Nukleardebatte - Atommacht Deutschland? Nein danke!

Braucht Deutschland die Atombombe? Ja, schrieb Christian Hacke bei Cicero Online, denn die USA unter Donald Trump böten keinen nuklearen Schutz mehr. Ex-BND-Vize Rudolf Adam widerspricht ihm vehement. Ein Deutschland mit Atomwaffen wäre ein gefährlicher Dammbruch

Französisches Atom-U-Boot : Deutsche Atomwaffen dürften auf schärfste Ablehnung stoßen / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Rudolf Adam war von 2001 bis 2004 Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes. Von 2004 bis 2008 leitete er als Präsident die Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Er ist Senior Advisor bei Berlin Global Advisors. Foto: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

So erreichen Sie Rudolf Adam:

Anzeige

Die USA werden noch lange nach Präsident Donald Trump massive Symptome von Trumpismus zeigen. Schon Henry Kissinger hatte die widersprüchlichen Tendenzen in Amerikas Außenpolitik herausgearbeitet: Der internationale Idealismus, der auszieht, um totalitäre Drachen zu erlegen und bedrohte Demokratien zu retten, und der nüchterne Realismus, der dazu neigt, sich auf sich selbst zurückzuziehen, die eigene Sicherheit defensiv und restriktiv zu definieren und den Rest der Welt sich selbst zu überlassen. 

Die US-Bürger sind es leid, die Kosten für eine globale Sicherheit zu tragen, unter deren Schirm militärische Verbündete zu ökonomischen Rivalen werden. Trumps rüdes Auftreten findet bei ihnen Anklang. Die Stimmung unter amerikanischen Wählern verschiebt sich. Selbst wenn Trump nur eine vierjährige Episode bleiben sollte – im Moment spricht leider wenig für diese Annahme –, wird sie dauerhafte Narben im body politic der USA hinterlassen

Deutschland fehlen Konzepte, keine Atomwaffen

Tatsächlich fehlt Deutschland eine strategische Kultur und vor allem ein sicherheitspolitisches Konzept, um weitgehend allein gelassen von der Schutzmacht USA außenpolitisch effizient zu agieren. Das steht im Gegensatz etwa zu Großbritannien, das die Verteidigungs- und Sicherheitslage (Strategic Defence and Strategy Reviews) ständig neu überdenkt. Die Weißbücher der Bundesregierung bestehen weitgehend aus palliativen Versatzstücken. Es macht wenig Sinn, in der Außenpolitik auf moralisch-verbale Empörung zu bauen, aber auf die Mittel zu verzichten, diese Empörung in wirksame Macht zu transformieren. Soweit hat Christian Hacke in seinem Essay Recht.

Aus alledem jedoch zu folgern, Deutschland brauche Atomwaffen, ist ein gravierender logischer Fehler.

Deutschland hat 2011 mit dem Atomausstieg klar gestellt, auf jegliche Nutzung von Kernenergie zu verzichten. Wir haben weder Wissenschaftler noch Ingenieure, die in moderner Nukleartechnologie mithalten könnten. Die wenigen, die noch ausgebildet werden, haben als Berufsziel Rückbau von Anlagen und Sicherung von Zwischenlagern vor Augen, nicht den Neubau oder Betrieb von Atomanlagen. 

Die militärische Nutzung der Kerntechnik setzt aber Beherrschung und die laufende Anwendung ziviler Nukleartechnik voraus. Wer Nuklearwaffen herstellen will, braucht mindestens eine Anreicherungs- und eine Wiederaufbereitungsanlage. Wie und wo man solche Anlagen in Deutschland errichten und betreiben will nach den desaströsen Erfahrungen mit Wackersdorf und Hanau, bleibt ein Rätsel. Deutschland muss seine Nuklearabfälle nach Frankreich zum Abklingen exportieren. Deutschland hat Probleme mit Castor-Transporten und Zwischenlagern. Es gibt immer noch kein Endlager und wird so bald auch keines geben. Linke, Grüne und SPD bilden zusammen eine Mehrheit der Bevölkerung ab. Alle drei Parteien sind dezidiert nuklearfeindlich. 

Eine Pandora-Büchse würde geöffnet

Deutschland hat wiederholt seinen bedingungslosen, einseitigen und unbefristeten Verzicht auf alle Formen von Massenvernichtungswaffen bekräftigt, zuletzt im Zwei-plus-Vier-Vertrag (Art. 3). Diese Erklärungen waren Grundlage für Wiederbewaffnung und Wiedervereinigung. 

Hacke argumentiert im europäischen Rahmen, versäumt jedoch, die Auswirkungen auf eben dieses Europa zu durchdenken. Wenn Deutschland das Recht beansprucht, Nuklearwaffen zu besitzen, was sollen dann andere europäische Länder tun? Wenn Deutschland die Zusicherung aus dem Zwei-plus-Vier Vertrag jetzt in Frage stellt, würde es neues Misstrauen bei allen Nachbarn säen. Zu der ohnehin ausgeprägten ökonomisch-finanziellen Dominanz in Europa käme eine militärische Vormachtstellung, von der niemand wüsste, gegen wen sie sich letztlich wenden würde. Selbst unsere engsten Freunde könnten nicht länger sicher vor Deutschland sein.

