Attentate in Sri Lanka - Terror und viele offene Fragen

Die Regierung von Sri Lanka macht eine einheimische radikal-islamische Gruppierung für die Selbstmordattentate mit mehr als 290 Toten verantwortlich. Das Land hat eine lange Geschichte ethnischer und religiöser Konflikte

Helfer tragen Tote eines Anschlags hinaus aus einer Kirche in Colombo, Sri Lanka / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Die vorläufige Bilanz des österlichen Terrors auf Sri Lanka: Mindestens 290 Tote und etwa 500 Verletzte, wobei die Zahl der Opfer fast stündlich nach oben korrigiert werden muss. Die Anschlagsziele – drei christliche Kirchen sowie drei Luxushotels mit Gästen aus aller Welt – waren sehr bewusst ausgewählt worden: Es ging den Tätern und den Drahtziehern dieser Attacken ganz offensichtlich darum, auch und gerade in den sogenannten westlichen Ländern Entsetzen auszulösen. Denn es gehört zu diesem dem Terrorismus innewohnenden Zynismus, dass Tod und Leiden möglichst spektakulär inszeniert werden müssen. Selbstmordattentate auf Ostergottesdienste passen exakt in dieses Kalkül. Was deshalb auch noch lange nicht heißt, dass die Anschläge sich explizit gegen Christen gerichtet haben. Womöglich waren sie einfach nur Opfer eines entmenschlichten Kampfes um größtmögliche Aufmerksamkeit.

Bisher von islamistischer Gewalt weitgehend verschont

Tatsächlich liegen die Hintergründe des Ostersonntagsterrors auf Sri Lanka weiterhin im Dunklen. Bis zu diesem Montagmorgen seien 24 Verdächtige festgenommen worden, melden die örtlichen Sicherheitskräfte. Genauere Angaben jedoch fehlen. Stattdessen ist jetzt viel von einem Hinweis des Sri Lankischen Polizeichefs die Rede, der die Regierungsbehörden schon am 11. April vor Anschlägen der „National Thoweeth Jama’ath“ (NTJ) auf Kirchen und auf die indische Botschaft gewarnt haben soll. NJT ist eine radikalislamische Gruppierung, die auf Sri Lanka unter anderem für den „Islamischen Staat“ (IS) rekrutiert haben soll und für die Zerstörung von Buddha-Statuen verantwortlich gemacht wird. Gleichwohl blieb der südasiatische Inselstaat vor islamistischer Gewalt bisher weitgehend verschont.
 
Anne Speckhard, die Direktorin des „International Center for the Study of Violent Extremism“ bezeichnete NTJ als seine Organisation, die den internationalen Dschihadismus nach Sri Lanka bringen wolle und darauf abziele, die Gesellschaft mit Hass und Angst zu spalten. Speckhard sagte, die Art der Anschläge vom Ostersonntag entspreche dem globalen Muster islamistischen Terrors. Tatsächlich erinnern die Anschläge vom Ostersonntag insbesondere an die Attentatsserie im indischen Mumbai aus dem Jahr 2008, als innerhalb kürzester Zeit an zehn unterschiedlichen Stellen insgesamt 174 Menschen von radikalislamischen Terroristen ermordet wurden. Ein hochrangiger Sri Lankischer Regierungsmitarbeiter sagte der indischen Zeitung „The Indian Express“, man gehe von der Beteiligung eines internationalen Terrornetzwerks an den Ostersonntagsanschlägen aus.

