hand zu bekämpfen“.

Auch Psychologisierungen helfen nicht im sonst laut beschworenen „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“, der ein islamistisch-salafistischer Terror ist. Jede Täterpsychologie verkleinert die Tat und schafft Spielräume der Exkulpation. Wem soll der Hinweis nutzen, Omar Mateen sei „psychisch instabil“ und „ideologisch wenig gefestigt“ gewesen? Hätte ein psychisch stabiler, ideologisch gefestigter Mörder mehrere hundert Menschen statt „nur“ deren 49 hin gemeuchelt? Soll uns das beruhigen? Kann es innerhalb dieses Wahnes namens Islamismus überhaupt eine stabile Psyche geben, den gesunden Kern im unrettbar Kranken? Weil dem nicht so, klingt jede seelische Expertise angesichts der Opfer zynisch.

Noch seltsamer freilich sind die Versuche, eine Tat mit dem Schlachtruf „Allahu Akbar“ ihres spezifisch religiösen Kontextes zu entkleiden und ins allgemein Bedrohliche zu verschieben. Was immer wir sonst vom Pariser Attentäter Larossi Abballa wissen, der einen Polizisten und dessen Frau ermordete: Er sah in seiner Tat ein Allah-gefälliges Werk – wie verzerrt und falsch diese Deutung auch sein mag. Eine Grünen-Politikerin erklärte nach dem Doppelmord, eine solche Radikalisierung deute auf Versäumnisse des Staates und sei „nicht eine Frage der Religion oder Religionszugehörigkeit“. Dominant sei das Empfinden, „sich komplett ausgeschlossen zu fühlen auch in der Gesellschaft, nicht dazugehörig zu sein, so einen starken Hass auch auf die Gesellschaft“ zu entwickeln, „dass man bereit ist, dann zu Waffen zu greifen und sich zu radikalisieren.“ Wenn ein Terrorist sich als überzeugter Muslim begreift, spielt der Islam bei seiner terroristischen Tat und deren Begründung keine Rolle? Wenn Menschen zu Waffen greifen, ist der Staat schuld? Mit mehr Staat und weniger Waffen verschwindet der Islamismus? Das glaube, wer mag. Solche Relativierung eines spezifisch Grässlichen dient nur den Grässlichen.

Der Islam stellt die Software für den gegenwärtig gefährlichsten Terrorismus bereit. Darum entscheidet sich die Alternative Kosmos oder Beinhaus an zwei Punkten: an der Bereitschaft der Muslime, beherzt und offen die Schattenseiten ihrer Religion in den Blick zu nehmen – und an der ebenso beherzten Wehrhaftigkeit der freien Welt. Wenn nun der Bundesinnenminister am selben Tag die Bundesbürger zu „erhöhter Achtsamkeit“ auffordert, an dem Belgien vor Terroristen des „Islamischen Staates“ auf dem Weg nach Europa warnt – dann ist die allgemeine Sorge des Einzelnen bestenfalls eine leise Begleitmusik zur ungleich fundamentaleren Schutzpflicht des Staates. Weit weniger als der einzelne Wachsame ist der in rechtsstaatlichen Grenzen gegenüber dem Bösen intolerante Staat gefragt. Offene Grenzen sind gewiss kein Mittel der Terrorprävention.

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