Deutsche Atomwaffen dürften in Warschau, Paris, London oder Rom deswegen auf schärfste Ablehnung stoßen. Sie würden eine Pandora-Büchse öffnen, die Ressentiments und altes Misstrauen gegen Deutschland neu aufflammen ließe. Deutschland steht wegen seiner harten Haltung in der europäischen Währungs- und Finanzpolitik ohnehin unter Beschuss. Vorbehalte gegen die deutsche Migrationspolitik haben 2016 zur EU-feindlichen Stimmung in Großbritannien beigetragen. Schweden betreibt Kernkraftwerke und hatte von 1945 bis 1972 ein militärisches Nuklearprogramm. Wird Polen deutsche Nuklearwaffen hinnehmen ohne selbst alles daran zu setzen, die gleichen Waffen zu haben? Wie würde Italien reagieren – immer auf Parität mit Deutschland bedacht –, wie Spanien? Und wenn die Türkei, die zur Zeit ihr erstes Kernkraftwerk von russischen Ingenieuren errichten lässt, nach Atomwaffen strebt, was wird dann der ewige Gegner der Türkei, Griechenland, machen? Und wenn die Türkei, Nachbarstaat von Iran, Irak und Syrien, sich Nuklearwaffen verschafft, wie werden diese Länder reagieren?

Deutschland hätte keine plausible Strategie

Vor allem aber bleibt Hacke die Antwort schuldig, welche Strategie ein atomar bewaffnetes Deutschland verfolgen soll. Wo und wann sollten deutsche Atomwaffen eingesetzt werden? Dann, wenn das Territorium Deutschlands mit Atomwaffen angegriffen wird? Dann ist es längst zu spät! Soll Deutschland seinen Nachbarn nuklearen Schutz garantieren? Weshalb sollte eine solche Garantie von Deutschland glaubhafter sein als eine französische oder britische?

Polen weiß noch zu gut, dass ihm Sicherheitsgarantien Großbritanniens und Frankreichs 1939 bis 1945 nichts genützt haben – weder gegen Deutschland noch gegen Russland. Würde Deutschland Hamburg, Frankfurt und München riskieren, wenn Tallinn, Riga oder Wilnius angegriffen werden? Wer dort das hiesige politische Klima kennt, wird auf eine solche Garantie keine allzu großen Stücke halten. Selbst auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, als Nato-Garantien als unumstößliches Dogma galten, regten sich bei einigen Deutschen Zweifel, ob die USA tatsächlich eine militärische Eskalation wagen würden, die San Francisco, Chicago und New York mit Vernichtung bedrohen könnte, nur um West-Berlin zu retten. Weshalb sollten Esten, Letten oder Litauer den Deutschen mehr zutrauen? 

Die gängige Interpretation der deutschen Verfassung besagt, dass Militäreinsätze vom Bundestag zu beschließen sind. Was für konventionelle Einsätze gilt, müsste erst recht für nukleare Einsätze gelten. Im Ernstfall wird es wenige europäische Nachbarn geben, die die Existenz ihres Landes einem Beschluss des Deutschen Bundestages anvertrauen. 

Fahrlässig, töricht und brandgefährlich

Hacke hat Recht, wenn er die Vorstellung europäischer Nuklearkräfte als irreale Träumerei entlarvt. Ein Nuklearschlag, der von dem einstimmigen Votum eines 27-köpfigen Gremiums abhängt oder gar im Mehrheitsverfahren beschlossen werden muss, ist lächerlich. Zu einem Zeitpunkt, in dem der Brexit dunkle Schatten über die Fähigkeit Europas wirft, einvernehmlich zu handeln, ist es um die autonome Sicherheit Europas schlecht bestellt. Nationale deutsche Atomwaffen sind jedoch nicht der Ausweg aus diesem Dilemma. 

Ein Deutschland, das aus den Nicht-Verbreitungsvertrag verlässt, wäre ein Dammbruch. Weltweit würde dies als Signal aufgefasst, dass nur eigene nationale Nuklearwaffen Sicherheit garantieren. Wie werden die asiatischen Verbündeten der USA reagieren, wenn schon die Europäer dem amerikanischen nuklearen Schutzschirm nicht mehr vertrauen? Japan und Südkorea würden sofort nach Nuklearwaffen streben, Indonesien würde vermutlich bald folgen.

Mit unendlicher Mühe ist es in über 20 Jahren gelungen, dem Nicht-Verbreitungsvertrag von 1970 nahezu universale Geltung zu verschaffen. Deutschland hat den Vertrag nach langwierigen Vorbehalten erst 1975 ratifiziert. Der Nicht-Verbreitungsvertrag ist kein Allheilmittel. Er leidet bereits erkennbar an Erosion. Diese Erosion jetzt aber ohne zwingende Notwendigkeit zu beschleunigen, wäre fahrlässig, töricht und brandgefährlich. 

Christian Hacke hat eine öffentliche Diskussion „ohne Vorbehalte und Scheuklappen“ gefordert. Dies ist ein Beitrag zu dieser Debatte.

Rudolf Adam war von 1995 bis 1998 zuständig für atomare Abrüstung und Rüstungskontrolle

Anzeige