Mehrere Terrorgruppen kommen in Frage

Sri Lanka hat eine lange Geschichte ethnischer und religiöser Konflikte. Der 2009 beendete Bürgerkrieg, bei dem tamilische Rebellen für ihre Unabhängigkeit kämpften, kostete rund 100.000 Menschen das Leben. Konflikte religiöser Natur hingegen gab es zuletzt immer wieder zwischen Buddhisten (deren Anteil an der Bevölkerung liegt bei etwa 70 Prozent) und Muslimen (etwa 9 Prozent Bevölkerungsanteil). Muslime sahen sich in den vergangenen Jahren auf Sri Lanka immer wieder Benachteiligungen und gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt, die teilweise von nicht-muslimischen Politikern regelrecht orchestriert wurden. Nicht ohne Grund wurde vergangenes Jahr im auf Asienpolitik spezialisierten Magazin The Diplomat davor gewarnt, die fortgesetzte Diskriminierung könne zu einer Radikalisierung der muslimischen Jugend führen. Ein Analyst wurde im März 2018 mit den Worten zitiert: „Wir sind einen Schritt näher an der Entstehung von Islamistischem Terrorismus auf Sri Lanka.“
 
Bei der Deutschen Welle hat sich soeben der Politikwissenschaftler Siegfried O. Wolf vom Thinktank des „South Asia Democratic Forum“ in Brüssel über mögliche Hintergründe der Ostersonntagsanschläge geäußert. Es sei derzeit schwierig, eindeutig festzustellen, wer hinter den Attentaten stecken könnte, so der Asienexperte. Aber wenn man die konfliktreiche Geschichte dieses Landes berücksichtige, kämen mehrere Gruppen in Frage. Vier davon nannte Wolf explizit: militante Islamisten, radikale buddhistische Organisationen, militante hinduistische Tamilen-Gruppen sowie bewaffnete Kräfte der Opposition, die die Regierung von Premierminister Ranil Wickremesinghe stürzen wollten. Allerdings trügen die Attacken die Handschrift von internationalen dschihadistischen Gruppen, so Wolf.

Politische Turbulenzen in Sri Lanka

Der Terror von Sri Lanka trifft das Land ausgerechnet zu einer Zeit der politischen Instabilität. An der Spitze des Inselstaats steht seit 2015 der ehemalige Oppositionspolitiker Maithripala Sirisena, der mit Unterstützung des amtierenden Premierministers Wickremesinghe an die Macht gelangt war. Das Duo hatte sich weitreichende Reformen ihres Heimatlandes zum Ziel gesetzt, allerdings kam es im vergangenen Oktober aufgrund wirtschafts- und sicherheitspolitischer Differenzen zum Bruch zwischen Sirisena und Wickremesinghe. Der Präsident entließ daraufhin den Premierminister und ersetzte ihn durch den früheren Präsidenten Mahinda Rajapaksa, einen Hardliner mit autokratischem Stil. Das Sri Lankische Parlament stellte sich jedoch mehrheitlich hinter den geschassten Ranil Wickremesinghe, das oberste Gericht ordnete schließlich im vergangenen Dezember dessen Wiedereinsetzung ins Amt an.
 
Die politischen Turbulenzen führten und führen weiterhin zu einer Schwäche der Sri Lankischen Wirtschaft und zu einem Verfall der Währung. Premierminister Wickremesinghe äußerte dann am Sonntag auch ausdrücklich seine Sorge, der Terror könnte die Politik und die Wirtschaft seines Landes weiter destabilisieren. Bis zum Ende des Jahres waren eigentlich Parlamentswahlen in Sri Lanka vorgesehen, doch ob dieser Termin angesichts der aktuellen Ereignisse dann auch stattfinden wird, ist fraglich. Fest steht jedenfalls, dass der Ruf des Sri Lankischen Premierministers durch die Attentate schwer beschädigt ist, zumal es ja zehn Tage zuvor offenbar eine Terrorwarnung gegeben hatte. Entsprechend äußerte sich auch der Regionalexperte Siegfried O. Wolf: „Die Gruppen aus der Opposition werden die mutmaßlichen Terroranschläge wohl nutzen, um für einen autokratischeren Regierungsstil und strengere, repressivere Maßnahmen gegen Minderheiten zu werben im Namen der Bekämpfung von Gewalt.“

Der Ostersonntagsterror von Sri Lanka könnte also noch viele Rätsel aufgeben.

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